Den Tod aus dem Leben verdrängen? Keine gute Idee. Am Ende holt er einen doch immer ein. Wer sich das nicht bewusst macht, läuft Gefahr, recht orientierungslos durch seine Existenz zu torkeln. Und wer auf der Suche nach seiner Bestimmung ist, tut manchmal gut daran, das Leben einfach mal von hinten zu denken. Dann eröffnen sich ganz neue Perspektiven. In Ulrike Serowys Roman „Highway To Hel“, erschienen im feinen kleinen Geraer Verlag „Edition Outbird“, ist das die Moral von der Geschicht.
Dem geneigten Metal-Szenegänger braucht man das eigentlich nicht zu erzählen. Serowy ist eine Autorin mit Szene-Credibility: Mit ihrer ersten Novelle „Skogtatt“ wagte sie nicht weniger als den Versuch, die kalte, bedrohliche Magie des Black Metal in Worte zu kleiden. Die Band Mosaic widmete der Vertonung ihrer Gedichte eine ganze EP, Beltez setzten ihre Kurzgeschichte „Black Banners“ auf ihrem Album „A Grey Chill And A Whisper“ gar auf 65 Minuten in Musik um.
„Highway To Hel“ richtet sich, trotz Referenzen an AC/DC und die nordische Mythologie im Titel, allerdings nicht nur an die Fans harter Stromgitarrenmusik. Zielgruppe sind vielmehr alle, die eine gute Geschichte genießen möchten, die sich leichtfüßig mit dem Thema der Vergänglichkeit auseinandersetzt. Denn wer aufgrund der schwarzmetallischen Referenzen in „Highway To Hel“ ein recht humorloses Unterfangen zu finden befürchtet, könnte falscher nicht liegen. Der kuriose Roadtrip nämlich, den Serowy hier auf 323 Seiten vor den Lesern ausbreitet, hält manches Schmunzeln bereit. Das ergibt sich bereits aus der Geschichte selbst.
Darum geht’s: Max, ein so sympathischer wie zielloser Bummelstudent, verdient sich sein Geld mit einem Nebenjob in einem abstrusen Start-up. Dessen Geschäftsidee besteht darin, Toten beim Totsein zuzusehen – für den Fall, dass doch einmal ein betuchter Kunde oder eine exzentrische Kundin lebendig im Sarg gelandet sein sollte. In einer seiner Nachtschichten ereilt Max das Unvorstellbare: Die junge, attraktive Claire schlägt – eigentlich für tot erklärt – tatsächlich vor laufender Kamera die Augen auf. Max eilt mit dem Spaten zur Hilfe.
Die Auferstandene jedoch will nichts weniger als nach Hause zu ihren wohlhabenden, aber unempathischen Eltern zurückzukehren – obwohl ihr Leben weiterhin in Gefahr ist: Immer wieder stirbt sie, nur um kurz darauf wiederzuerwachen. So wird der Retter, anfangs ganz unfreiwillig, zu Claires Komplizen auf einer langen, nervenaufreibenden Reise, die von Wuppertal über Köln und Berlin bis nach Island führt. Was die beiden da noch nicht wissen: Hinter den Anfällen von Tod steckt ein Fluch, der die Hälfte von Claires Seele in der Unterwelt gefangen hält. Da hilft nur: hinabsteigen ins Totenreich und bei Göttin Hel vorsprechen.
Ulrike Serowy bleibt damit den Kernthemen ihrer bisherigen Arbeiten treu: Einmal mehr geht es um Menschen in Zwischenzuständen – nicht ganz in dieser Welt, auch nicht ganz in der anderen. Um Menschen letztlich, die um ihren spirituellen Platz im Dasein ringen. Dafür hat die Autorin diesmal einen geradlinigigeren, lineareren Ansatz gewählt als bisher. Beschwor sie zuvor, etwa in „Wölfe vor der Stadt“ oder „Skogtatt“, oft mit dem Werkzeug kunstvoll komprimierter poetischer Sprache Stimmungen und innere Bilder hervor, ist in „Highway To Hel“ das Erzählerische ganz in den Vordergrund gerückt. Damit bleibt zwar ein Teil der speziellen Serowy-Ästhetik auf der Strecke, dafür entfaltet die Geschichte aber eine nicht gekannte Dynamik.
Die kommt einerseits durch die Form der Roadnovel zustande, die ihre Leser an immer neue Schauplätze entführt und so an die Seiten fesselt. Insbesondere den Schilderungen der isländischen Landschaft mit ihren schroffen Felsgebilden und knorrigen Baumstümpfen, „die an krummnasige Trollköpfe“ erinnern, ist die Liebe der Autorin zur nordischen Natur deutlich anzulesen. Andererseits liegt die Sogwirkung des Romans in der Figurenzeichnung begründet, die die Schrullen der Charaktere herrlich humorvoll zutage treten lässt – nicht nur bei den beiden Hauptfiguren. Wem bitte ist schon einmal eine Wahrsagerin untergekommen, die die Zukunft ausgerechnet aus den Soßenresten liest, die auf einem Teller mit Königsberger Klopsen zurückbleiben? Wieso es übrigens – der kulinarischen Komik nicht genug – ratsam ist, ins Totenreich eine Salami mitzunehmen, wird sich gegen Ende des Buches ebenso klären.
Der Tod und der Sinn des Lebens – diesen großen Themen nähert sich Ulrike Serowy in „Highway To Hel“ auf lebensbejahende Art und ohne auch nur das kleinste bisschen an falschem Pathos. Leseempfehlung? Unbedingt – für Freunde des morbiden Humors insbesondere, aber auch für alle anderen, die eine gute Geschichte zu schätzen wissen.
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