Review Unheilig – Lichter der Stadt

Manchmal reicht ein einzelner Name, um sofort ungeahnte Assoziationen unterschiedlichster Art hervorzurufen: Von kollektivem Massenphänomen über Schlageronkel bis hin zum vermeintlich größten Verräter an der Schwarzen Szene aller Zeiten. An sich ist das bereits Beweis genug dafür, dass UNHEILIG niemanden mehr unberührt lassen – nur die Wahrnehmung schwankt. Mit gutem Grund. Egal, ob The Dome, RTL2-Werbepausen oder die Hitparade: UNHEILIG waren mit ihrem Erfolgsalbum „Große Freiheit“ allgegenwärtig in den Medien. Nach „Geboren um zu leben“ entstand ein Hype, wie ihn Deutschland lange Zeit nicht erlebt hatte, schon gar nicht rund um einen extravaganten Künstler, der bis dato mediales Nischendasein gefristet hatte und es ohne diesen Song wohl immer noch täte. Doch so gab es statt gut besuchter Clubtouren wie in den Jahren davor die ersten ausverkauften Hallen, Stadiontouren, Platin-Auszeichnungen, etc.
Im März 2012 war es nun Zeit für den Nachfolger, der schlicht „Lichter der Stadt“ getauft wurde. Ein weiteres Konzeptalbum. Thematisch geht es von der See in die Stadt. Und gleichzeitig verabschieden sich UNHEILIG auf dieser Reise endgültig von alten Zeiten.

Ein Blick zurück genügt, um den Kurs von „Lichter der Stadt“ auf Anhieb zu verstehen. Mit „Geboren um zu leben“ und „Unter deiner Flagge“ feierten genau jene UNHEILIG-Singles die größten Erfolge, die ungemein episch und balladesque angehaucht waren. „Für immer“ als locker-flockige Up-Tempo-Rocknummer verschwand hingegen ziemlich schnell wieder im Chartnirwana. So ist es konsequent und folgerichtig, dass der Graf auf seinem neuen Output genau dort anschließt, wo seine Erfolgsballaden aufhörten. Die erste Single „So wie du warst“ ist somit gleichzeitig der „Geboren um zu leben“-Nachfolger. Ein fieser Ohrwurm, dessen unendlich einfacher Aufbau und Rhythmus beinahe Blasphemie ist, wenn man einen Vergleich zu den alten UNHEILIG-Zeiten zieht, in denen sich der Graf sowohl songtechnisch als auch kompositorisch weit mehr verkünstelt hat. Doch das ist nun vorbei. Neue bzw. seine eigenen alten Wege scheinen ihn nicht mehr zu reizen, folgen doch genügend Fans den aktuellen Pfaden mehr als bereitwillig – allein auf Facebook hat die Band inzwischen mehr als eine Million Follower.
Ist nicht nur die Single vermarktungstechnisch eng an „Große Freiheit“ angelehnt, so erinnert der Albeneinstieg ebenfalls frappierend an den Vorgänger. Das instrumentale Intro „Das Licht“ mündet direkt in die erste Rocknummer „Herzwerk“. Diese verdient zumindest das Prädikat melodisch, ist aber im Vergleich zu „Seenot“ noch ein ganzes Stück weit harmloser. Gleiches gilt für die anderen etwas härteren Stücke wie „Feuerland“ oder „Eisenmann“. Aalglatt schießen Keyboard und Gitarre(n) nebst Gesang durch die Lautsprecher. Zweifellos hervorragend produziert, aber eben ohne jede tiefergehende Identität. Besonders bei „Eisenmann“ wurde im Studio merklich in die Gitarrenarbeit investiert, so dass mehr Spuren als nur die von Licky für einen satten Sound sorgen. Allein das Ergebnis ist trotz des Mehraufwands deutlich seichter.
Und damit wären wir schon beim insgesamt größten Manko von „Lichter der Stadt“: Der Schmalz- und Kitschfaktor von Songs wie „Wie wir waren“ oder allen voran „Unsterblich“/„Ein guter Weg“ ist selbst für die hartgesottensten Fans früherer Stunde kaum mehr erträglich und bis dato unübertroffen. Die ersten Worte von „Ein guter Weg“ klingen bereits so weinerlich und verwaschen verweichlicht, dass die Hand automatisch zur „Skip“-Taste wandert. Wurde man auf „Große Freiheit“ noch mehrfach aus der Balladenlethargie geweckt, so fehlt dieses Mal ein ganzes Stück Leben im gesamten Album. So einfach die Titel wie „Das Leben ist schön“, „Vergessen“ oder „Ein großes Leben“, so einfach auch die Musik. Ab und an gehen die Stücke sogar fließend ineinander über, ohne dass man sofort wahrnimmt, dass das Album bereits ein Lied weiter ist. Etwas überspitzt ausgedrückt: Wer bei „Tage wie Gold“ fröhlich „Ohohoh“ mitsingt, kann bei „Wie wir waren“ einfach mit „Uhuhuh“ weitermachen. Die UNHEILIGe Balladen-Fangeneration wird sich an diesem Werk vermutlich nicht satthören können, alle anderen dürften schreiend davonlaufen.
Dass mit Andreas Bourani (zufällig der kommende Tour-Support) und Xavier Naidoo (!) inzwischen die Speerspitze der deutschen Popbranche auf einem UNHEILIG-Album zu hören ist, bekräftigt den Gesamteindruck. Besonders das Gesicht der Söhne Mannheims dürfte wohl kaum seine Stimme für ein Album hergeben, auf dem wie z.B. früher bei „Spiegelbild“ möglicher Suizid thematisiert wird. Das passte nicht in die heile Welt des musikalischen Mainstreams, „Lichter der Stadt“ tut dies hingegen problemlos, behandelt das Album doch vorwiegend das Leben und die Liebe. Leider sind nicht einmal die Texte bzw. die Refrains besonders originell oder aussagekräftig. Genau wie die Musik dazu ziehen sie spurlos vorbei, so dass es extrem schwerfällt, im Nachgang die einzelnen Stücke zu benennen.

Im Endeffekt spielt es keine Rolle, dass Henning Verlage immer noch ein ausgezeichneter Pianist ist und manchmal zwischen den gesungenen Passagen richtig aufgeht in seinem Spiel. Zu sehr verkümmern diese Klänge als bittere Randnotiz in einem völlig totproduzierten Gesamtwerk, welches der Graf mit Fug und Recht als die Musik vermarkten kann, die er selbst durch die letzten Jahre mit Medienrummel und wachsendem Erfolg fühlt. Doch leider schien er sich bei „Lichter der Stadt“ nur von eben jenen Emotionen der jüngeren Vergangenheit leiten zu lassen. Für alle alten UNHEILIG-Fans ist spätestens jetzt zappenduster.

Wertung: 2 / 10

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