Vor knapp einem Jahr hatte ich hier eine Kolumne zum Thema „Das Geschäft mit dem Personenkult. Oder: Wie aus Fans VIPs wurden“ geschrieben. Der Inbegriff der Abzocke war für mich damals die Vermarktung von Meet & Greets und ähnlichen unvergesslichen Erlebnissen. Doch weil die Devise wohl mittlerweile heißt, die Kuh zu melken, wo es geht, werden Veranstalter nicht müde, sich neue Methoden und Kniffe einfallen zu lassen, aus dem Rock-Zirkus Kapital zu schlagen.
Der neueste Trend
sind „Front Of Stage“-Tickets für den „Golden Circle“, wie es beim Ticketportal Eventim heißt. Mit anderen Worten: Ein Innenraum im Innenraum. Für all jene, die gerne vorne mit dabei sind. Aber nicht so gerne lange vor der Halle warten. Oder sich durch verschwitze Leiber kämpfen. Dafür aber bereit sind, für diesen Luxus einen Aufpreis zu bezahlen. Das Konzept ist so einfach, dass man sich fast fragt, warum es erst jetzt in Mode kommt: Der Bereich vor dem „Wellenbrecher“, der Sicherheitsabsperrung im vorderen Hallenteil, ist nicht mehr für die, die zuerst kommen, frei zugänglich, sondern von vorneherein nur für Inhaber eines speziellen Tickets – für das natürlich ein Aufpreis fällig ist.
„Bessere Plätze, teurerer Preis“
ist nun freilich keine neue Regel. Ob in der Oper, im Theater oder bei bestuhlten Rock-Konzerten – immer kostet der Luxus von Bühnennähe oder einer besonders guten Sicht auf das Geschehen einen entsprechenden Aufpreis. Warum also nicht auch für den Innenraum? Schließlich ist auch „vorne drin stehen“ ein Luxus, den man sich nicht leisten muss, wenn man nicht will. In der Regel ist der Sound beim Mischpult, also in der Saalmitte oder gar am hinteren Ende der Halle, sowieso besser.
Weil die Arena anders ist.
Obwohl zumeist als erstes ausverkauft, kosten Stehplätze selbst in den größten Stadien weniger als die guten Sitzplätze. In der Arena selbst gelten eigene Gesetze. Hier gibt es keine nummerierten Sitzplätze, keine Reservierungen – „weggegangen, Platz gefangen“ heißt die Devise, und wenn es sein muss, wird da auch mal nachgeholfen. In den ersten Reihen wird geschoben, gekratzt und gebissen, dahinter gedrückt, geschubst und gemosht. Das alles, um der Band so nah als nur irgend möglich zu sein.
Das mag archaisch klingen,
nach „Recht des Stärkeren“, nach Anarchie. Und das mag aus Sicht all derer, denen die körperliche Statur zum Dagegenhalten und Mitmischen fehlt, unfair sein. Und doch gab es auch sie schon immer, die zierlichen Mädchen, die sich verbissen ans Geländer des Pressegrabens klammern. Am Ende hieß „Arena“ nämlich auch, dass der, der den größten Einsatz zeigte, es bis ganz nach vorne schaffen konnte. In der Regel waren das die extrovertiertesten Fans, die der Band dann aus den ersten Reihen die Hingabe entgegenbrachten, nach der sich alle Musiker sehnen. Das Resultat waren emotionale Entladungen im Bereich direkt vor der Bühne, laute Schreie, fliegende Fäuste – mitunter auch mal in Richtung des Nebenmanns, wenn dieser gerade zum fünften Mal versucht hat, seine Freundin auch noch irgendwie in die erste Reihe zu mogeln. Doch selbst wenn er damit Erfolg hatte, konnte die Band sich zumindest sicher sein, hier auf ihre engagiertesten Jünger(innen) herabzublicken: Auf Fans, die trotz Regen, Schnee oder sengender Sommersonne stundenlang vor der Halle ausgeharrt hatten, um am Einlass auch ja die Ersten zu sein. Oder die sich unter den bösen Blicken tausender Konzertbesucher von ganz hinten noch bis ganz nach vorne durchgekämpft hatten. Damit ist es jetzt vorbei.
Wer vorne sein will,
muss heute (nur) einen Aufpreis zahlen – schon kann er auch bequem nach den lästigen Vorbands eintrudeln und sich trotzdem direkt vor der Bühne breitmachen. Das „Front-Of-Stage“-Ticket kann so schnell zum Stimmungskiller avancieren. Denn dass das nicht nur für die Support-Acts ein Schaden ist, liegt auf der Hand: Während das Einkommen und damit das für Konzerttickets verfügbare Geld zumeist mit dem Alter steigt, verhält es sich mit der Energie und dem Enthusiasmus in der Regel andersherum. Statt diesen Eigenschaften entscheidet nun allein der dickere Geldbeutel, die Schlacht um die besten Plätze wird bereits im Internet ausgefochten. Und eben nur da: Wer sich den Luxus nicht leisten kann oder den Kampf in der Warteschleife des Ticketportals um die raren Elite-Tickets verliert, steht hinten. Und das gegebenenfalls auch noch alleine: „Für welchen Innenraum hast du denn Tickets?“ lautet eine mittlerweile gängige Frage in meinem Freundeskreis.
Klingt doch fair,
mag nun der eine oder die andere denken: Zehn, vielleicht 20 Euro mehr, dafür einen guten Platz sicher. Trotzdem tut es weh, wenn im Heiligsten einer Konzerthalle, der Arena, statt Moshpits eine erbitterte Kommerzschlacht tobt. Vielleicht mag meine Sicht der Dinge hier verklärt, idealisierend oder weltfremd sein. Vielleicht ist der „Golden Circle“ aber auch erst der Anfang, und Innenraum ist bald nicht mehr Innenraum, sondern eingeteilt in weitere Zonen, die nur dem Namen nach „Metal“ sind … in Silber-, Kupfer-, Bronze- und Blei-Gürtel.
Nun ja, ich bin mit 1,60 Meter Körperhöhe und 55 kg doch heil froh, ohne blaue Flecken und mit einem GESEHENEN Konzerterlebnis dank Front-of-stage-Tickets nach Hause gehen zu dürfen. Denn selbst die billigeren Plätze im Massenstehplatzinnenraum sind für mich in der Vergangenheit dann doch weg geworfenes Geld, weil ich wirklich nichts sehen konnte. In diesem Sinne, haut ruhig weiter auf die ach so böse reiche Welt, aber ich freue mich, endlich auch ein Konzerterlebnis positiv erleben zu dürfen.
Das kenn ich zu gut, geht mir genauso…und ganz ehrlich…die Typen über 1,85 m interessiert es im Regelfall einen scheiß, ob die kleine zierliche Frau etwas sieht…gerade erst wieder erlebt…Typ ca. 1,90 m mit Freundin ca. 1,75 m…kommen rein, stellen sich vor dich und stehen da für den Rest des Abends wie angewurzelt und völlig unbeteiligt und desinteressiert…Stöpsel in den Ohren und außer mal kurz Augentropfen reinmachen „wegen dem vielen Staub in der Luft“ keine Regung…SOLCHE MENSCHEN HASSE ICH! Wozu gehen die auf ein Konzert…um kleineren Menschen den Tag zu verdauen, oder was🤷🏻♀️
Aber es zwingt dich doch niemand, an genau demselben Platz stehen zu bleiben? Eventuelles dichtes Gedränge hin oder her, das unterscheidet die Steh- ja von den Sitzplätzen. Und anderen Leuten vorzuwerfen, den ganzen Abend „wie angewurzelt“ zu stehen und sich dann darüber zu beklagen, obwohl man GENAU DASSELBE tut (und NUR DESHALB überhaupt Grund zu mosern hat), ist auch irgendwo unstimmig in der Argumentation, oder?
Vielleicht fühle ich mich auch nur angesprochen, weil ich dieser 1,90-m-Typ bin – aber ich achte in der Regel darauf, dass ich mich nicht direkt vor (deutlich) „kleinere Menschen“ stelle. Kleinere Menschen mögen hier generell die Arschkarte gezogen haben, aber ich kann wiederum auch nichts für meine angeborene „Fremdsichtbehinderung“. Und wenn ich das auch mal loswerden darf, da gerade am Wochenende erlebt: Für die Mini-Frauen (es sind immer Frauen), die mir auf die Schulter tippen und sagen, sie sähen nichts wegen meiner Körpergröße, während DIREKT VOR MIR noch ein Quadratmeter Platz ist, hab ich tatsächlich wenig Verständnis. Man hat nunmal diesen exakten Spot, an dem man im Stehplatzbereich gerade ist, nicht für sich gepachtet. Oft habe ich den Eindruck, dass manche davon aber ausgehen. Heißt aber auch, dass man da nicht bleiben muss, wenn ein rücksichtsloser Hüne daherkommt. Einfach gegenseitig Verständnis und Rücksicht zeigen im Stehplatzbereich, und wenn das beim Gegenüber ausbleibt, etwas mobil und flexibel sein – dann ist der Tag auch nicht versaut.
In gewisser Weise muss ich dir widersprechen, Markus: Wenn sich über stunden des Wartens auf eine Show eine gewisse Stehkonstellation ergeben hat, empfinde ich es selbst als Großgewachsener als dreist, wenn sich jemand kurz vor Showbeginn mit roher Gewalt dazwischendrängt. Das ist im „beweglichen“ hinteren Teil sicher anders, aber in den ersten Reihen gehört sich das einfach nicht. Sei rechtzeitig da, oder schau, was während der Show passiert.
Was das klein/groß-Ding konkret angeht: Das Problem ist ja, dass es schlussendlich nichtmal viel bringt, wenn EIN großer Mensch einen kleinen vorlässt. Ich selbst bin mit knapp 1,80 zum Glück über der kritischen Grenze, was das Sehen angeht, aber unter der, mit der man automatisch als Sichtbehinderung gilt ;) … aber ich sehe es ja bei meiner Frau … wenn wir nicht bis mindestens zur dritten Reihe vorkommen, sieht sie nichts, egal, ob das jetzt die fünfte oder die 15. oder die 50. Reihe ist.
Insofern – um den Bogen zum Artikel zurück zu spannen – sehe ich allein darin keinen Vorteil für kleinere Menschen – die müssen nach wie vor schauen, dass sie GANZ vor kommen, oder eben weiter hinten stehen, um etwas Abstand zum Vordermann und damit einen besseren Winkel hinzubekommen. Das ist aber beides genauso gut möglich, wenn die Innenraum-Fans über die Zeit des Erscheinens, nicht aber über ein teureres Ticket selektiert werden.
Natürlich ist es dreist und gehört sich nicht. Mein Punkt ist, dass man dennoch keinen Anspruch auf einen konkreten Fleck hat und es dann auch nichts bringt, die Kartoffel raushängen zu lassen, auf sein (vermeintliches) Recht zu pochen oder keine Anstalten zu machen, an der Situation selbst was zu ändern, den Rest des Abends stinkig zu sein und sich das Konzert davon vermiesen zu lassen. Ich ergreife also keineswegs Partei für solche Egoisten (muss ich wohl nicht gendern), gebe aber zu bedenken, dass es eben manchmal nur hilft, zähneknirschend hinzunehmen, dass es solche Besucher gibt, und diese zu meiden.
Dass noch lange kein tolles Konzerterlebnis für eine kleingewachsene Person garantiert ist, wenn ich, eine einzelne Person, diese vor lasse, ist doch auch klar; es geht darum, dass in diesem Moment nicht mehr ich das Problem darstelle – mehr kann ich auch nicht tun (na ja, mal auf die Schultern nehmen vielleicht, aber man hat dort auch so schon genug ungewollten Körperkontakt mit Fremden – und ggf sofort protestierende Leute hintendran).
Wenn es nicht gerade dein erstes Konzert ist, weißt du, worauf du dich einlässt, wenn du als kleine Person auf eine Show gehst und welche potenziellen Behinderungen lauern. Es wird immer Situationen geben, die aufgrund physischer Unterschiede als ungerecht ausgelegt werden können, nicht nur auf Konzerten. Warum zahle ich zB bei Fluggesellschaft XY Strafgebühr für meine 2 kg Übergepäck, während der Typ im Sitz neben mir einen Zentner mehr wiegt als ich? ;) (Das nur als polemischer (!) Einwurf, no fatshaming.)
Zum gespannten Bogen würde ich sagen, dass es sogar BESSER möglich ist, über ein frühes Erscheinen ganz nach vorne zu kommen (was nach deiner Argumentation ja für kleinere Menschen zwecks guter Sicht nötig bzw eine von zwei Optionen ist), als über ein FOS/GC-Ticket. Denn auch wenn du 1,60 m groß bist und ein „besseres“ Ticket hast – kommst du später, werden die ersten Reihen so oder so schon mit anderen Leuten voll sein. Dessen ungeachtet ist auch eine frühe Anreise ein Luxus, den man sich leisten können muss (im Artikel wird Luxus vornehmlich mit dem Aufpreis bzw einem dickeren Geldbeutel in Zusammenhang gesetzt).
…dieser Artikel trifft den Nagel auf den Kopf: jeder erwartet nur mehr – ohne selbst etwas dafür zu tun, ausser sich ein teures Ticket zu leisten. Der Spass, die Energie, die Freude, das Adrenalin – all das findet man nicht mehr, wenn man sich unter alle anderen erwartenden, betuchten Fans stellt. Man kann noch so viel Energie reintun, tanzen und schreien, wenn dein Nebenmann da steht wie ein Pflock und nur mehr das verdammte smartphone in die Höhe hält, fühlst du dich bald leer und alleine.
Steht man bei den Sitzplätzen auf und grooved zur Musik kannst du dir von hinten anhören, dich wieder zu setzen, da du die Sicht versperrst…leider ist es eine Grundhaltung unserer Gesellschaft geworden; nur mehr passiv zu sein, keine Courage oder Engagenment zu zeigen und ständig auf anderen herumzuhacken.
Das macht sich dann selbst dort bemerkbar, wo man es am wenigsten vermutet, weil man sich ja eigentlich unter Gleichgesinnten wähnt, die den gleichen Musikgeschmack haben wie man selbst…in diesem Sinne: FUCK THE GREEN MACHINE , see the human being in the loving stream!!!!!