Review Vital Spirit – Still As The Night, Cold As The Wind

  • Label: Vendetta
  • Veröffentlicht: 2022
  • Spielart: Black Metal

Eigentlich kaum zu glauben, dass auch heute noch eine Glorifizierung des Wilden Westens und eine Verharmlosung der von den europäischen Einwanderern begangenen Gräueltaten stattfinden. Wo große Teile der amerikanischen Bevölkerung bis heute blinden Nationalismus als Entschuldigung anführen können, ist der Rest der Welt häufig einfach schlecht informiert. Denn wirklich präsent sind die tatsächlichen Geschehnisse im Zusammenhang mit der Besiedlung Nordamerikas durch weiße Einwanderer weder in der Schule noch im täglichen Leben, dabei Leiden die indigenen Gruppen bis heute unter sozialen und wirtschaftlichen Problemen. Damit liegt es mal wieder an Kunst und Kultur, für mehr Sichtbarkeit und Verständnis zu sorgen. Was Dee Brown mit seinem wegweisenden Roman „Bury My Heart At Wounded Knee“ 1970 angefangen hat, führen in unserer Subkultur in den letzten Jahren vermehrt Bands wie Nechochwen, Wayfarer oder Dark Watcher fort. Mit VITAL SPIRIT und ihrem Debüt „Still As The Night, Cold As The Wind“ steht nun das nächste Duo in den Startlöchern, außergewöhnlichen Black Metal mit ernstem Hintergrund auf die Welt loszulassen.

Hinter VITAL SPIRIT stehen Kyle Tavares (Gesang, Gitarre, Bass) und Israel Langlais (Schlagzeug), die beide auch bei Wormwitch aktiv sind. Bereits 2020 erschien mit „In The Faith That Looks Through Death“ eine erste EP, die das musikalische Fundament für die weitere Entwicklung der Band legte: Rasender Black Metal mit irrem Gekeife trifft auf Ennio-Morricone-Elemente und einen gewissen Sinn für atmosphärische Melodien. Für das erste vollwertige Album wurde dieses Rezept an genau den richtigen Stellen geringfügig nachjustiert. Thematisch befassen sich VITAL SPIRIT auf „Still As The Night, Cold As The Wind“ mit der Unterwerfung und beinahe kompletten Ausrottung der Apachen, Comanchen und Navajo durch die europäischen Einwanderer und die Wut und den Wehmut darüber merkt man den Songs zu jeder Sekunde an.

Mit „Blood And Smoke“ setzen VITAL SPIRIT direkt zu Beginn ein erstes Ausrufezeichen. Die erste Hälfte der Nummer besteht aus ungestümen Riffs und rasenden Drums, über die Kyle Tavares seine sehr hohen und leider kaum verständlichen Screams keift. In der Mitte folgt dann der Break und Wechsel hin zu Western-Gitarren, Trompeten und Ambient-Sounds, die den Opener mit besagter Wehmut ausklingen lassen. Die restlichen sieben Songs vereinen die Metal- und Western-Elemente dann deutlich homogener, „Saccharine Sky“ ist gar ein reiner Ambient-Western-Song. Dem Duo Tavares-Langlais gelingt es die rasende Wut des Black Metal immer wieder mit Country-Elementen anzureichern und ihn dadurch noch emotionaler zu gestalten. Man höre nur das martialische Drumming in „Dawn Of Liberty“, über das sich eine klassische Western-Gitarre wie aus einem Morricone-Soundtrack legt, bevor das Stück in Blast-Beats und einem packenden Solo explodiert. Noch besser funktioniert „Still As The Night, Cold As The Wind“, wenn man sich mit den Lyrics befasst. Das schleppende, melancholische „The Long Walk“ etwa behandelt die Zwangsumsiedlung der Navajos im Jahre 1864, die am Ende über 200 Tote forderte. Musik und Text gehen damit Hand in Hand und sind perfekt aufeinander abgestimmt. Umso schöner wäre es, wenn Tavares Vocals etwas deutlicher abgemischt wären.

Episch, brutal und mitreißend – VITAL SPIRIT liefern mit „Still As The Night, Cold As The Wind“ ein nahezu perfektes Debüt ab. Musikalisch absolut eigenständig und textlich so wichtig wie schonungslos, rechnet das Duo mit dem Image des Wilden Westen und dem amerikanischen Nationalstolz ab. Wenn VITAL SPIRIT auf den nächsten Veröffentlichungen die Vocals etwas besser abmischen und an der einen oder anderen Stelle den Western-Einflüssen mehr Raum geben, schwingen sich Tavares und Langlais endgültig an die Spitze dieses noch jungen Subgenres.

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Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Juan Esteban

3 Kommentare zu “Vital Spirit – Still As The Night, Cold As The Wind

  1. Bisschen tollkühn, das, was die Europäer in Nordamerika angestellt haben – nämlich mit gar nicht so natürlichen Schiffen den Atlantik zu überqueren und dann massenweise Leute mit gar nicht so natürlichen Waffen zu töten – mit dem „Lauf der Natur“ zu begründen. Hier geht’s immerhin nicht um Vögel mit längeren Schnäbeln, sondern um DIE Spezies, die sich maximal von der Natur abgekoppelt hat. Aber gut, wenn man einer Pseudowissenschaft aus dem (vor)letzten Jahrhundert wie dem Sozialdarwinismus anhängt, ist natürlich alles „woke“, was nicht dem eigenen antiquierten Menschen- und Gesellschaftsbild entspricht.

    Auch sehr „interessant“, die Gräueltaten damit relativieren zu wollen, dass es bei den Native Americans auch Krieg untereinander gab – nach dem Motto: Wenn wir ihnen nicht die Köppe einhauen, dann macht’s ja eh ein anderer. Und außerdem haben die das ja sowieso schon immer gemacht! Aber ja, geschichtliche Fakten werden ja gern rosinenmäßig so herausgepickt, dass es dem eigenen Argument (ja lol ey) nützt.

    Ebenfalls ins Reich der Mythen gehört übrigens die „objektive Beurteilung“ von Platten. Kritiken waren nie objektiv und werden es auch nie sein, weil sie es nicht sein sollen und auch nicht können. An welchen *objektiven* Fakten man bitte festmachen soll, ob ein Album gut oder schlecht ist, weiß kein Mensch – weil es sie nicht gibt. Davon abgesehen geht Juan hier hinreichend auf Aspekte wie Songwriting, Instrumentierung, Komposition und Produktion ein, an denen man eine qualitative (und nicht ideologische) Bewertung – wenn auch seine subjektive – erkennt. Wenn das am Ende des Texts noch unklar ist, liegt hier nicht nur, aber auch das Leseverständnis im Argen.

  2. Nachdem die Bewertung ja mehr auf einem woken politischen statement fußt als auf objektiver Beurteilung der Qualität: Ja, stärkere, invasive „Arten“ verdrängen schwächere-das ist der „grausame“ Lauf der Natur.
    Was allerdings im politisch ja so korrekten Diskurs bezüglich Indigener in Amerika geflissentlich unter den Tisch gekehrt wird: Die zig Stämme der Indianer bekriegten und metzelten sich untereinander schon gehörig wegen territorialer Uneinigkeiten, lange bevor „der weiße Mann“ seinen Eroberungsfeldzug gen Westen und Norden antrat. Aber ja, geschichtliche Fakten werden ja gern gecancelt.

    1. Hi Roland, gerne empfehle ich dir etwas wissenschaftliche Literatur zu den auf den Alben behandelten Themen, die tatsächlich von echten, ungecancelten, international anerkannten Wissenschaftlern, die größtenteils weiße Männer sind, verfasst wurden:

      Aram Mattioli, Verlorene Welten
      Charles C. Mann, Amerika vor Kolumbus
      Manuel Menrath, Unter dem Nordlicht
      Thomas Jeier, Die ersten Amerikaner
      Heike Bungert, Geschichte der indigenen Nationen in den USA

      Viel Spaß damit, vielleicht führt die Lektüre ja zu einem besseren Verständnis dafür, was den indigenen Völkern passiert ist.

      Falls du dich lieber musikalisch mit diesen Themen befassen möchtest, kann ich Wayfarer, Nechochwen, Dark Watcher, Primeval Well oder Ifernach empfehlen.

      Viel Spaß!

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