Mein Herz brennt: Wieso Events die Veranstaltungsbranche zerstören

Dieser Text ist von Angst motiviert; von der Angst, dass mir durch die allgemeine weltpolitische Situation, durch die Entwicklung der Veranstaltungsbranche und vor allem der gesellschaftlichen Interpretation von Events das genommen wird, was mir am wichtigsten ist: Livemusik und musikalische Vielfalt. Er hat keine Conclusio. Er ist ein Lamentieren, ein Verzweifeln – und irgendwo darin versteckt vielleicht auch ein Hoffen.

Rammstein, oder: Die Faszination des Spektakels

Der Auslöser für meine Gedanken war die Reaktion auf den Vorverkauf der für 2023 geplanten Deutschlandkonzerte von Rammstein. Auch wenn ich sicherlich nicht der größte Fan der Band bin, habe ich kein Problem mit ihr und finde einige Songs auch sehr gelungen. Eines ist sowieso unbestreitbar: Rammstein sind die aktuell erfolgreichste und größte Band des Planeten. Dass VIP-Tickets für Helene Fischer hunderte Euro kosten, Guns N‘ Roses oder The Rolling Stones ebenso teuer Tickets verkaufen und genau wie Paul McCartney oder Elton John auf eine legendäre Karriere zurückblicken können und die Musikwelt im Vergleich zu Rammstein nachhaltiger geprägt haben: geschenkt. Denn auch wenn diese Bands alle mit mehr oder minder festen Setlists, fest geplanten Showelementen und wenig Überraschungen aufwarten (die man bei deren Konzerten auch gar nicht erwartet), so ist der Zuspruch der Allgemeinheit im Fall von Rammstein unübersehbar. Und hier schreibe ich sehr bewusst nicht „Fans“. Sondern Allgemeinheit.

Was meine ich damit? Die Band hat 2019 und 2022 bereits insgesamt viermal in Berlin und München gespielt, dazu noch weitere Deutschlandkonzerte. Mit einer identischen Show. Der fast gleichen Setlist (2022 gab es einige neue Nummern von „Zeit“ – diese allerdings ohne nennenswerte Showelemente). Den gleichen Feuerfontänen, den gleichen Explosionen, den gleichen Bewegungen – und das alles ist nachvollziehbar, da diese Art der Inszenierung ansonsten nicht denkbar ist. Für Spontaneität ist hier kein Platz. Und viele begeistert genau das – zu Recht, haben doch Theater- und/oder Musicalinszenierungen auch ihre Anhänger, ist Beständigkeit in einer stetig an Unsicherheit gewinnenden Welt etwas, wonach sich Menschen sehnen.

Nun wurde Anfang September 2022 der Vorverkauf für zwei weitere Shows in Berlin und zwei Shows in München für den Sommer 2023 freigeschaltet. Die gleiche Tour. Die gleiche Show. Der gleiche Bühnenaufbau. Despektierlich gesagt: das gleiche Bummbumm, das gleiche Pengpeng. Zumindest waren es zunächst vier Shows – nach diversen Serverkämpfen und endlosen digitalen Warteschlangen waren es sechs. Und schließlich sieben: vier im Münchner Olympiastadion, drei im Gegenpart in Berlin. Von der restlichen Europatour (innerhalb weniger Stunden wurden hierfür mehr als eine Millionen Tickets verkauft) und den Shows in Amerika – hier immerhin nach langer Abwesenheit – nicht zu sprechen.

Und ich sitze hier, lese davon, dass Bands, die ich schätze und die nicht das Standing von Rammstein haben, ganze Tourneen absagen müssen oder diese nur mit dem Bewusstsein starker finanzieller Verluste durchführen können und um ihre Existenz kämpfen. Und bin sprachlos und verzweifelt. Und auch – obgleich es kein schönes Gefühl ist – wütend.

Nicht auf Rammstein. Mir persönlich gibt die Band zwar nichts und ihre ohne Zweifel beeindruckende Show ist mir relativ egal. Ich habe sie vor Jahren auf dem Southside Festival gesehen und habe mich gefreut, als jemand gebrannt hat und es pengpeng gemacht hat; davor haben Portishead eines ihrer seltenen Konzerte gespielt, ohne Show, mit nur minimaler Interaktion und an Intensität schlicht umwerfend. Im Anschluss haben Sigur Rós ein bombastisches, durchkonzipiertes und inszeniertes Konzert gespielt. Vor weniger Menschen, ohne Bummbumm, ohne Peniskanone, und haben mich zu einem heulenden Klumpen Fleisch verwandelt. Mir ist also der Showgedanke nicht gänzlich fremd, meine musikalischen und inszenatorischen Vorlieben sind allerdings offensichtlich gänzlich anders ausgeprägt. Sigur Rós’ erste Show in München seit fast zehn Jahren wurde übrigens vom letztes Mal ausverkauften Zenith mit mehr als 5000 Menschen Kapazität in den ungefähr halb so großen Circus Krone verlegt.

Volle Hütten, leere Clubs

Was hat das jetzt miteinander zu tun? Viel und nichts. Dass mein Musikgeschmack vielleicht etwas abseitiger ist – egal; dass weniger Menschen bei von mir geschätzten Bands waren – irgendwie verständlich, es ist eben „speziellere“, weniger in der Masse bekannte Musik. Das an sich ist ja kein Qualitätskriterium, sondern eben subjektive Vorliebe. Aber die Wahrnehmung und Anziehungskraft der Peniskanone und des Bummbumm im Unterschied zur Anziehungskraft von Videoinstallationen und Zerbrechlichkeit haben – glaube ich – einen Zusammenhang. Und dieser führt unmittelbar in die gegenwärtige düstere Situation in der Veranstaltungsbranche und letztlich in der Musikwelt und zu fehlender Vielfalt in dem, was wir als Musikfans lieben.

Rammstein haben verstanden, wie man sich inszeniert, wie man durch Provokation in die Schlagzeilen kommt. Sie haben ihren Stil perfektioniert, stehen synonym für Show, für Spektakel und sind trotz allem nahbare Menschen geblieben, die ihre Inszenierung mit vielen Gedanken und viel Herzblut vornehmen. Sie haben den Kapitalismus so gut verstanden wie kaum jemand anderes.

Ich freue mich, dass es Menschen gibt, die Fans dieser Musik und Inszenierung sind, die dabei genau die Emotionen fühlen, die ich auf Shows von Die Ärzte (seit 2022 übrigens auch in Stadien), Sigur Rós oder Envy fühle.

Aber während Mantar große Teile ihrer Tour absagen müssen, Bands wie Watain und Abbath für ihre gemeinsame Tour um Fans betteln müssen, Punkbands oft gar nicht erst auf Tour gehen und Venues und Clubs seit Anfang 2020 immer das Damoklesschwert des Brankrotts über sich ahnen, geht es nicht mehr nur um die Fans der Band und ihrer Musik oder Show. Sondern um die Menschen, die ansonsten mit Scheuklappen gegenüber anderen Bands durch die Gegend laufen. Um die Menschen, die keinerlei Interesse am gemeinsamem Gefühl auf Konzerten, am Eintauchen in die Musik haben. Um die große Masse an Menschen, die Brot und Spiele haben wollen. Denen es nicht um die Musik geht, sondern um das Event als solches.

Eines ist auch klar: Jedes Konzert, jede Aufführung, jedes Festival ist immer auch Event. Es gibt kein Richtig und Falsch dabei, wie man eine Veranstaltung erlebt. Ich glaube aber, dass der Fokus auf das Event als solches im Vergleich zu dessen Inhalt, zur emotionalen Bindung zur Musik und zu Künstler*innen auf Dauer dazu führt, dass eben nur noch einige wenige dieser Events stattfinden können. Und die Verbindung zur Musik, zur Inszenierung und dadurch auch Diversität zu Gunsten von kultureller Monokultur verloren geht.

Eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen

Ich liebe das Gefühl, vor einer Bühne zu stehen, im Gedränge eines Clubs, im Moshpit, an der Bar, vorm Mischpult. Ich liebe es, die elektrisierende Stimmung einzuatmen, den Kopf auszuschalten, zu tanzen, die Inszenierung zu genießen. Gemeinsam mit Freund*innen, aber auch oft genug alleine. In der Menge – wie groß auch immer sie ist – zu stehen, und sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen, der es auch so geht. Vor allem geht es mir nicht darum, gesehen zu werden oder mich so zu benehmen, dass mich alle wahrnehmen. Sondern darum, dass ich Spaß habe, den Moment genieße, die Serotonin- und Endorphin-Produktion in meinem Körper ankurble. Dass ich dabei auf andere Rücksicht nehme. Sei es im Kafe Kult in München, wenn eine Screamo-Band vor 20 Leuten spielt, oder im Olympiastadion bei Die Ärzte mit 20.000 anderen Menschen. Oder eben auch bei Rammstein in restlos ausverkauften Stadien (nicht für mich, aber go for it!).

Niemand muss auf 50 Konzerte im Jahr gehen. In Anbetracht der derzeit angespannten finanziellen Lage ist es nur verständlich, wenn man zweimal überlegt, wofür man sein Geld ausgibt. Gerade nun ist aber Eskapismus in Form von Kulturveranstaltungen umso wichtiger (was ein unfassbares westliches Privileg ist, sich dieser Option zuwenden zu können). Aber wie schön ist das Gefühl, wenn man die Künstler*innen, für die man sich entschieden hat, super findet, wenn man von Freund*innen mitgeschleift wird und eine neue Band kennenlernt, seine Kinder mitnehmen will, mit seinen Eltern hingehen will, obwohl es einem selber nicht so viel gibt? Ich freue mich bei Die Ärzte jedes Mal über die 14-jährigen Kiddiepunx. Bei jeder Screamo-Show im Kafe Kult über neue Gesichter. Und darüber, dass neue Menschen dazukommen, eventuell neue Musik kennenlernen und dadurch Diversität fördern. Wenn Künstler*innen immer größer werden, weil sie immer mehr Leute gut finden.

Das alles hat dann aber eben in meinen Augen nichts mit einem Event zu tun. Gerade im Fall von Rammstein und einem nicht zu kleinen Teil ihrer Ticketkäufer*innen ist es – und das ist eine rein subjektive Behauptung, die sich in meiner Wahrnehmung begründet – wie bei den „Fans“ der Bayern oder der New England Patriots: Der Sport und das Team ist einem egal, aber man ist – um ein Wort meines Heimatlandes Bayern zu nutzen – adabei. Grob gesagt meint diese Bezeichnung jemanden, der/die auch dabei sein will, um mitzureden, um gesehen zu werden. Um seiner oder ihrer selbst willen. Man kann am Tag drauf sagen, dass man ja was erlebt hat, dass „mein Team“ gewonnen hat, dass das Feuer bei Rammstein schon ganz schön warm war; während man währenddessen Börsenkurse auf dem Handy gecheckt hat, Selfies mit dem/der Sitznachbar*in gemacht hat, grade am Bratwurststand war oder möglichst laut geredet hat, damit alle um einen rum mitbekommen, dass man gerade die dritte Gehaltserhöhung bekommen hat. Da wird dann die Pommesgabel in die Luft gehoben und am nächsten Tag sagen dann alle im Büro „Rammstein? Ich hör ja sonst kein Metal, aber die find ich super!“ Das ist total gut für dich – aber bei einem Großteil der Leute, die Tickets für Rammstein kaufen und sich keinen Deut um Musik scheren, führt das zu Problemen.

Denn diejenigen, die sich eher weniger Konzerte leisten können, geben ihr Geld aus Liebe zur Musik und zu den Künstler*innen, die nun aus unterschiedlichen Gründen in Stadien spielen, für diese Events aus, die immer mehr Leute anziehen, was zu mehr dieser Events führt, was den Fans mehr Geld aus der Tasche kitzelt, das dann nicht mehr in andere Shows investiert werden kann. Und auf den Shows selbst nimmt der Anteil von „Menschen wie mir“ ab, denen es um die Musik, um die Show, um das Gemeinschaftsgefühl geht. Stattdessen nimmt das auf sich fokussierte FDP-Klientel zu, denn erschwinglicher werden diese Events dadurch nicht. Angebot und Nachfrage. Aber von wem und – literally – zu welchem Preis?

Event vs. Content

Im Fall von Harry Styles, bei dem ich bezüglich der Kosten und der Größe der Shows genau die gleichen Argumente anbringen könnte, habe ich das Gefühl, dass hier die Begeisterung für die Musik und für die großartigen Aussagen dieses Popsängers dominieren. Dass genau der Wunsch nach Gemeinsamkeit, nach dem Gefühl dominiert, das Konzerte auslösen (können). Dasselbe in klein bei Phoebe Bridgers. Wieso ich das vermute, ist allerdings der nächste Grund für Bedenken: Social Media. Vermutlich alle Timelines sind voll von Eventfotos; und oft kann man von der Person, die hier postet und von der Art des Motivs darauf schließen, wie diese Person das Konzert sieht. Ob sie wirklich auf dem Konzert ist – oder sich eher um den Verkauf der nächsten Eigentumswohnung kümmert.

Ebenso auf Social Media zu sehen: die reinen Events, bei denen Musik gar keine Rolle spielt. Hiermit meine ich Shows von beispielsweise Helene Fischer, mit VIP-Tickets für mehrere 100 Euro, und danach auf TikTok und anderen Plattformen geteilte Reaction-Videos darüber, wie man dort behandelt wurde (das Schweinefilet war wohl früh aus). Jede Person freut sich über einen guten Platz, mit Sicht auf die Bühne oder Platz zum Tanzen, einem Bierstand in der Nähe – aber wieso sollte ich auf ein Konzert gehen, wenn ich mich primär um die Rahmenbedingungen, die Essensversorgung oder die Gastfreundschaft kümmere?

Als ich meine Konzertplanung durchgegangen bin und alle Websites nach Ankündigungen durchsucht habe, waren alleine in München gut ein Viertel aller Shows abgesagt. Künstler*innen trauen sich nicht mehr, Tourneen zu buchen, da sie keine Planungssicherheit haben. Gestiegene Produktionskosten, Spritkosten etc. führen zu immer kleineren Gewinnmargen. Auch kleine Shows müssen so teurer werden – und das Geld dafür fehlt dann noch mehr Menschen. Weil nur Events funktionieren. Weil sich alle bei Rammstein in die digitale Schlange einreihen, während im lokalen JUZ die Spinnweben in der Ecke wachsen. Während die Lieblingsband deines Sitznachbarn bei Rammstein aufgeben muss.

Was tun?

Gibt es hier eine Lösung? Nicht wirklich. Ich freue mich für alle meine Freund*innen, die Tickets für Rammstein haben. Die diese Show genießen werden. Und ich will, dass sie weiter dorthin gehen. Aber ich will so sehr, dass ich auch weiterhin zu Mantar gehen kann. Zu Der Weg einer Freiheit (die ihre aktuelle Clubshow nur mit dem Bewusstsein, hier eventuell draufzahlen zu müssen, allen Widrigkeiten zum Trotz durchführen). Zu den Beatsteaks (ja, auch bei dieser erfolgreichen Band ist es dank Corona eng geworden, wie sie letztens bei einer Show in München in einer Ansage erwähnt haben). Ich wünsche mir, dass Konzerte für die große Menge gleichzeitig Eskapismus und Leidenschaft sein können. Dass der Gedanke an Events zurückgeht. Dass viele der Leute, die zu Rammstein gehen, zu Harry Styles gehen, zu Guns N‘ Roses gehen, zu Die Ärzte gehen oder sich für Wacken oder die Full Metal Cruise begeistern können (zwei Veranstaltungen, die quasi nur noch den Eventcharakter über ihren Kultfaktor in den Fokus rücken), danach auch auf kleinen Shows vorbeischauen. In andere Bands und Künstler*innen reinhören. Und merken, wie gut es tut, sich in der Musik zu verlieren. Über Inszenierungen zu lachen. Menschen kennenzulernen. Sich wohlzufühlen. Im Moment zu sein.

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6 Kommentare zu “Mein Herz brennt: Wieso Events die Veranstaltungsbranche zerstören

  1. Spannende Kolumne, und auch sehr interessante Gedanken in den Kommentaren.

    Ich möchte noch einen Gedanken einwerfen:
    Vielleicht müsste man das Alter der Besucher*innen stärker in den Blick nehmen, und damit auch ihre finanziellen Möglichkeiten. Ich bin selbst Ü40, und ich könnte mir eigentlich nicht mehr vorstellen, wieder so viele Konzerte zu besuchen, wie ich es vielleicht mit 16-30 getan habe. Meine Interessen haben sich geändert, meine Lebenssituation hat sich geändert. Aber ab und zu reizt es mich dann doch, wenn die „alten Helden“ nochmal in der Stadt sind, und dann kauf ich eben Depeche Mode, Iron Maiden für 100 Euro, Blind Guardian für 60. Ich würde daher auch nicht jedem Rammstein-Besucher absprechen, auch Musik-Fan zu sein, obwohl bei allen Genannten auch der Event-Gedanke eine Rolle spielt. („Wer weiß, vielleicht die letzte Tour?“ Ich ärgere mich heute noch, niemals Rush gesehen zu haben.)

    Und vielleicht kommt keine junge Generation nach, die sich so für Live-Musik begeistert wie ich damals?

    (Oder die Finanzsituation sorgt bei ihnen dafür, dass sie sich lieber 1x Maiden gönnen, statt fünf kleinerer Bands.)

    1. Das habe ich auch nirgendwo geschrieben: „Die Band hat 2019 und 2022 bereits insgesamt viermal in Berlin und München gespielt, dazu noch weitere Deutschlandkonzerte.“

  2. Hmmm, ja und nein! Ohne Zweifel stirbt da etwas, aber was? Ich kenne keine Zeit, in der mehr kleine Gruppen via Social-Media überhaupt einen Fuß in Tür bekommen als heute. So viel Diversität gab es noch nie, auch international, Bloodywood wär hier vielleicht zu nennen. Früher kannte ich zehn Gruppen als Empfänger meiner schwer verdienten Öcken, heute sind es hundert… allerdings verdiene ich nicht hundertmal so viel. Die Diversität schadet sich hier in gewisser Weise selbst, indem so viel supergeiles Zeug rauskommt. Es liegt im Weiteren dann aber schon auch an der Formation, ein bisschen Marketing-Witz hinzulegen und z. B. schöne T-Shirts zu gestalten. Einfach Scheiße auf den Markt werfen und sich dann beschweren, is halt nicht. Und wenn man nicht das ganz große Grafik-Programm einkaufen kann, dann macht man halt einen Scherenschnitt oder lässt sich sonst was Cooles einfallen.
     
    Dank Social-Media sind die Gruppen auch nicht auf das Touren angewiesen, um Bekanntheit zu erlangen. Sie wollen sich was verdienen, die Leute sehen und Spaß haben. Die Touren werden abgesagt, was fehlt ist also das Geld verdienen. Dann wird Musik halt nur noch ein Hobby sein und man ist wesentlich weniger auf Vertragszwänge etc. angewiesen, die, seien wir ehrlich, auch ziemlich viel Unrat produzieren lässt. Zumindest mir geht es so, dass auf den meisten 12 Song-Alben vier geile Hits drauf sind, vier durchschnittliche Songs, die nicht weiter stören, und vier Volltröten. Da kauf ich dann halt vier Songs für vier Euro, statt ein Album für 15 Euro. Dann halt wirklich nur vier Songs rausgebracht als Hobbygruppe, mit moderner Technik geht da schon ziemlich viel und so teuer wie das einstmals war, ist es auch nicht mehr. Viel läuft in den Programmen schon automatisch. Es sparen sich alle was. Einkaufen via Bandcamp oder so…
     
    Die Clubs, die hier sterben, sind ehrlich gesagt nicht heute gestorben, sondern siechen schon lange. Die Besitzer haben Zeichen der Zeit nicht erkannt und eine Modernisierung nach 30 Jahren Siffe kam halt aus Stilgründen nicht in Betracht, Digitalisierung ist ein Fremdwort. Den Alten fiel das nicht auf, aber die anderen ekelten sich dann doch. Einige haben renoviert: Ist jetzt nicht mehr meines, geh ich nicht mehr hin… aber der Laden is voll, die anderen, die Jugend, wer auch immer ist halt jetzt dort, und zwar jede Woche mehrmals. Ich hätts vielleicht einmal alle zwei Wochen geschafft. Klar, meine Welt stirbt, aber nicht die Welt. Die Jugend ist auch anders sozialisiert, sie erkennt andere Werte und Vorzüge an. Es erinnert mich ein bisschen daran, als mit dem Einzug des TV der Untergang des Abendlandes prognostiziert wurde, Werteverfall etc. Und heute? Ja, die ganzen Eckkneipen, wo sich die Prä-TV-Männerwelt getroffen hat, sind weg. Ein Verlust? Für die Prä-TV-Männerwelt, so es sie noch gibt, sicherlich. Für die CD-Fans? So es sie noch gibt, sicherlich. Für die Fans alter nicht gespurter Aufnahmen? Sicherlich, so es sie noch gibt. Für die Uriah Heep-Fans? So es sie noch gibt, for sure. Für Fans der Album-Kultur? S. o., so es sie noch gibt.
     
    Vielleicht ist die Konzertkultur, wie wir sie kennen einfach nur aus der Zeit und muss umgedacht werden, vielleicht in Richtung Events, nur noch Festivals?? Vielleicht touren Gruppen in Zukunft alle alleine und treffen sich via I-Net-Plattformen in bestimmten Clubs, ohne große Orga. Ehrlich gesagt, die Werbung durch Plakate der Ticketanbieter kann nicht den Unterschied ausmachen. Oder die Club-Atmosphäre dann via Avatar-Auftritte, die Gruppen performen von zuhause aus, spart Kosten und Logistik. Ist nicht meine Welt, aber ich werd halt dann eine der raren Live-Touren besuchen und hab dafür wieder Geld übrig, was weiß ich. Bleibt für mich die Frage, was stirbt? Ich denke, dass ich es bin, da meine Welt zugrunde geht.
    Vielleicht erfinde ich mich aber einfach ein wenig neu…

    1. ich bin eher der aussterbende Old School Metalhead, aber hier stimme ich dir zu, Fenrir. Im Laufe der Zeit gehen Dinge verloren, das ist schade, weil es oft ein Teil der eigenen Welt ist. Gegenwart wird Vergangenheit. Aber daraus wachsen neue Dinge. Damit muss man umgehen können. Letztlich kann ich den Gehalt der Kolumne nachvollziehen, weil es wichtig ist, die geliebte Gegenwart so lange wie möglich zu bewahren. Am Ende ist es jeder Einzelne der stirbt, und damit immer auch ein Teil Anderer.

  3. Danke für diese Kolumne. Ich habe meine Gedanken in der Hinsicht schon in der Kommentarspalte Eurer letzten Kolumne „Das Vorverkaufsdilemma. Oder: Wie wir uns selbst die Tour vermasseln“ zum Ausdruck gebracht. Irgendwie hängt da ja alles miteinander zusammen. In der Kolumne hier wird Social Media erwähnt. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, der zu dieser ganzen „Eventisierung“ beiträgt. Man ist wichtig, man ist dabei und deswegen teilt man während des Events und hinterher fleißig vom „Dabei-gewesen-sein“ auf Social Media. Die Musik? Das „im Moment sein“? Verschwindet immer mehr. Da muss ich aber auch sagen, dass ich das auch auf kleineren Events beobachte (Ich selbst bin halt bevorzugt eher auf kleineren Events unterwegs). Da werden auch Selfies geschossen, zum Beispiel mit flüchtigen Bekannten, die man zufällig auf einem kleinen Gig trifft, und dann wird im Text zum Bild auf Instagram so getan, als hätte man die ganzen Nacht zusammen gefeiert („#BestNightEver!). Und in Wirklichkeit hat man vielleicht fünf Minuten Small-Talk gehalten, wenn überhaupt, bevor eben eine der Parteien sein Smartphone zückte. Ich habe es auch schon erlebt, dass auf einem Konzert ein Wildfremder ein Foto mit mir und meiner Gesellschaft machen wollte. Er war alleine auf dem Konzert. Und das sind nicht nur jüngere Leute. Das geht durch alle Altersklassen und Schichten. Man lebt nicht mehr „in der Welt“ und geniesst Momente in der Realität, wie eben auf einem Konzert. Man lebt im und für das Internet. Hauptsache, das Instagram-Profil sieht interessant und ästethisch aus. Das ist beim Thema „Hochzeit“ nicht anders. Was und wie da heutzutage alles für Instagram & Co. inszeniert wird… Da fehlen einem wirklich die Worte. Statt diesen Meilenstein im Leben eines Menschen einfach nur zu genießen… Wirklich traurig. Und weil Herzchen, Likes und Followers auf Instagram & Co. heutzutage eben so wichtig sind, vermute ich auch, dass auch genau das zu dieser Kluft beiträgt: „Beim Bumm-Bumm und Peng-Peng bei Rammstein dabei zu sein und Fotos davon zu teilen gibt mir mehr Herzchen, Likes und Followers als eine unbekannte(re) Band, also gehe ich eben zu Rammstein.“
     
    Ich gehe auch ganz stark davon aus, dass dieser ganze VIP-Ticket-Quatsch gerade wegen Social Media so gut funktioniert. Da kann man sich dann zum Beispiel im VIP-Zelt fotografieren: „Seht her, ich bin nicht nur dabei, sondern besser / wichtiger als die Anderen hier! Die Anderen haben nur Bratwurst, aber ich habe Schweinefilet / könnte Schweinefilet haben.“ So sehr ich diesen ganzen VIP-Ticket-Quatsch normalerweise verachte: Als ich das von Euch verlinkte TikTok-Video gesehen habe, hatte ich zum ersten Mal Verständnis für die Leute, die so etwas anbieten. Wenn wirklich so viele Leute so – Entschuldigung – dumm sind, hunderte Euros für solch einen Firlefanz zu bezahlen… Warum sollten sich Leute mit Geschäftssinn das entgehen lassen?!? Der Fehler liegt hier ja wohl viel vielmehr beim Konsumenten. Und ich stehe normalerweise immer auf der Seite der (potenziellen) Konsumenten. Der Herr im TikTok-Video hatte wohl gehofft, auf Social Media schön protzen zu können. Das hat aber nicht geklappt. Also meckern. Hauptsache irgendetwas auf Social Media, damit sich die Investition für den VIP-Quatsch trotzdem noch irgendwie gelohnt hat.
     
    Ich persönlich glaube, dass das Club-Sterben, das schon lange vor Corona im Gange war, weitergehen wird. Corona und was für Krisen wir jetzt haben und noch haben werden sind nur Katalysatoren einer Entwicklung, die schon ganz klar vor Corona begonnen hat. Die Clubs sterben aus, und somit auch die kleinen Gigs. Man setzt nur noch auf die ganz grossen Maschinen á la Rammstein, die eh schon laufen und für die man nicht mehr soviel tun muss, damit sie laufen. Eine Tourankündigung – und die Tickets sind sofort weg. Kein Plakatieren, kein Flyerverteilen, kein gar nichts ist hier notwendig. Es läuft halt. Bis es irgendwann halt nicht mehr läuft, weil Rammstein & Co. in Rente gehen. Und dann? Hologramm-Konzerte? Nachwuchs gibt es dann ja nicht, weil man in den partout nicht mehr investieren wollte. Wenn es dann irgendwann gar nichts mehr in der Richtung gibt, was bleibt vor allem der Jugend dann? Drogen? Ich weiss es nicht.
     
    Die jüngeren Leute mögen teilweise vielleicht schon jetzt keinen Bezug mehr zu Live-Events (in kleinerem Rahmen) haben. Im Alter 30 bis 55 sehe ich da aber auch ein Problem, das erst vor zwei Wochen wieder ganz gross zum Vorschein gekommen ist: Ministry, The 69 Eyes und Wednesday 13 sollten auf grosse Europa-Tournee kommen. Und bis heute gibt – mit Ausnahme von Wednesday 13 – niemand zu, dass diese Tour seit mittlerweile schon zwei Wochen (!) komplett abgesagt ist. Kein Statement, kein gar nichts. Es wird einfach totgeschwiegen. Wie unprofessionell und respektlos kann man gegenüber denen, die sich Tickets für diese Konzerte geholt haben, eigentlich sein?!? An den Schaden für die Szene allgemein wird da offensichtlich auch gar nicht gedacht. Im Alter 30 bis 55 haben die „Konsumenten“ in der Regel Arbeit, Kinder, Enkelkinder et cetera. Da ist mitunter viel zu organisieren, um überhaupt mal auf ein Konzert zu kommen. Wenn jetzt kleinere Bands ihre Gigs aus „logistischen Gründen“ absagen müssen, ist das blöd, aber verständlich. Wenn aber Absagen nicht mal stattfinden… Ist es dann nicht nur menschlich, dass sich der eine oder andere „Konsument“ dann sagt: „Ach, da gehe ich lieber zu Rammstein, denn falls die absagen, wird mir das auch entsprechend ordentlich mitgeteilt“…?

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