Review Thy Catafalque – XII: A Gyönyörű álmok Ezután Jönnek

Jenseits des Flusses Leitha liegen die Länder der ungarischen Stephanskrone. Seit dem Ausgleich von 1867 hatte die Habsburger-Monarchie zwei Hauptstädte, Wien und Budapest. Wir heute spät Geborenen können uns dieses wahrhaft europäische Gebilde der k.u.k.-Zeit kaum mehr vorstellen. Allenfalls die Kaiserin Sisi – die eigentlich eine bayerische Prinzessin war – erinnert in jeder Weihnachtszeit bei der obligatorischen Wiederholung der Dokumentar-Klassiker mit Romy Schneider (jaja, es hat sich alles genau so zugetragen!) daran, was für eine faszinierende Welt in der Puszta zu finden war, die der eiserne Vorhang für ein halbes Jahrhundert von ihren europäischen Brüdern abschnitt. Was für eine reiche Geschichte: fremde Reitervölker, Mentalitäten so feurig wie die Paprika. Und was für eine wunderschöne Sprache!

Dass sich das zur finno-ugrischen Sprachfamilie gehörige Ungarisch hervorragend für metallische Unternehmungen eignet, beweisen THY CATAFALQUE seit vielen Jahren. Ihr zwölftes Album hört auf den schönen Titel „A Gyönyörű Almok Ezután Jönnek“ (Deepl übersetzt das mit „Die glückseligen Träume kommen als Nächstes“ – mag das stimmen?). 20 Gastmusiker verzeichnen die Infos, und ebenso reich wie die personellen Einflüsse sind die Abwechslung und die Wegstationen, mit denen THY CATAFALQUE ihre Hörer im Verlauf der musikalischen Reise konfrontieren. Dabei liegen Komplexität und Eingängigkeit genauso eng beieinander wie Modernität und traditionelle Formen, für die der Begriff „folkloristisch“ zu abwertend klänge: Bereits der Opener „Piros Kocsi, Fekete Éj“ macht diese Mischung überdeutlich. Treibende Drums drängen eine archaische Melodie vorwärts, der hymnische Gesang wirkt so eingängig wie fremdartig – jedenfalls für Nicht-Muttersprachler. Doch bevor irgendwelche Folk-Gefühle aufkommen könnten, macht ein Synthesizer unmissverständlich klar, dass wir uns im Jahre 2024 befinden und dass THY CATAFALQUE nicht die Absicht haben, einen Soundtrack für Baumkuschler zu schreiben. Ganz im Gegenteil.

Denn das nachfolgende „Mindenevö“ bietet scharfe Kontraste: Einen doomigen Einstieg, harsche Growls, dann irritierende Gravity-Blasts – und plötzlich einen Bruch, der leider so unvermittelt kommt, dass er wie ein Produktionsfehler klingt. Das hätte leicht verhindert werden können und erweckt unnötigerweise den Eindruck, hier wären Songteile einfach willkürlich am PC zusammengesetzt worden. Schade, denn prinzipiell funktioniert die wüste Tour de Force durch den Song.

Eine weibliche Radio-Stimme empfängt uns. Im nun ansetzenden Mittelteil einzelne Songs besonders hervorzuheben, führt in die Irre, ist doch dieser Teil mehr als der Rest des Albums als musikalische Reise und Ganzes konzipiert. Da bricht wüst der Prog über uns herein („Vasgyar“), wird ein altes Volkslied ausgiebig zitiert („Lydiához“), findet der Metal dennoch genug Raum, sich auszutoben, reiten wir auf einem Rappen durch die wilde Steppe, emsig begleitet vom Hackbrett, bevor sich der erstaunte Hörer unvermittelt im Synthie-Pop wiederfindet („Ködkiraly“) und in einem nächtlichen Elektrotempel irgendwo in den modernen Glaspalästen von Budapest. Ob es hier tatsächlich noch den (etwas sehr gewollten) Kontrast mit abschließenden Growls gebraucht hätte oder ob die Atmosphäre nicht allein ausgereicht hätte, um das Lied vollständig zu tragen – das muss jeder für sich entscheiden. Der abschließende Titeltrack greift geschickt die Methodik und Stimmung des Openers wieder auf und funktioniert damit wie eine Klammer um ein Album, sich ebenso schnell erschließt wie verweigert, einlädt und irritiert. Das ist vor allem eines: ungemein spannend.

Natürlich ist hierbei klar, dass ein Großteil der exotischen Faszination des Albums vor allem für all jene besteht, die des Ungarischen nicht mächtig sind. Zu selten hört man die Sprache für gewöhnlich im Alltag (Sisi beherrschte sie!), ableiten kann man sich sowieso nichts. Der Rezensent könnte in die mit der Promo gelieferten englischen Übersetzungen schauen – doch er liebt das Mysterium viel zu sehr, als sich hier profan aufklären zu lassen. Auch ohne diese Ebene funktioniert die Verschränkung von Sprache und Musik ungemein. Eben weil Ungarisch so musikalisch ist, fällt es schwer, sich die Songs in einem anderen Idiom vorzustellen. Die Konsequenz, mit der Tamás Kátai seit 20 Jahren diese Reise zwischen Black Metal und seiner Heimatkultur durchzieht, beeindruckt umso mehr, da es THY CATAFALQUE im Gegensatz zu einigen Werken zuvor diesmal gelungen ist, ein durchgängig spannendes, ambitioniertes, aber nicht durch krude Ideen irritierendes Album zu schaffen. Einzig eine Sache sollte sich der Multiinstrumentalist ernsthaft durch den Kopf gehen lassen: Einen menschlichen Drummer zu verwenden. Das programmierte Schlagzeug klingt nach wie vor künstlich, ohne Dynamik und teilweise unrealistisch. Ein Mensch an den Kesseln würde auch der eh schon äußerst dichten Atmosphäre einen letzten Schliff geben.

Die Kaiserin hatte jedenfalls recht: Unsere Blicke sollten viel öfter nach Transleithanien wandern. Und unsere Ohren diese Sprache hören!

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Wertung: 8.5 / 10

Redaktion Metal1.info

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Ein Kommentar zu “Thy Catafalque – XII: A Gyönyörű álmok Ezután Jönnek

  1. Für mich definitiv ein Anwärter auf das Album des Jahres. Spannend, abwechslungsreich, hart und zart zugleich. Etwas wie Devin Townsend für „Erwachsene“, ohne den Eso-Kram drumherum … soll kein Diss sein, aber die letzten DT-Sachen waren einfach nicht mehr meins.

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