Review Týr – Land

999 n. Chr. begann die Christianisierung der Färöer Inseln, der kleinen Inselgruppe im Nordatlantik. 999 Jahre später, also 1998 (so wird es auf dem Promozettel schön ausgerechnet), wird eine Band ins Leben gerufen, die die archaischen Götter und Riten wieder in Erinnerung rufen möchte und sich deshalb nach einem germanischen Gott benennt – warum dann nicht auch gleich nach TÝR, dem tapfersten aller Götter? Klingt soweit nicht nur unspektakulär, sondern auch schon Tausend Mal durchgekaut. Allerdings dürfen die Färöer Musiker von sich – und muss man als Redakteur auch von ihnen – sagen, dass sie seit ihren Anfangsjahren eine Ausnahme in der Welt des Viking Metal darstellen. Es wäre schlicht und ergreifend falsch, sie mit den unzähligen genregleichen Bands in eine ohnehin schon überfüllte Schublade zu stecken. Vielleicht oder gerade weil man als Promotor natürlich sein Bestmögliches versucht, keinen Abklatsch-Nachgeschmack auf eine Band kommen zu lassen, neigt man aber auch zum Aktionismus und übertreibt dabei ein wenig. So wittert Mancher den Verdacht, dass hier so aktiv gegen dieses Vorurteil angekämpft wird, weil es eben doch wahr ist. Hier sei vorweg gesagt: es ist nicht wahr und wird mit dem neuen Album „Land“ um ein Neues eindrucksvoll widerlegt.

Das aktuelle Output widmet sich erneut der skandinavischen Folklore und soll ein Meilenstein in der Bandgeschichte werden – tatsächlich dient man vor allem wieder mit der Hymnenhaftigkeit, die gestärkt in den Vordergrund tritt. Jene, die das auf dem Vorgängeralbum „Ragnarok“ vielleicht ein wenig vermissten, dürften sich hierbei einen verdammt dicken Ast freuen. Denn, um es mal auf den Punkt zu bringen: es wird seid beinahe vier Jahren ständig nach Gründen gesucht, die Jungs von der Insel in Grund und Boden zu kritisieren. Dem Einen klingen die Melodien zu sehr nach Band Y, der Andere findet erstaunlich viele Parallelen zu Band X. Aber seid doch mal ehrlich: wo sind die? Nirgends, die können sich nicht mal zwischen den verschwitzten Arschbacken Joensens verstecken, wenn er von einem Gig nach Hause kommt – TÝR haben die Eigenständigkeit ihrer Musik nämlich insofern gepachtet, als dass sie „lediglich“ (beachtet hier bitte die Zeichensetzung) auf die Tradition ihrer heimischen Musik und Instrumente zurückgreifen, ansonsten aber Neues kreieren. Selbstverständlich kommt damit nicht jeder Redakteur klar, fühlt sich überfordert und in seiner eingeschränkten Betrachtungsweise vielleicht sogar gekränkt.

Anhaltspunkte für derlei Gestänkere bietet „Land“ nämlich nicht wirklich. Ihren musikalischen Merkmalen wie dem Low-Tempo, den unheimlich stimmungsvollen Riffs und dem unverzerrten, glaubwürdig rohen Gesang, sind sie auch auf dem aktuellen Silberling treu geblieben, haben ihrem Stil aber einen ausreichenden Feinschliff verpasst, um ihnen keine Stagnation vorwerfen zu müssen. Statt einem Konzeptalbum wird hiermit beinahe schon ein Sammelsurium alter färöer Weisen (wie beispielsweise „Gátu Rima“, „Fipan Fagra“ oder „Lokka Táttur“) abgeliefert und sogar ein Werk des bekannten Poeten J.H.O. Djurhuus hat sich in Form von „Gandkvaeoí Tróndar“ eingeschlichen. „Ocean“ beschäftigt sich mit den erdverbundenen Fragen und vor allem der nach dem Grund, weshalb die Wikinger damals ihre Heimat verließen und sich auf Island und den Färöer Inseln ansiedelten. Melancholie getränkt vom Schmerz Hinterbliebener versprüht „Valkyrjan“, das mehr als deutlich sagt: „achtet hier nicht auf den Text, lasst euch einfach von der Melodie über die Wellen der Trauer tragen.“ Lehnt euch zurück, schließt die Augen; es funktioniert perfekt.

Voll – ich komme fast in die Versuchung „jugendlicher“ – Frische kommen die beiden Langläufer „Brennivín“ mit seinen 10:06 und das Titelepos „Land“ mit seinen 16:17 Minuten daher. Das gab es bisher weder auf „Ragnarok“ und „Erik The Red“, allein „How Far To Asgaard“ des gleichnamigen Albums brachte es auf über 20 Minuten – damit landen sie genau dort, wo sie wollen: bei zwei Musikstücken, in deren Komplexität man sich verlieren kann. Nicht beim ersten Hördurchgang, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch nicht beim zweiten, aber garantiert beim dritten; die intelligent aufgebaute Vokal/Instrumental-Struktur – zu verdanken der Gesangsmelodie, um die herum sich alles andere aufbaut– kommt hier unglaublich effektiv zur Geltung. Auch wenn die Spielzeit dieser beiden Songs der einzig progressiv anmutende Part auf „Land“ ist, hat man mit diesem Langlauf-Doppelpack zwei Titel für die TÝR-Ewigkeit geschaffen.

Den Abschluss eines grenz-genialen Albums soll die Neuaufnahme der Konzert- und Festivalhymne „Hail To The Hammer“ darstellen, deren Orginal auf der 2000er-Demo und als Re-Record schon auf „How Far To Asgaard“ vorhanden ist. Auch mit ganz viel Fantasie kann keine wirkliche Veränderung im Sound festgestellt werden, weswegen sie uns hier auch gerne mit einem neuen Lied in Verzückung hätten versetzen können.
Davon gibt es auf „Land“ jedoch mehr als genug. Ich kann mich nicht mehr als wiederholen, um das Augenmerk noch einmal darauf zu lenken: TÝR blieben ihrer Linie treu wie ein Dackelblick, ließen sich gleichzeitig aber ausreichend Raum für stilistische Verfeinerungen. Wenn ihr euch die Scheibe nur mal kurz anhören und euch nicht auf sie einlassen wollt, könnt ihr euch genau so gut die neue „Viking Metal-Band; Klappe, die x-te“-CD kaufen. Nehmt ihr euch aber die Zeit und Geduld, die „Land“ zweifelsohne für seine Entwicklung braucht, werdet ihr nicht enttäuscht und kommt in den Genuss eines Fast-Meilensteins („fast“ deshalb, weil ich noch Luft nach oben sehe), der euch die Eier kraulen wird, während ihr entspannt träumt. Als kleines Schmankerl gibt es auf der ltd. Edition übrigens noch eine DVD mit ihrem Wacken 2007-Auftritt.

Wertung: 9 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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