Tool Lateralus Album Artwork

Review Tool – Lateralus

Die Zukunft von TOOL erschien um die Jahrtausendwende ungewiss: Die Veröffentlichung des letzten Albums „Ænema“ lag bereits über vier Jahre zurück, die Band war seit nunmehr vier Jahren in diverse Rechtsstreitigkeiten mit ihrem Label verwickelt und Frontmann Maynard Keenan wandelte mit A Perfect Circle auf anderen musikalischen Pfaden. Dass der Frontmann „Lateralus“ retrospektiv als einen „Soundtrack der Heilung“ bezeichnet, erscheint unter diesen Umständen als durchaus nachvollziehbar. Aber auch musikalisch hat der dritte Longplayer einiges zu bieten, markiert er doch eindrucksvoll den endgültigen Übergang vom (zugegebenermaßen komplexen) Alternativ-Rock zum durchaus avantgardistischen und progressiven Art Rock.

2001 von der Band als zwölf Tracks umfassendes Album namens „Encéphale“ angekündigt, startete die Promokampagne mit einem Witz: TOOL, damals wie heute erklärte Gegner des illegalen Musikdownloads, fluteten die einschlägigen Plattformen wie Napster und Audiogalaxy mit allen möglichen Dateien von neuer Musik einmal abgesehen, benannt nach den Songtiteln des vermeintlichen neuen Albums – sehr zum Ärger besagter Musikpiraten, die sich nun mit einer kaum überschaubaren Masse an nutzlosen Files konfrontiert sahen, die über ihre illegalen Plattformen transferiert wurden. Rund einen Monat später veröffentliche Band dann erste korrekte Informationen zum neuen Album, inklusive dem Titel „Lateralus“.

Der Vorgänger „Ænema“ von 1996 war musikalisch durchaus komplex, bediente sich aber unterm Strich wesentlich klassischerer Songstrukturen als „Lateralus“ – was aber erstaunlicherweise wenig Einfluss auf die Eingängigkeit der Songs haben sollte. Besonders eindrucksvoll zeigt dies die Grammy-prämierte Single „Schism“, bietet der Song doch auf knapp unter sieben Minuten sage und schreibe 47 Taktwechsel, aber auch Ohrwurmcharakter nicht zuletzt durch den mantra-artigen Basslauf. Diese Zahlenvernarrtheit findet im Titelstück „Lateralus“ seinen Höhepunkt, entspricht die Silbenanzahl des Textes doch dem Fibonacci-Sequenz genannten mathematischen Modell.

Dass es auch straighter geht, zeigt die angenehm vorwärts gehende Alternative-Rock-Nummer „Parabola“. Hier gibt es auch ein beinahe klassisches Strophe-Refrain-Arrangement, welche ansonsten auf TOOLs Meilenstein ähnlich wie gerade Zählzeiten eher die Ausnahme sind. Das meisterhafte Spiel von Schlagzeug und Bass bleibt dabei faszinierenderweise trotz aller technischen Versiertheit und Komplexität erstaunlich gut im Gehörgang kleben. In Kombination mit den charakteristischen Gitarren- und Gesangspassagen fällt dann auch dem musiktheoretisch nicht so bewanderten Zuhörer die Orientierung innerhalb von Songs wie dem Opener „The Grudge“ oder dem elf Minuten langen „Reflection“ überraschend leicht.

„Lateralus“ ist das dritte und letzte TOOL-Album, dass die Band mit dem Produzenten David Bottrill, der für den inzwischen recht charakteristischen Sound der Band zumindest mitverantwortlich ist, aufgenommen hat. Tontechnisch ist das Album durchaus eigen, aber mit hohem Wiedererkennungswert. Manchem Schwermetaller vielleicht ein wenig zu schwach auf der Brust, (vor allem untenrum) zu dünn und zu kühl gemischt, was aber bis zum gewissen Grad auch notwendig ist, um sämtlichen Details die Chance zu geben, wahrgenommen zu werden. Trotzdem hat die Platte Biss, wie das Crescendo des bereits erwähnten Openers „The Grudge“ ohne Umschweife beweist.

So markiert „Lateralus“ den (vorläufigen Höhepunkt) im Schaffen einer Band, die ihre eigene Schublade innerhalb des ohnehin schon facettenreichen Progressive-Rock geschaffen hat. Musikalisch immer noch spannend und zeitlos, beweisen TOOL hier eindrucksvoll, dass sich technischer Anspruch und hohe Emotionalität mit Hitcharakter nicht zwangsweise ausschließen – und dass das Konzeptalbum immer noch seine Berechtigung hat. Denn trotz der Hits möchte das mit 79 Minuten sehr ausschweifende „Lateralus“ aufmerksam und am Stück gehört und verstanden werden.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wertung: 10 / 10

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert