Mirgleichheit ist das höchste Gut

In wenigen Wochen findet die Wahl zum Deutschen Bundestag statt. Von den Parteien, die am Ende an der Regierung beteiligt sein werden, hängen neben den großen Themen wie Steuer-, Verteidigungs- und Asylpolitik auch die vermeintlich unwichtigeren Themen wie die Förderung von Subkultur und sozialen Projekten. Und da gibt es einige, die Subventionen in diesem Bereich nur zu gerne streichen würden. Mit anderen Worten: Auf der einen oder anderen Ebene betrifft der Ausgang dieser Wahl uns alle, egal, ob wir die Demokratie als Ganzes bedroht sehen oder „nur“ den kleinen Live-Club bei uns in der Stadt, der dann vielleicht schließen muss. Trotzdem bleiben sehr viele Mitglieder der Metal-Szene, seien es Musiker, Veranstalter oder auch Fans, sehr, sehr still, sobald es um politische Themen geht. „Unpolitisch“ ist für viele (zumindest öffentlich) die Einstellung der Stunde. Warum wir uns damit alle ins eigene Fleisch schneiden – ein Brandbrief.

Beginnen wir mit einem einfachen Gedankenexperiment. Machen wir uns bewusst, dass wir nicht bei der Feuerwehr sind. Wir wollen auch gar nicht bei der Feuerwehr sein. So heroisch dieser Job auch ist – Menschen aus brennenden Häusern retten und so: Selbst ausüben wollen wir ihn nicht. Aber wir sind natürlich sehr dankbar, dass es die Feuerwehr gibt und froh, wenn sie ihre Arbeit gut macht. Doch nun brennt es in unserer Straße. Noch nicht bei uns, aber aus dem Dach des Hauses zwei Nummern weiter schlagen Flammen und die ersten Funken fliegen in den Garten unserer direkten Nachbarn, die Hecke fängt Feuer. Leider brennt es aber auch noch an ganz vielen anderen Stellen unserer Stadt. Und die Feuerwehr ist komplett überlastet und wird so schnell nicht kommen. Was jetzt?

Wir wollen doch keine Feuerwehrleute sein. Wir wollen uns gar nicht anmaßen, die Arbeit der Feuerwehr vernünftig erledigen zu können. Bleiben wir deswegen vor dem Fernseher sitzen, schauen die Nachrichten über die vielen Brandherde … und wenn uns das zu viel wird, dann schalten wir rüber zu den Simpsons? Nein. Wir klingeln bei den Nachbarn, schlagen gegen die Tür, schreien: „Bei euch im Garten brennt es! Los! Raus aus dem Haus!“ Vielleicht schnappen wir uns sogar den Gartenschlauch und versuchen, eine Ausbreitung der Flammen zu verhindern, bis endlich – welch eine Erlösung – die Sirenen erklingen und die Profis übernehmen. Ich glaube nicht, dass eine*r von uns sagen würde: „Hm, ja, also persönlich find’ ich schon total wichtig, dass man Feuer löscht und Menschen warnt, wenn es brennt – aber ich möchte vor anderen nicht als Unterstützer der Feuerwehr dastehen. Ich halte mich da lieber raus und lass’ das die machen, die sich den Beruf ausgesucht haben.“

Was in diesem Kontext so absurd klingt, ist in unserem gesellschaftlichen und politischen Diskurs inzwischen leider Alltag geworden. In der Welt brennt es an allen Ecken und Enden. Ich erspare mir und euch jetzt die Aufzählung, wir haben es ja alle präsent. Und in knapp einem Monat wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Eine in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei dürfte die zweitstärkste Kraft werden. Eine. In. Teilen. Als. Gesichert. Rechtsextrem. Eingestufte. Partei. Zweitstärkste. Kraft. Verdammt nochmal, in unserer Straße brennt es lichterloh. Was machst du?

In einer Zeit, in der unsere Demokratie so sehr in Gefahr ist wie zuletzt in den späten Jahren der Weimarer Republik müssten doch eigentlich alle, denen unsere demokratische Freiheit wichtig ist, laut werden. Die Nachbarn rausklingeln, zum Gartenschlauch greifen. Dennoch gibt es gerade in unserer Szene viel zu viele Protagonisten – Musiker, Fans und Veranstalter -, die sich öffentlich als „unpolitisch“ bezeichnen. Die keine Stellung beziehen wollen. Nicht einmal jetzt, wo die Grundlage unserer Gesellschaft, wie wir sie kennen, bedroht ist.

Warum nicht? Weil es ein Thema ist, das ich den Profis überlassen möchte, dem ich mich nicht gewachsen fühle? Weil ich die Gefahr für nicht so groß halte, dass ich deswegen riskieren möchte, einen Teil meiner Fans zu vergraulen? Oder weil ich die Gefahr schon für so groß halte, dass ich niemanden gegen mich aufbringen möchte, der vielleicht schon bald entscheiden könnte, ob ich noch Gigs bekomme, oder nicht?

All diese Beweggründe sind ernst zu nehmen. Nicht jeder diskutiert gerne, schon gar nicht, wenn es ans Eingemachte geht, wenn die Themen so unbequem sind. Auch ich streite lieber darüber, ob das neue Album von Band XY jetzt eine 4/10 oder eine 8/10 ist, als darüber, ob es in Ordnung ist, Geflüchtete selbst bei einem positiven Asylbescheid in Drittstaaten außerhalb der EU versauern zu lassen (Spoiler: Es ist NICHT in Ordnung). ABER – und dieses Aber kann nicht laut und fett genug sein – dieses Keine-Meinung-Haben muss man sich erstmal leisten können.

Sich als „unpolitisch“ zu gerieren, ist Luxus. Ein Luxus, den man sich in der aktuellen Zeit nicht mehr leisten kann, nicht mehr leisten darf. Wer sieht, wie verheerend die aktuellen politischen Ereignisse sind, wer erkennt, auf welche Gefahr wir zusteuern, wenn wir uns jetzt nicht alle mal zusammenreißen, und wer die Möglichkeit hat, gehört zu werden, der (oder die) hat als Bürger*in einer Demokratie die Pflicht, laut zu werden und auf ebendiese Gefahren aufmerksam zu machen. Hier geht es nicht darum, anderen vorzuschreiben, ob sie grün oder konservativ, SPD oder die Tierschutzpartei wählen sollen. Es geht nicht darum, Wahlempfehlungen auszusprechen. Es geht darum, davor zu warnen, dass die reelle Gefahr besteht, dass bald eine Partei, die in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, massiven Einfluss auf unsere demokratischen Grundwerte nehmen könnte. Und dass dieser Einfluss ebenjene Grundwerte demontieren würde. (Und wem das zu dramatisch klingt, der sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass diese Partei auch die gesamte staatliche Kulturförderung und damit auch die finanzielle Unterstützung von Subkultur ablehnt. Im Detail hat diese Dystopie der Kulturjournalist Axel Brüggemann in seinem sehr lesenswerten Essay „Das Ende der Kultur, wie die AfD es plant“ auf Backstageclassical.com analysiert.)

In einer stabilen und funktionierenden Demokratie haben wir den Luxus zu sagen, „Ich interessiere mich nicht so für Politik“, oder auch, „Ich möchte meine politische Einstellung für mich behalten“. Aber in einer Demokratie, deren Stabilität auf der Kippe steht, müssen wir alle auch mal eine Zeitlang bewusst auf diesen Luxus verzichten, um ihn nicht dauerhaft zu verlieren. Oder anders gesagt: Wenn wir jetzt nicht mit dem Gartenschlauch selbst das Feuer in der Hecke in Schach halten, sind von unserem Haus vielleicht nur noch rauchende Ruinen übrig, wenn die Feuerwehr dann endlich kommt.

Welche Möglichkeiten haben wir jetzt also noch, so kurz vor den Wahlen? Zunächst mal: Fragt euch, ob ihr es euch wirklich leisten könnt, „unpolitisch“ zu bleiben. Und falls nicht? Dann redet: mit euren Freund*innen, euren Eltern, euren Kolleg*innen, euren Lieblingsbands! Regt den Austausch auf Social Media an, sendet PMs, kommentiert, hakt nach. Die Mehrheit derer, die nichts sagen, steht auf der richtigen, der demokratischen Seite. Doch jetzt ist der Zeitpunkt, laut zu werden und allen klarzumachen, wo wir stehen. Auch wenn es unbequem ist, auch wenn wir viel lieber ein Konzert ohne politische Diskussion in unserem Lieblingsclub in unserer freien Demokratie genießen würden. Aber wenn wir jetzt still bleiben, dann gibt es beides vielleicht schon bald nicht mehr. Demokratie braucht Demokrat*innen!

ZSK im Februar 2023 in München
Mit gutem Beispiel voran: ZSK im Februar 2023 in München

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5 Kommentare zu “Mirgleichheit ist das höchste Gut

  1. Für uns vom kleinen Nachbarn Österreich sind meiner Meinung zwei Dinge relevant:
    Deutschland sollte politisch, vor allem aber wirtschaftlich stabil bleiben.
    Egal ob bei Illner oder Miosga, man sieht fast nur noch Blockierer und Realitätsverweigerer unter den Entscheidungsträgern, es mangelt an pragmatischen Ideen.
    Dagegen statt dafür ist en vogue.

    Die Themenbesetzung erscheint ob der aktuellen Probleme merkwürdig.
    All das färbt auf Dauer auf die Gesellschaft ab, der politische Kompass wird orientierungslos.

    Leider symptomatisch – auch diese Kolumne samt hinkendem Vergleich;
    So kommt man nicht voran.

    1. Mir ist leider nicht ganz klar, in welche Richtung dein Kommentar abzielt. Beispiel Energiewende: Hier hat die Ampel (Heizungsgesetz von CDU vorbereitet, Habeck setzt um) enorm viel getan, eben damit wir wirtschaftlich stabil bleiben. An Putin-Gas festhalten ist genauso wenig wirtschaftlich sinnvoll wie auf subventionierten Atomstrom zu setzen, den nicht einmal die Energiekonzerne noch herstellen wollen. Windkraft und co. sind ENORME Wachstumsmärkte für den Industriestandort Deutschland, genauso hoch ist der Wert der Arbeit von zugewanderten Personen anzusehen, ohne die nicht nur im Pflegesektor alles zusammenbrechen würde. Schon diese wenigen Beispiele zeigen doch, dass mit einem „Wir reißen die Windmühlen der Schande ein“ (AFD) oder auch der Versessenheit der Union auf antiquierte, rückwärtsgewandte Technologien der Wirtschaft ein Bärendienst erwiesen wird. Ebenso mit einer strikten, aber rein populistischen Einwanderungspolitik, die an den eigentlichen Problemen doch absolut nichts ändert. Wenn ein Straftäter eigentlich in Haft sein sollte, statt dessen aber amok läuft, ist die Herkunft ja erstmal vollkommen egal – dann hat hier eine Instanz versagt, die bei einem Deutschen Staatsangehörigen ebenso versagt hätte. Insofern: Wenn es irgendwem an Ideen mangelt, wenn Realität verweigert wird (sei es der Klimawandel oder die Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland und ein Exportland ist), dann doch aktuell (und eigentlich immer schon) von konservativen, populistischen oder eben rechtsradikalen Parteien.

  2. ZSK mit gutem Beispiel voran?
    Ich kann mich erinnern, wie diese Band 2022 aufm Sticky Fingers folgende Aussage getätigt hat:
    „Es wird Zeit, dass wir die Ungeimpften an den Rand der Gesellschaft mobben, in der Hoffnung, dass sie sich umbringen.“
    Das ist zwar Meinungsfreiheit aber ist das demokratisch? Oder ist das eine Ansage, die noch mehr zu Spaltung der Gesellschaft beiträgt?
    Als Demokrat muss man akzeptieren, dass andere Menschen eine andere politische Meinung haben und man ändert nicht deren Weltbild, indem man sie anfeindet.
    Ja, Wählen ist wichtig und sollte meiner Meinung nach auch verpflichtend sein.

    „Die Mehrheit derer, die nichts sagen, steht auf der richtigen, der demokratischen Seite.“
    Uff… eine Mehrheit legitimiert nichts.

    https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/rationalitaet_der_demokratie_nida_ruemelin

    1. Lieber Yussuf,
      wenn man auf etwas Bezug nimmt, was im Text gar nicht gesagt wurde und um das es gar nicht geht, und dann dagegen andiskutiert, nennt man das ein klassisches Strohmann-Argument, in deinem Fall noch mit einer schönen Prise Whataboutismus gewürzt. :)
      Schön, dass du trotzdem noch einen inhaltlichen Bezug hinbekommen hast. Ja, als Demokrat muss man andere Meinungen akzeptieren. Ist Faschismus und Rechtsextremismus für dich eine Meinung? Ist zB die Aussage „Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde“ eine legitime Meinung, mit der man sich inhaltlich und argumentativ auseinandersetzen sollte wie etwa mit, sagen wir, der Forderung nach einer MwSt-Erhöhung? Ist es nicht, und darum geht es doch hier. Dein Einwurf zu Mehrheiten ist interessant, aber sagt alles und nichts aus, da du einfach eine Headline kopiert und uns einen Link vor die Füße geworfen hast. So einfach haben wir es uns auch nicht gemacht. Was genau aus dem verlinkten Artikel möchtest du hier argumentativ entgegensetzen?
      Grüße aus der Red.

      1. Hallo Markus,
        mein Problem ist folgendes: Die Kernaussage, dass Wahlen in einer Demokratie unglaublich wichtig sind und uns nicht egal sein können/dürfen finde ich sehr gut. Was ich als problematisch ansehe ist, dass Menschen verteufelt werden, die ihr Kreuz an der für EUCH falschen Stelle machen und das „Weltuntergangsszenarien“ wie die Entstehung einer Diktatur herbei fantasiert werden.
        Ich bezweifle, dass all das eine Diskussion überhaupt ermöglicht, weil Menschen aus Angst vor Anfeindung sich nicht trauen werden ihre Meinung zu sagen.
        Natürlich ist das von dir gewählte Zitat ekelhaft, es ist genauso ekelhaft wie die Aussage von ZSK, aber für euch gehen sie mit „gutem Beispiel voran“. Welches gutes Beispiel?
        Ich empfinde soetwas als brandgefährlich, es trägt zu Spaltung und Radikalisierung bei. Man sollte sich gerade deswegen mit jeder Meinung auseinandersetzen, um die Menschen hinter der Meinung zu verstehen. Eine Diskussion kann immer noch ein Umdenken bewirken. Ausgrenzung führt zu Radikalisierung.
        Schade, dass ihr das Interview in meinem Link nicht gelesen habt, es ist sehr interessant. Demokratie, Humanismus, Liberalismus und am Ende wird nochmal auf Corona Bezug genommen. Dann versteht ihr vielleicht meine Wut über die Mobbingaussage.
        Liebe Grüße

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