Die drei Fragezeichen dürften den Meisten noch aus ihrer Kindheit als anspruchsvolleres Gegenstück zu TKKG bekannt sein. Mit mindestens drei Fragezeichen haben wir es auch im Falle TRAIL OF TEARS anno 2007 zu tun. Riesengroß türmen sie sich auf und schließen sich an die Frage an, warum eine Band erst ein Hammeralbum auf den Markt wirft, anschließend ihre Auflösung bekannt gibt, nur damit Sänger Ronny Thorsen kurz darauf dementiert und verkündet, dass es zwar einige Veränderungen geben würde, die Band aber auf jeden Fall weiterleben würde. Einige Veränderungen heißt in diesem Fall jedoch: nach aktuellem Stand macht Ronny alleine weiter und wird sich neue Mitstreiter suchen.
Glücklicherweise haben wir es bei „Existentia“ also nicht mit der letzten Platte der Band zu tun (auch wenn jetzt schon anzumerken ist, dass es tatsächlich fraglich ist, ob Thorsen mit neuen Musikern ähnlich gute CDs aufnehmen wird). Immerhin bilden die sechs Herrschaften zusammen mit den Landsmännern und Labelkollegen von The Sins Of Thy Beloved und Tristania (Theatre Of Tragedy hat den Posten ja vor einiger Zeit quasi freiwillig geräumt) schon seit längerer Zeit die Speerspitze des norwegischen Gothic Metal. Die Genannten bleiben angesichts von „Existentia“ allerdings aber kräftig auf der Strecke.
Ein Album voller schöner Lieder im durchaus brachialen Gothic-Gewand – vor allem der Gesang ist fast genre-untypisch hart ausgefallen und bewegt sich durchaus im Death- und teilweise sogar Black-Metal-Bereich – welches von Anfang bis Ende mächtig knallt, ich muss schon sagen, dass ich das nicht unbedingt erwartet hatte (zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bisher auch nur „Profoundemonium“, den Zweitling der Band kenne; ein Umstand, den ich schnellstens behoben habe). Auf einzelne Songs einzugehen ist ob der Homogenität aller Lieder (selbst die Spielzeit der zehn Songs variiert gerade einmal zwischen 4:12 und 4:50) nicht ganz einfach, auf einige sollte aber schon etwas ausführlicher geblickt werden. So hat beispielsweise der Opener „Deceptive Mirrors“ gleich mal alles, was ein fetter Gothic-Reisser braucht: Atmosphäre, treibende Riffs, wuchtiges Drumming, viel stimmliche Variation der beiden Sänger und einen mächtigen Chor im Refrain. Ja, hier wird kräftig in die Vorfreudekiste gegriffen und das nicht zu Unrecht. „Decadence Becomes Me“ und „She Weaves Shadows“ halten die Meßlatte problemlos so weit oben, dass es ein wahres Fest ist.
Mit „Empty Room“ kommt die vermutlich unerlässliche 3/4-Takt-(Halb-) Ballade, jedoch erfreulicherweise klischee- und kitschfrei, dafür mit melodischen Gitarrensoli und dezent und somit wirkungsvoll eingesetztem Frauengesang Emmanuelle Zoldan (welche im beiliegenden Info derartig angepriesen wird, dass man sich fragt, warum man sie denn gar nicht kennt). Nichts gegen Frauengesang, im Fall von TRAIL OF TEARS kann man sich aber nur beglückwünschen, dass dieser im Laufe der Jahre mehr und mehr zurückgegangen ist.
Den absoluten Burner hat man sich aber bis fast zum Schluss aufgehoben; aber zu „As It Penetrates“ mehr zu sagen, als dass es sich um einen echten Hit handelt, möchte ich gar nicht, den Song sollte man sich schon besser selbst anhören.
Nachdem die Platte also gebührend abgefeiert ist, seien auch noch ein paar Worte zur Produktion verloren. Dass eine CD mit mäßiger Produktion, aber starken Songs durchaus spitzenmäßig sein kann, können sicher die Anhänger von unter anderem Metallicas „…And Justice For All“ oder sämtlicher Darkthrone-Platten (auch wenn man da geteilter Meinung sein kann) bestätigen. Andersherum ist es schwieriger bis unmöglich, aber was passiert, wenn sowohl Songmaterial als auch Produktion in der höchsten Liga spielen? Dann hat man es Anfang 2007 zweifellos mit TRAIL OF TEARS zu tun, denen Napalm-Records-und-norwegische-Gothicband-Haus-und-Hof-Produzent Terje Refsnes im Soundsuite Studio im schönen Südfrankreich ein wahres Brett verpasst hat. Fett, fett, fett, die Gitarren braten, was das Zeug hält, das Schlagzeug treibt gnadenlos an, das Keyboard ist so fein eingepasst, dass man es kaum wahrnimmt und selbst der Bass ist verhältnismäßig bestens herauszuhören. Dazu gelingt es scheinbar spielend, die diversen Stimmen der insgesamt drei Sänger unter einen Hut zu bringen. Spätestens mit dieser Arbeit hat sich Terje Refsnes für die ganz großen Aufgaben im (Gothic-)Metalbereich empfohlen.
Ein recht düster gehaltenes Artwork und Texte, denen man die Verwendung von Gehirn anhört, runden dieses absolut gelungene Stück Musik ab, bis auf kleine Nuancen an der mit ca. 45 Minuten etwas knapp, heutzutage jedoch üblich, bemessenen Spielzeit und der Tatsache, dass der cleane Gesang manchmal arg theatralisch daher kommt, gibt es hier nichts auszusetzen. Ich weiß nicht, was der geneigte Metal1-Leser am 26.1.2007 tun bzw. getan haben wird, ich kann jedoch nur jedem dringend empfehlen, es wie ich zu machen und beim CD-Dealer des Vertrauens „Existentia“ von TRAIL OF TEARS zu kaufen.
Wertung: 9 / 10