2008 aus Liebe zum echten Heavy Metal gegründet legen die fünf Herren von VOLTURE nun ihr erstes Full-Length-Album vor – dass man mit Ryan Waste den Bassisten von Municipal Waste in seinen Reihen weiß, merkt man höchstens an den häufig sehr kräftigen, klar vernehmlichen Bassläufen. Von thrashiger Härte ist „On The Edge“ aber meilenweit entfernt. Hier regiert die NWoBHM-Nostalgie, die ja seit einiger Zeit wieder im großen Stile salonfähig geworden ist und Bands wie Enforcer, Alpha Tiger oder Steelwing nach oben gespült hat. Muss man sich wundern, wenn der Vokuhila und die Dauerwelle plötzlich wieder als tragbar gelten? Waren bunte Schweißtücher nicht immer irgendwie daneben? Nun, wer oben genannte Bands und deren Ausrichtung mag, wird sich diese Frage wohl dezidiert nicht stellen. Und mit VOLTURE wahrscheinlich seine Freude haben.
Insgesamt neun Songs lang beschwört man die Geister der 80er, die man offenkundig nicht loswerden will. Der Opener und Titeltrack geht direkt nach vorne los und kann mit seinem knackigen Traditionsriffing, eingehüllt in einen warmen Röhrensound, durchaus überzeugen. Der Refrain ist gelungen und Sänger Jack Bauer übertreibt es (noch) nicht mit den Falsettpassagen. Allerdings muss man sein klares und ziemlich hohes Organ und dessen manchmal etwas angestrengte Klangfarbe mögen. Zudem hat man ab und an das Gefühl, dass die hohen Schreien zu einer Art Selbstzweck verkommen und den Songs selbst wenig hinzuzufügen haben. Ansonsten gilt für Bauer und seine Gesangsspuren das gleiche wie für die Gitarrenarbeit: Das kennt man, das hat man schon ungezählte Male gehört, sicherlich besser, sicherlich schlechter. Die Frage, die sich der jeweilige Käufer stellen muss, lautet also: Brauch ich ein weiteres NWoBHM-Negativ?
Zwar ist keiner der gebotenen Songs wirklich schlecht, handwerklich sind sie geradezu tadellos und mit „Deep Dweller“ gibt es ein wirklich ausgezeichnetes Stück, in dem die Gitarrensoli nur so krachen und die stark an Iron Maiden erinnernden Melodiebögen treffsicher eingesetzt werden. Der Song punktet auch deswegen, weil er sich hinsichtlich des Tempos dynamisch zeigt – die meisten der übrigen Stücke enden mit der Geschwindigkeit, mit der sie angefangen haben. Für die Zukunft täte hier aber etwas mehr Abwechslung, vor allem mehr Groove gut; von mehr Eigenständigkeit will ich jetzt nicht sprechen. Sie ist, wenn man von gut gemachter und eingängiger Musik spricht, nicht das Primärziel. Das ist auch bei VOLTURE der Fall. Allerdings stelle ich an mir selbst einen gewissen Sättigungseffekt fest.
In dem Roman „Die Blendung“ von Elias Canetti ruft der langsam wahnsinnig werdende Protagonist einmal einem Studenten hinterher: „Warum lesen Sie Schiller? Lesen Sie das Original. Lesen Sie Kant!“ Ich verstehe den guten Herren mittlerweile immer besser („Warum hören Sie VOLTURE? Hören Sie das Original. Hören Sie die Tygers Of Pan Tang.“) Gleichzeitig verstehe ich die jungen Bands, die genau diese Musik machen wollen, die sie lieben und selber hören. Dieser Konflikt ist nur festzustellen, nicht zu lösen. Für Liebhaber dieser Musik fügt sich mit VOLTURE eine weitere Band ins Gesamtmosaik – authentisch, aber wenig einfallsreich.
Wertung: 6 / 10