Die hier geäußerten Gedanken schwirrten schon länger im Kopf des Autors. Eine vielgelesene, aber auch deutliche Kritik auslösende und offenbar nicht immer richtig verstandene Konzert-Reportage geht diesem Essay voraus. Einige besorgniserregende Reaktionen gaben den endgültigen Anstoß, dass ein eigentlich schon ad acta gelegtes Thema doch noch einmal aufgegriffen wurde.
Martialisches Auftreten mit Military-Look, Patronengurte, Texte von Tod und Vernichtung – all solche Dinge scheinen untrennbar mit der Metal-Szene verwoben. Gewaltfreiheit und friedliches Zusammenleben sind in den gängigen Themen nicht gerade die propagierten Werte. Kaum einer scheint sich zu fragen, warum das Ganze, und noch weniger Metaller scheinen sich an dem kriegerischen Habitus ihrer Idole oder den Aussagen der Texte zu stören.
Etwa fünfeinhalb Prozent aller Bands, die in den Metal Archives gelistet sind, verwenden zu einem großen Teil das Sujet Krieg für ihre Songs. Klar, die düsteren Dinge des Lebens und der Fantasie bestimmten schon von Beginn an die Themen dieser Subkultur. Früher ließ sich damit die Elterngeneration schockieren, das kanalisierte negative Emotionen – entscheidende Faktoren für die Ausbildung des Heavy Metal. Pioniere wie Iron Maiden griffen und greifen immer wieder zu historischen Themen, Kriege sind ein ganz wesentlicher Bestandteil zahlreicher Texte. Damit sind sie nicht allein, und da machen wir uns nichts vor: Ein Metal-Text ist erst einmal kein philosophischer Traktat – die Musik zählt und die muss knallen. Welche Worte der Sänger da raushaut, ist erst einmal Nebensache.
Nun stehen wir aber mit beiden Beinen im 21. Jahrhundert. Mitteleuropa erlebt eine der längsten Phasen ohne Kriege, in Deutschland ist die Wehrpflicht ausgesetzt und die Bundeswehr kann ihren Nachwuchsbedarf kaum decken. Ein Großteil der mir bekannten Metal-Fans verweigerte den ehemals obligatorischen Dienst an der Waffe ohnehin, sei es mit der Begründung, dass man sich nicht unterordnen wolle, sei es, dass man Angst um die langen Haare habe. Aber schöne Armeestiefel und Tarnkleidung, das tragen viele gern. Krieg und Militär ist toll, so lange ich im Trockenen sitze und nicht durch den Schlamm gleiten muss.
Bewahre, man kann doch fasziniert von der Materie sein, ohne das Thema selbst ausleben zu müssen! Völlig richtig. Dies ist keine Apologie des Wehrdienstes. Es gibt gute Gründe, sich nicht der Maschinerie des Militärs unterzuordnen – erst recht nicht, wo es dazu keinerlei Verpflichtung mehr gibt. Von einem Death Metal-Fan erwartet auch keiner ein Praktikum in der Pathologie, der Black Metaller möge gleichsam seiner Anti-Religiosität bitte keine zündelnden Taten folgen lassen. Aus dem Alter sind wir – die Metal-Szene – hoffentlich raus, dass jeder ins Extrem gehen müsse.
Eine Diskrepanz zwischen lyrischen Themen und gelebter Realität verwundert also nicht besonders. Das ist auch völlig in Ordnung, denn Alltagsthemen sind ja nicht so unsere in der metallischen Musik. Es ist meist die Faszination des Anderen, des Ungeheuren, des Unmöglichen, die in vielen Texten durchscheint.
Problematisch? Zunächst einmal nicht – Pietätlosigkeit und Provokation gehören dazu. Kunst darf schließlich prinzipiell alles und sollte sich wenig darum scheren, ob mit einem sensiblen Thema sich irgendjemand auf den Schlips getreten fühlen mag. Die Möglichkeit, dass ein Vietnam-Veteran durch Sodoms „Agent Orange“ oder „M-16“ wieder von seiner Posttraumatischen Belastungsstörung heimgesucht wird, dürfte die Band zurecht wenig beeindrucken. Und doch gibt es gute Gründe, kritisch mit den Texten umzugehen, die wir hören und mitsingen wollen. Vor allem die Frage der Inszenierung wünsche ich mir häufiger gestellt. Denn den Krieg künstlerisch darzustellen, das ist immer ein schmaler Grat.
Auf diesem Balanceakt versagt in meinen Augen so manche Band. Für den Leser eines niedergeschriebenen Konzerterlebnisses ist es vielleicht nicht im Einzelfall nachvollziehbar, aber die gesamte, auf die Bühne transportierte Atmosphäre macht eine Menge aus. Es spricht nichts dagegen, dass mit einer entsprechend finsteren Inszenierung auch die größten Tabus wie industrielle Massenvernichtung und der Holocaust zum Thema werden. Schwieriger ist es, wenn der ganze Komplex realer Konflikte zum hauptsächlichen Inhalt der Musik wird. Dann scheint es fast unmöglich, immer den richtigen Ton zu treffen.
Richtig heißt gewiss nicht, dass zwischen der Schlacht von Gallipoli und dem Warschauer Aufstand ein stumpfes Besäufnis zelebriert wird. Dass der Krieg die ultimative Katastrophe der Menschheit ist, wird bei einer solchen Inszenierung auf bedenkliche Art und Weise unter den Teppich gekehrt. Hiervon sind noch viele weitere mediale Formen wie Film und Computerspiele betroffen, in denen der Krieg viel zu oft viel zu sauber ist. Niemand unterschätze die Wirkung von Bildern und Botschaften, die Heldenmut und „gute Krieger“ propagieren.
Im Grunde hat eine Band auf der Bühne nur zwei Möglichkeiten, um keine Zweifel an ihrer moralischen Integrität aufkommen zu lassen: Entweder wird aus der Show deutlich, dass es um das Böse schlechthin geht. Oder man bedient sich der Satire und kehrt die scheinbare Identifikation ins Gegenteil um. Wenn beides nicht stattfindet und Krieg „einfach so“ als lyrisches Thema verwendet wird, darf sich eine Gruppe nicht wundern, wenn der Vorwurf der Verherrlichung laut wird. Das gilt für Veteranen wie neue Bands gleichermaßen.
Es spielt indes sehr wohl eine Rolle, ob lange vergangene Zeiten oder Geschehnisse behandelt werden, zu denen es noch Zeitzeugen gibt und die sich von der gegenwärtigen geopolitischen Lage nur bedingt unterscheiden. Antike und Mittelalter, Frühe Neuzeit und auch der Ersten Weltkrieg genießen zwar keine Narrenfreiheit in Sachen historischer Interpretation – auch hiermit wird in den Texten des Metal viel Schindluder getrieben. Dennoch wohnt all diesen Themen keineswegs die Sprengkraft inne, die die Historie seit Mitte des 20. Jahrhunderts für die heutige Zeit hat. Nein, da ist es nahe an der Unmöglichkeit „einfach nur Geschichten zu erzählen“. Eine politische Aussage zu scheuen, darf bei derlei brisanten Themen keine Option mehr sein.
Nicht allein das Thema Krieg im Metal kann gerne dazu anregen, über die in den Texten vermittelten Weltbilder nachzudenken. Das ist freilich kein Appell, dass satirischer Sexismus, überzogene Gewaltverherrlichung und okkulte Absurditäten aus der harten Musik zu verbannen seien. Dafür ist die Szene auch viel zu komplex und differenziert, als dass man „den Metal“ in eine Schublade stecken könnte. Eine gehörige Portion Selbstironie ist immer noch eine der größten Stärken der Szene.
Es sollte nur verstärkt ins Bewusstsein rücken, über was da gerade eigentlich gesungen wird. Die Frage „Kann ich mich damit überhaupt identifizieren?“ stellen sich viel zu wenige. Wenn wir Metaller aber aufhören, kritisch zu sein, und stattdessen alle Texte unabhängig von ihrem Inhalt und ihren Aussagen mitgrölen, setzen wir uns der Gefahr einer Unterwanderung aus. Unsägliche Grauzonen sind aus dem gleichen Grund entschieden zu meiden – auch daran hapert es bei viel zu vielen Leuten.
Eine weiterführende Kolumne zu dem Thema findet ihr hier:
>> Kolumne: Metal und Politik – eine Gratwanderung