Review Ulver – Bergtatt – Et Eeventyr I 5 Capitler

(Black Metal / Folk) Es ist eine bedauerliche Tatsache, dass sich in keiner anderen Metal-Fangemeinde ein derart großer Anteil an engstirnigen, pseudo-elitären und innovationsfeindlichen Hörern aufhält wie im Black-Metal-Lager. Ein äußerst unerfreuliches Paradoxon, ist Black Metal doch in seinem Kern die vielleicht experimentellste aller Metal-Variationen, die nicht bloß in ihrer Urform alles bislang Dagewesene hinter sich ließ, sondern auch seit jeher bis heute ständig dekonstruiert und neu interpretiert wird. Wenn es eine Band gibt, die als Inkarnation des essenziell unkonventionellen, sich immerwährend wandelnden Naturells dieses einzigartigen und zugleich vielgestaltigen Musikgenres angesehen werden kann, dann ist es ULVER – und das, obwohl die Norweger um Mastermind Krystoffer Rygg alias Garm lediglich eineinhalb Studioalben herausgebracht haben, die per Definition als Black Metal zu kategorisieren sind.

Gerade weil „Bergtatt – Et Eeventyr I 5 Capitler“, das im Februar 1995 von den damals gerade erst im späten Teenager-Alter gestandenen Musikern veröffentlichte Debüt der Band, bloß ein halbes Black-Metal-Album ist, gilt es heute als unantastbarer Meilenstein ebenjener Kunstform. Denn wie auch auf ihren späteren, avantgardistischen Electronic-Veröffentlichungen taten ULVER schon zu Beginn ihres musikalischen Werdegangs nicht etwa das, was sich im damals aufkommenden norwegischen Black-Metal-Zirkel schickte, sondern machten nordische Folk-Musik zu einem integralen Bestandteil ihres Sounds. Zwar waren ULVER nicht die Allerersten, die zwischen Schreigesang und ungestümer Metal-Instrumentierung auch klassische Gitarren zu Wort kommen ließen – man denke hier etwa an die ersten beiden Alben von Satyricon –, doch keine Band des Genres war zuvor derart tief in die traditionelle Musik Skandinaviens eingetaucht.

So sind die mal wehmütig seufzenden, mal mysteriös wispernden und ganz zuletzt sogar regelrecht zuversichtlichen Akustikklänge auf „Bergtatt“ weit mehr als bloßes Beiwerk, sondern ein ebenso zentrales Erzählwerkzeug wie Ryggs raubtierhaften Screams und hymnischen, vielfach mit gregorianischen Chorälen verglichenen Gesänge. Dabei ist es keineswegs so, dass ULVER Metal und Folk fließend ineinander übergehen ließen. An vielen Stellen der Platte stoßen die beiden Stile sogar auf geradezu eklatante Weise aneinander – etwa auf „Capitel II: Soelen Gaaer Bag Aase Need“, das nach einem herzergreifenden Intro mit Akustikgitarre und Flöte aus heiterem Himmel mit brutalen Riffs und Blast-Beats über den Hörer hereinbricht.

Im Kontext der naturverbundenen Ästhetik und der märchenhaften Texte, die sich um das Verschwinden eines Mädchens in von Trollen bewohnten Wäldern drehen, sind die harschen Kontraste jedoch ein nachvollziehbarer, sinnvoller Teil des Storytellings. Doch auch davon abgesehen bewiesen ULVER auf ihrer ersten LP bereits ausgeprägtes kompositorisches Geschick. Allein schon mit der donnernden Drumroll, mit der der Opener „Capitel I: Troldskog Faren Vild“ seinen Anfang nimmt, haben ULVER ein Stück Black-Metal-Geschichte geschrieben – von dem darauffolgenden Zusammenspiel aus teils erdigem, teils bedrohlichem Tremolo-Picking, melancholischen Leadmelodien, wundersamem Piano und mal getragenem, mal stürmischem Drumming ganz zu schweigen.

Wie viele Bands sich ULVER zum Vorbild genommen haben, um in der Vereinigung von Black Metal und Folk das ihnen gemeinsame archaische Grundgefühl zu ergründen, ist heute kaum noch zu überblicken. Außer Frage steht jedoch, dass die Norweger ein unübertreffliches, zeitloses Meisterwerk geschaffen haben – und das, obwohl man ihnen ihre damalige Unerfahrenheit auf „Bergtatt“ an der teilweise etwas groben Performance und der im Gegensatz zu „Nattens Madrigal“ zwar nicht ohrenbetäubenden, aber doch etwas rohen Produktion durchaus noch anhört. Dass ULVER auch Jahrzehnte nach ihrer Abwendung vom Black Metal immer noch in gleichem Maße für ihre Frühwerke wie für ihr späteres Schaffen geliebt werden, zeugt letztlich davon, dass „Bergtatt“ nicht nur einen Wendepunkt der Entwicklung eines ganzen Genres markierte, sondern auch heute noch nichts von seiner Relevanz verloren hat.

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Wertung: 10 / 10

Publiziert am von Stephan Rajchl

3 Kommentare zu “Ulver – Bergtatt – Et Eeventyr I 5 Capitler

  1. Ich besitze genau 2 ULVER Alben. „Bergtatt“ und „Nattens Madrigal“ und beide sind auf ihrer Art grandios. Die Symbiose aus Folk und Black Metal klingt im Gegensatz zu vielen Pagan Metal Bands nie aufgesetzt oder kitschig. Selbiges kann man vom SATYRICON Debüt und den Frühwerken von ENSLAVED behaupten.
    Auch nach einem Vierteljahrhundert: Ein Meilenstein!

    1. Respekt dafür, dass du die „Nattens Madrigal“ zu schätzen weißt. Ich finde sie als Statement stark, aber mit der Produktion komm ich einfach nicht klar. Ich glaube, das ist das ohrenbetäubendste Album, das ich bis dato gehört habe.
      Bzgl Satyricon gebe ich dir Recht – auch wenn sie etwas früher dran waren und dadurch schon Vorreiter waren, war das schon noch ziemlich holprig.
      Und hast du in den Rest der Ulver-Alben schon reingehört? Ist sicherlich Geschmackssache, aber vor allem die „Shadows Of the Sun“ finde ich unglaublich gut.

  2. Das Album würde 12 von 10 Punkten verdienen. ;-)

    Nein im Ernst… Eines meiner absoluten Lieblingswerke im gesamten Black Metal.

    Wer diese Band nicht mag, hat das Prinzip „Black Metal mit Melodie und Folk“ nicht verstanden. So einfach ist das.

    Ulver schaffen hier das, was Genre-Kollegen wie Drudkh bis zum neusten Album nicht geschafft haben. Eingängigkeit trotz Einfachheit.

    Es braucht eben gar nicht Bombast und Kitsch à la Dimmu Borgir – meistens ist weniger mehr.

    Wohlverstanden. Ich möchte mit meinem Vergleich oben Drudkh keineswegs in den Schatten stellen. Ich bin ein riesen Fan der Band (habe alle Alben auf LP und CD), aber Ulver sind noch ein wenig eingängiger.

    Schade, dass die Wölfe nachher in Techno- und Trance-Gefilde abgedriftet sind… Wäre spannend zu sehen, was sie heute für Black Metal abliefern würden.

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