Wargasm Artwork

Review Wargasm – Venom

An Nu Metal scheiden sich die Geister: Für die einen eine der innovativsten Strömungen in der härteren Gitarrenmusik der neunziger Jahre, für die anderen der … nun ja, der Antichrist des Heavy Metal, ausnahmsweise im negativsten Sinne dieser Formulierung. Obwohl gerade hier Genregrenzen weiter als je zuvor aufgeweicht wurden, war der Drops in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts weitestgehend gelutscht: Das Subgenre hatte nur noch wenig Frisches und Neues zu bieten und wurde mehr oder weniger offiziell für tot erklärt. Und dann kamen WARGASM …

Das nordirische Duo, bestehend aus dem Produzenten, Gitarristen und Sänger Sam Matlock (übrigens der Sohn des ursprünglichen Sex-Pistols-Bassisten Glen Matlock) und der Bassistin und Sängerin Rachel Alexandra Hastings alias Milkie Way, konnte ab 2019 einige Achtungserfolge verzeichnen: WARGASM veröffentlichten innerhalb eines Jahres eine Handvoll Singles inklusive nicht ganz unaufwendig produzierter Videos, konnten dann aber spätestens mit der offiziellen Debüt-EP „Explicit: The Mixxxtape“ die Aufmerksamkeit der britischen Musikpresse auf sich ziehen und wurden als „das nächste große Ding von der Insel“ bezeichnet.

Bereits damals schon auffallend professionell und gut produziert, konnten Matlock und Way außerdem mit einer extrem energetischen Live-Präsenz und großer Spielfreude überzeugen. Stilistisch irgendwo zwischen urbritischer Breakbeat-Elektronik, Alternative, Metalcore und eben Nu Metal wirken die Konzerte auch heute noch wie eine Mischung aus Mid-Nineties-Warehouse-Rave (The Prodigy lassen grüßen) und Riot-Girl-Hardcore-Punk-Konzert – trotz aller Härte mit durch und durch positiver und Ohrwurm-Attitüde. Was sich auch in den von 90er-Jahre-Popkultur durchtränkten Lyrics widerspiegelt: Es geht, mit einem merklichen Augenzwinkern, um Sex, Drugs, Rock ’n’ Roll und das Ende aller Tage, frei nach dem Motto: wenn schon Weltuntergang, dann wenigstens mit Party.

Und „Party“ können WARGASM. Balladen sucht man auf „Venom“, dem ersten Longplayer der Band, vergeblich. Die Nine-Inch-Nails-Hommage „Modern Love“ (das ist schon der Closer-Beat, oder?) kommt dem noch am nächsten – wäre da nicht der Albumcloser „Sombre Goodbye“, in dem Matlock tatsächlich eine knappe Minute extrem atmosphärische Synthieflächen inklusive passendem, traurigen Gesang präsentiert … um dann von seiner Bandkollegin aufs Härteste darauf hingewiesen zu werden, dass niemand so etwas von ihnen hören möchte. Denn WARGASM klingen …

Fett. Hart. Groovy. Tanzbar. Und dabei irgendwie sexy. Dass Limp Bizkits Fred Durst auf der Single „Bang Ya Head“ zu hören ist, ist dabei ähnlich konsequent wie die Nutzung der ikonischen Bassline von Björks „Army Of Me“ beim Ohrwurm „Death Rattle“. Apropos Ohrwurm: Ausnahmslos jeder Song auf „Venom“ fällt in diese Kategorie. Und WARGASM klingen dabei stets charakteristisch, aber auch äußerst facettenreich: „Sonic Dog Tag“ hat im Chorus ein bisschen was von Linkin Park (deren Debütalbum „Hybrid Theory“ ist in den Augen des um die Jahrtausendwende musikalisch sozialisierten Duos eine wichtige Referenz), „Do It So Good“ ist fraglos eine Verbeugung vor The Prodigy. „Ride The Thunder“ unterstreicht mit seiner Four-To-The-Floor-Bassdrum den Rave- und Party-Anspruch der Band.

Auffällig neben der extrem druckvollen und fetten Produktion ist auch WARGASMs Händchen für Hooklines. Gerade Milkie Ways Gesangslinien bleiben regelmäßig im Ohr hängen und erinnern maßgeblich (nur vom Feeling, ohne zu kopieren) an Popularmusik unterschiedlichster Genres (und auch fernab von jeglicher Form von Metal) aus der Zeit um das Jahr 2000 herum. Und all das macht „Venom“, so cheesy und überproduziert das Album auf den ersten Eindruck auch ist, zu einem überraschend unterhaltsamen, detailverliebten sowie wirklich authentischen und frischen Potpourri aus allem, was geneigte Zuhörer*innen vor ungefähr 30 Jahren so geliebt haben – zeitgemäß verpackt und dargeboten.

Es bleibt festzuhalten: Obwohl quasi für tot erklärt, kann Nu Metal durchaus noch funktionieren, ohne dabei komisch zu riechen – vielleicht eine nicht allzu ernsthafte Herangehensweise seitens Band und Zuhörerschaft vorausgesetzt. Und unterm Strich reihen sich WARGASM mit ihrem eigenwilligen Konzept auch nur in die Reihe im Ansatz vergleichbarer Bands wie Spiritbox oder Code Orange ein, die ebenfalls erfolgreich beweisen, dass das letzte Wort in diesem Genre noch nicht gesprochen ist. Eine Empfehlung für dieses herausragende Album auszusprechen, fällt nicht schwer. Genauso einfach ist es, vorherzusehen, dass dieses Album die Gemüter ähnlich spalten wird wie seit über 30 Jahren das Genre selbst.

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Wertung: 10 / 10

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