Review Therion – Lemuria / Sirius B

Schaut man sich an, was die Herrschaften von THERION auf ihren letzten beiden Veröffentlichungen quantitativ an Songs rausgehauen haben, möchte man fast eine Dopingkontrolle ansetzen: 36 Lieder auf zwei Alben, das ist ja fast schon Grindcore. Musikalisch hatten die Mannen aus dem schönen Schweden natürlich auch 2004 nichts mit Grindcore am Hut – seit mehr als einem Jahrzehnt steht man für qualitativ höchstwertigen Metal, der zahlreiche Elemente der Klassik absorbiert und mit dieser zu einer immer wieder anders geratenden Legierung verschmilzt. Auch mit dem üppigen Doppelalbum „Lemuria / Sirius B“ schafften die Herren es wieder einmal, sich neu zu erfinden. Betrachtet man die Vorgängerwerke „Deggial“ und insbesondere „Secret of the Runes“, so fällt hier auf, dass der Anteil, den der orchestrale Bombast an der Musik hatte, stark reduziert wurde. Ich höre die entsetzten Aufschreie – keine Sorge, die ganze Klassikriege ist natürlich immernoch vertreten. Und wie! Hier wurde geklotzt und nicht gekleckert. Zunächst holte man das Prager Philharmonieorchester, dazu einen riesigen gemischten Chor und schließlich noch einzelne Gastmusiker ins Boot (selbiges dürfte dafür die Größe eines mittleren Kreuzfahrtschiffs gehabt haben). Insgesamt waren 171 Menschen an den Aufnahmen für dieses Album beteiligt. Uff! Trotz alledem konzentrieren sich die 21 Songs im Kern auf die Gitarrenarbeit der famosen Johnsson-Niemann-Kombo, wobei der Klassiksektion eher die Rolle eines Unterstützers zufällt.

Dass THERION für grandioses Songwriting stehen, ist ja nicht erst seit „Gothic Kabbalah“ bekannt, und so ist es kaum verwunderlich, dass auch die hier vorhandenen Lieder richtig rocken. Überall gibt es Elemente, bei denen man vor Freude jauchzen oder auf der Stelle sein Haar öffnen und rumschwingen möchte – hier steckt die Überraschung nicht in jedem siebten Ei, sondern in jedem zweiten Song, wenn nicht gar in jedem eineinhalbten. Grundlage des Ü-Ei-Konzepts (Spannung, Spaß und was zum Bangen) ist das lyrische Grundgerüst: „Lemuria / Sirius B“ führt den Hörer um die ganze Welt, durch sämtliche Götterhimmel, die man sich so vorstellen kann und bietet damit die perfekte Grundlage für ein abwechslungsreiches Hörerlebnis. Mayas, Hindus, Babylonier, Griechen, Ägypter, Germanen – all ihre Mythologien werden verarbeitet.

Im Grunde hat es wenig Sinn, hier alles durchzugehen, denn die spaßigste Methode ist es, die Lieder zu hören und gleichzeitig ein Lexikon oder eine Suchmaschine zu bemühen, um sich selbst die Hintergründe zu erlesen; jede neue Erkenntnis verbessert das „Gefühl“, das man für den Song hat. Da eigentlich fast alle Lieder Highlights sind, bietet sich mir das Privileg, die Rosinen aus dem Rosineneimer zu picken. Da wäre zum Beispiel „Son of the Sun“, von der ägyptischen Mythologie inspiriert, das ein herrlich straightes Rocklied mit klassischem Gesang ist und live zu einem der geilsten Songerlebnisse wird, das man sich vorstellen kann. Mit „Kali Yuga“ wird der hinduistische Götterhimmel ausgeschlachtet. Die Schweden opfern der Todes- und Zerstörungsgöttin in bester „Indy und der Tempel des Todes“-Manier tonnenschwere Riffs und okkulte Gesänge in der Strophe der ersten Hälfte; Teil 2 des Songs packt die Bombast-Keule aus und tritt feste aufs Gaspedal. Wieder okkulte Gesänge, doch hier möchte man einfach nur noch die Haare schleudern, so sehr reißt der Song mit. „The Dreams of Swedenborg“ trägt den Namen des schwedischen Mystikers Emanuel Swedenborg im Titel. Gekonnt setzt man hier auf eine Laut/Leise-Langsam/Schnell-Dynamik, die durch die sehr markante und ungeheuer charismatische Stimme des Piotr Wawrzeniuk veredelt wird. Der größte Knaller ist wohl „Voyage of Gurdjieff (The Fourth Way)“, denn dieser Song ist die Manifestierung des Begriffs Symphonic Metal – von beidem gibt es eine Jumboportion; tolle Riffs in Mördertempo, klassischer Gesang erster Güte und ein Solo, das dafür empfänglichen Frauen einen multiplen Orgasmus bescheren dürfte (das schreit nach praktischer Erprobung!).

Ich könnte ewig so weiterschwafeln, denn es gibt in den rund 100 Minuten, die dieses Doppelalbum zu bieten hat, keinen Ausfall zu verzeichnen; lediglich einzelne Längen gibt es zu beklagen. So fehlt es „Melek Taus“, „Dark Venus Persephone“ sowie „Call of Dagon“ beispielsweise an einem richtigen Höhepunkt, „An Arrow from the Sun“ zieht sich etwas in die Länge. Doch meist gibt es in jedem Stück irgendein Schmankerl, das die meisten Schwächen ausbügelt. Wie auch das drei Jahre später erschienene „Gothic Kabbalah“ ist „Lemuria / Sirius B“ ein großes Stück Musik. Da „Gothic Kabbalah“ jedoch noch etwas in sich geschlossener ist und es hier immer wieder kleine Schönheitsfehler gibt, bleibt es bei:

Wertung: 8.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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