Black Metal ist ein Genre, das sich eine lange Zeit über praktisch ausschließlich von Hass ernährt hat. Die Liebe war ihm bis vor kurzem hingegen noch völlig fremd. Mittlerweile haben einige Bands wie Deafheaven, Alcest und Unreqvited sich in ihrem Schaffen jedoch offen zur Sanftheit und Verletzlichkeit bekannt und die Stilrichtung damit komplett auf den Kopf gestellt. Dass man auch im Black Metal positive Gefühle zeigen darf, ist seit „Sunbather“ (2013) nichts Neues mehr. Obwohl sich in dem einst so grimmigen Genre seitdem viel getan hat, setzt VIOLET COLD mit „Empire Of Love“ das vielleicht mutigste Statement seit Deafheavens Durchbruchsalbum.
Gerade im Kontext einer Musikrichtung, deren Interpret*innen hinter ihren dubiosen Alter Egos allzu oft ein nicht minder misanthropisches Weltbild verbergen, begeistert „Empire Of Love“ mit der so unzweideutigen wie starken Botschaft, die in seinem geradezu plakativen Titel und Artwork steckt. Umso mehr, wenn man berücksichtigt, wo und wie Emin Guliyev VIOLET COLD betreibt: Der Solokünstler lebt im hauptsächlich von schiitischen Muslim*innen bewohnten Aserbaidschan, wo die LGBTQIA+-Community trotz menschenrechtlicher Fortschritte nach wie vor mit Diskriminierung zu kämpfen hat.
Zudem bestreitet Guliyev mit VIOLET COLD seinen Lebensunterhalt, was für ein Underground-Projekt wie das seine auch ohne das Risiko, Fans mit dezidiert politischen Äußerungen zu vergraulen, schon schwer genug ist. Dass der Einzelmusiker weder mit inkonsequentem Queerbaiting lockt, noch in stupider Black-Metal-Manier zu schockieren versucht, sondern durch die Verbindung der Pride-Flagge mit dem islamischen Hilal-Symbol ein klares Zeichen für Toleranz setzt, verdient vor diesem Hintergrund große Bewunderung.
Wer mit Guliyevs innerhalb weniger Jahre immens gewachsenem Output vertraut ist, kann zudem bereits erahnen, dass „Empire Of Love“ auch in musikalischer Hinsicht Herausragendes bietet. Nach dem trance-lastigen „Noir Kid“ (2020) konzentriert VIOLET COLD sich hier zwar wieder in erster Linie auf herkömmlichen Blackgaze, verpasst diesem aber immer wieder einen ungewöhnlichen Spin. Schon das Intro „Cradle“ überrascht mit seinen sonnigen Saitenklängen, kräftigen Perkussionen und zum Ende hin euphorischen Gitarren, die wie der Auftakt zu einem Abenteuer klingen. Ein ansteckendes Hochgefühl fließt auch aus dem so triumphalen wie intensiven „Pride“ und „Shegnificant“ mit seinen mitreißenden Gänsehautmelodien und sanften, weiblichen Vocals.
Wie schon auf früheren Alben beschränkt VIOLET COLD sich hier keineswegs auf die üblichen Screams, Riffs und Blast-Beats. Im imposanten „Be Like Magic“ beeindruckt die Ein-Mann-Band etwa mit klassischem Klavierspiel, das instrumentale, von einem hastig gespielten Banjo dominierte „Working Class“ kann man sich als energiegeladene Mischung aus Black Metal, Punk und Bluegrass vorstellen und manche der Tracks legen mit Autotune-Vocals und elektronischen Beats einen ungenierten Pop-Appeal an den Tag („Life Dimensions“).
Obwohl sich in der Tracklist auch ein paar weniger besondere Nummern finden („We Met During The Revolution“), ist „Empire Of Love“ allein schon dank seines ergreifenden Songwritings, seines soliden Sounds und seiner wagemutigen Stilkombinationen ein außergewöhnlich starkes Album. Was die knapp 40 Minuten lange Platte jedoch zu einem potentiellen Black-Metal-Meilenstein macht, ist sein allen Widrigkeiten trotzendes Bekenntnis zur Liebe in all ihren Formen. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft noch mehr Bands es VIOLET COLD gleichtun und das vormals ganz der Feindseligkeit verschriebene Genre vermehrt zu einer Kraft des Guten formen werden. Insbesondere Fans von Germ und Unreqvited sollte dieses wegweisende Album schon jetzt in helle Aufregung versetzen.
Wertung: 9 / 10
Moin,
ich schreib nochmal nen kleinen Kommentar.
Was ich sehr interessant finde ist das sowohl auf der Homepage von Violet Cold als auch auf Bandcamp steht, das Projekts sei ein „experimental AI simulated music project“.
Weiß da jemand Genaueres zu?
Das ist mir auch schon aufgefallen, weiß aber bislang noch nichts darüber. Sofern sich ein Interview mit dem Künstler arrangieren lässt, wird das sicherlich auch angesprochen werden.
Ich gehe aber davon aus, dass das bloß ein Gag ist. Ich habe schon AI-generierten Black Metal gehört und der klang für das, was er ist, zwar schon ganz ordentlich, aber bei weitem nicht so ausgefeilt.
Wäre auf jeden Fall sehr interessant wenn ihr das mal in einem Interview erfragen könntet. Gruß Oli
Von der Band habe ich den kompletten Backkatalog – daher nehme ich mir mal die Freiheit der Bewertung, jedoch nicht der moralischen Wertung.
Bei dem präsentierten Song ist die seichte Frauenstimme mega interessant wenn man die anderen Veröffentlichungen kennt…ein weiterer Baustein.
Ist man ein Zuhörer mit offenem Ohr…dann kann man das grandios finden, auch in Relation zu den anderen Alben vorher.
Bezüglich der Black Metal Attitüde: Der Islam hat strengere Auslegungen und ist 1000 mal schlimmer als das, wogegen die erste BM Welle anti-katholisch ansang. Wer das nicht begreift kann nach Palästina fliegen und dort für Kommandeurinnen und LGTB protestieren…den HINflug zahle ich…den Rückflug wohl die Hinterblieben*innen.
Demnach ist das Album hier schon positiv anti.
Etwas „doof“ kommt gerade das Timing… es scheint schon Marketing zu sein aber das will ich gerade nicht glauben…und die Mucke stimmt ja auch… gute Arbeit wenn es ernst gemeint ist…. aber wie kann ich das eh denn BEwerten?
Hi Andreas,
es freut mich, dass du das Projekt schon vorher kanntest und nach wie vor gut findest – es ist aus meiner Sicht ja auch wirklich beachtenswert.
Deine übrige Einschätzung finde ich etwas schwierig. Dass es im Islam einige sehr extreme Strömungen gibt, steht freilich außer Frage – es ist ja auch aus meinem Review herauszulesen, dass VIOLET COLD in einem Umfeld existiert, das Menschen aus dem queeren Spektrum nicht willkommen heißt. Aussagen wie „der Islam ist schlimm(er)“ kann ich so jedoch nicht guten Gewissens unterschreiben. Erstens haben Menschen aus der LGBTQIA+-Community es auch an nicht primär muslimisch geprägten Orten wie Russland oder – gerade sehr aktuell – Ungarn alles andere als leicht. Im Christentum gibt es auch nach wie vor genug Fundamentalisten. Zweitens finde ich es bedenklich, Menschen einer Glaubensrichtung über einen Kamm zu scheren – wohin das führen kann, sieht man derzeit eben in Palästina oder bei den Uiguren in China. Ich will aber auch nicht behaupten, mich mit dem Islam und den Ländern, in denen er dominiert, hinreichend auszukennen, um da eine fundierte Meinung vertreten zu können.
Deshalb finde ich „Empire Of Love“ aber auch gerade so stark in seiner Message – es feindet den Islam und seine Gläubigen nicht pauschal an, sondern setzt lediglich ein Zeichen für queere Liebe und Geschlechtsidentitäten. Davon werden sich also wohl nur jene beleidigt fühlen, die diesen Menschen feindlich gesinnt sind, zugleich kann es aber auch jene Muslime ansprechen, die in dieser Hinsicht offen sind oder gar selbst queer sind. Das finde ich jedenfalls viel schöner.
Zum Timing: Ich gehe davon aus, dass du hier skeptisch bzgl Pinkwashing oder Queerbaiting bist. Daher zur Info: Das Album ist bereits im Mai, also nicht während des Pride-Months veröffentlicht worden. Ich kannte das Projekt vorher nicht, bin erst kürzlich ganz durch Zufall darauf aufmerksam geworden und habe mich spontan dazu entscheiden, darüber zu schreiben. Dass es mit Pride und den derzeitigen Furoren um Ungarn und die UEFA zusammengefallen ist, war natürlich ein sehr passender Umstand, aber eben wirklich reiner Zufall. Ich denke, den Verdacht, die Botschaft des Albums sei unaufrichtig, kann man bedenkenlos ad acta legen.
Vorweg – ich finde solche Musik wie hier Violet Cold nicht schlecht und kann dem durchaus etwas abgewinnen. Mir erschließt sich jedoch nicht, warum man hier das Genre Black Metal bemüht. Screams, Blast Beats und Schrammelgitarren allein machen meiner Meinung nach noch zwingend keinen Black Metal. Da gibt’s auch andere Genres die das nutzen. Zudem haben Bands wie etwa Deafheaven/Alcest/…sich selbst nie als Black Metal bezeichnet.
Ich schreibe diesen Kommentar, da ich es schade finde das der Black Metal immer weiter ausgehöhlt wird. Heutzutage ist gefühlt alles was Blasts und Schreie hat gleich Black Metal.
Letztendlich heißt es doch aber BLACK Metal. Da beißt sich das mit dem Guten, Positiven und Social Justice Themen.
Irgendwann wird dann alles Black Metal sein? Ist ne steile These, aber ich finde diese Entwicklung bedenklich, da dadurch viel von der (ursprünglichen) Identität verloren geht und das macht ja letztendlich auch die Subkultur aus.
Soviel meine Meinung dazu. Wie denkt ihr?
Schwierige Frage, wie immer, wenn es um Genres geht. Gerade beim Black Metal versuche ich mich da seit Jahren daran entlang zu hangeln, was die Band selbst denkt, dass es ist – gerade weil sich der Black Metal stilistisch gewandelt hat, viele Bands des Genres sich gewandelt haben.
Das führt dazu, dass für mich persönlich Dornenreich auch heute noch eine Black-Metal-Band sind – während ich Deafheaven selbst nicht als BM klassifizieren würde. Aber das ist natürlich eine extrem subjektive Einordnung, und wenn man das privat so macht, ist das eine Sache, in „professionellem“ Kontext wie etwa in einem Musikmagazin sollte/muss aber natürlich auch irgendwas „messbares“ da sein – und da sind stilistische Elemente wie Screams oder Blastbeats natürlich hilfreich.
Der Vibe/thematische Inhalt der Texte etc. ist natürlich auch ein Indiz/etwas, woran man sich festhalten kann. Aber auch da findet ja selbst im (truen), „echten“ Black Metal seit vielen Jahren (zum Glück) eine Weiterentwicklung statt und es ist alles nicht mehr nur noch plakativer Pseudosatanismus. Inwieweit sich das öffnen kann/wird, ohne schlussendlich eben doch ein neues Genre zu eröffnen, wird sich zeigen müssen. Einen irrwitzigen Absprengsel gab es ja schon mit christlichem „White Metal“ – aber tatsächlich sehe ich dein Problem schon auch, dass zu „echtem“ Black Metal bisher halt immer auch das Mindset gehört hat (mehr als bestimmte musikalische Aspekte vielleicht sogar, Beispiel wieder Dornenreich) – wenn das dann fehlt, und nur der Sound als Inspiration für etwas neues genutzt wird, ist das sicher nicht schlecht, aber halt auch nicht das, was ich erwarte, wenn ich den Terminus Black Metal lese. Persönlich bin ich bei fast allen US-BM-Bands raus, aus nicht zuletzt diesem Grund – und empfinde auch diese Band hier (übrigens schöne Musik!) nicht unbedingt als Black Metal – wobei hier wieder die Frage wäre: Was sagt der Musiker über sein Schaffen.
Absolut gesehen auflösen kann mans eh nicht, respektive halt nur, indem man das Genre mit entsprechenden Zusätzen versieht … True Norwegian Black Metal hat sich ja nicht zuletzt zur Abgrenzung von anderen BM-Arten bereits etabliert.
Guter Kommentar Moritz.
Deine Sichtweise kann ich gut verstehen.
Speziell – wie sieht der Musiker selbst seine Musik – ist wichtig. Das stimmt.
Hi Oli,
danke für deinen kritischen, aber trotzdem sachlichen Kommentar. Moritz ist an sich ja eh schon auf einiges zu dem Thema eingegangen, dennoch würde ich ganz gerne auch noch meine Sicht darlegen.
Obwohl ich nicht ganz deiner (und auch nicht zu 100 % Moritz‘) Meinung bin, möchte ich zuerst schon eingestehen, dass ich bei der Wahl des Genres anfangs etwas zöglich war. Es ist in seiner Grundstimmung ja schon sehr weit weg von dem, was man mit dem Genre bis vor kurzem assoziiert hat. Ich habe mich letztlich doch dafür entschieden, weil es in unserer Genre-Auswahl aus meiner Sicht nichts gibt, das besser passen würde. Die Kategorie „Stilübergreifend“ versuchen wir nur in Ausnahmefällen zu verwenden, wenn ein Album nicht einmal überwiegend in ein bestimmtes Genre passt. Deshalb kam das hier aus meiner Sicht auch nicht infrage, weil die Einflüsse aus anderen Genres (Folk, Pop, etc) nicht dominant genug sind.
Das führt mich auch gleich zu meinem nächsten Punkt: Wie würdest du das Album denn einordnen? Es mag zwar nämlich schon sein, dass Screams, Tremolo-Riffs und Blasts auch in anderen Genres gebräuchlich sind, aber so wie sie hier zum Einsatz kommen, ist es ja eigentlich schon im Grunde Black Metal. Nur eben auch mit positiven Tönen und Inhalten.
Die Message allein ist aus meiner Sicht auch nicht relevant für ein Genre – es gibt zwar je nach Genre gewisse Gepflogenheiten, aber es wäre undenkbar, eine Band jedes Mal in eine andere Stilrichtung einzuordnen, wenn sie über etwas anderes singt. Dann könnte man zB alte Ulver oder Dornenreich ja auch aus dem BM herausnehmen, weil sie nicht über den Teufel gesungen haben.
Auch das Selbstbild der Musiker*innen kann meiner Meinung nach nicht ausschlaggebend sein. Paradebeispiel ist Robert Smith, der The Cure meines Wissens nie als Gothic-Band bezeichnet haben wollte – und doch steht außer Frage, dass die alten The-Cure-Alben prägende Gothic-Rock-Werke sind.
Ich finde auch nicht, dass BM ausgehöhlt wird. Genres entwickeln sich einfach ganz natürlich – wäre ja auch absurd, wenn es nicht so wäre. Gothic Rock, Jazz, Emo, ja sogar Black Metal, wenn man die erste und zweite Welle vergleicht – das sind alles Beispiele für Genres, deren Bedeutung sich nach und nach verändert hat. Da kann man natürlich ganz penibel sein und spätere Formen ausgrenzen – aber das ändert nichts daran, dass die Leute mit der Zeit etwas anderes darunter verstehen. Man kann sich da ja damit behelfen, dass man dann eben genauer darauf eingeht, was man meint – eben durch zeitliche Verweise (unter 90er Jahre BM kann man sich ja schon mal ganz gut etwas vorstellen) oder durch genauere Genre-Bezeichnungen wie Post-BM oder Blackgaze.
Wie dem auch sei, bei diesem Thema kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Genres sind ja generell oft eine schwammige und zum Teil auch zu sehr einengende Sache. Ob nun BM oder nicht, am Ende ists ja eigentlich nur wichtig, ob einem die Musik taugt oder nicht.
Hi Stephan, auch dir danke für deinen ausführlichen Kommentar!
Ich würde das Album eher als Post /Modern Metal einordnen. Blackgaze natürlich auch irgendwie nur hat das für mich auch nicht soviel mit Black Metal zu tun.
Und ja, die Message allein oder die musikalischen Mittel sind nicht unbedingt genredefinierend für sich genommen . Die Mischung machts denk ich.
Grüße!