Review The Velvet Underground – The Velvet Underground & Nico (45th Anniversary Deluxe Edition)

  • Label: Polydor
  • Veröffentlicht: 2012
  • Spielart: Rock

Auch wenn man es sich im 21. Jahrhundert nicht mehr wirklich vorstellen kann: Es gab eine Zeit, in der es musikalisch, textlich oder konzeptionell anspruchsvollen Bands schwer gemacht wurde, bei einem Label unterzukommen. Das Publikum für derartige Musik wäre zu klein, es würde Skandale aufgrund der Texte geben und insgesamt wäre ein derartiges Album nur unter großen finanziellen Verlusten möglich. Was man sich im 21. Jahrhundert allerdings gut vorstellen kann: Viele Alben erfahren erst Jahre nach ihrer ersten Veröffentlichung die Wertschätzung, die ihnen gebührt. Diese Aussagen können direkt aus der Entstehungsgeschichte des von Andy Warhol produzierten THE VELVET UNDERGROUND-Albums „The Velvet Underground & Nico“ übernommen werden – ausgehend von der vom Management beschlossenen Besetzung des Kölner Models Nico als Sängerin, über verschiedene Besetzungswechsel und endlose Versuche, ein Label zu finden bis hin zum Ikonen-Status der Band ist hier alles vorhanden. Alleine die Tatsache, dass eine Jubiläumsedition dieses Albums mit dem Titel „45th Anniversary Edition“ überschrieben ist, zeigt an, dass hier trotz oder gerade eben wegen der vielen Widrigkeiten in der Geschichte dieses Albums von einem zeitlosen Klassiker die Rede ist.

Wenn es hier nur um eine Bewertung des tatsächlichen Albums ginge, könnte dieser Text hier aufhören – alles außer der Höchstwertung wäre nicht vertretbar. Über den verträumten Einstieg in Form von „Sunday Morning“, über straight nach vorne rockende Songs wie „I’m Waiting For My Man“, vorbei an psychedelischen, düsteren Songs wie „Venus In Furs“ oder „All Tomorrow’s Parties“ bis hin zum chaotischen, alle Strukturen verlassenden Abschluss „European Son“ – einen wirklich schlechten oder nicht wirklich begeisternden Song auszumachen, ist hier nahezu unmöglich.
Scheinbar spielerisch kombinieren THE VELVET UNDERGROUND auf diesem Album Rock’n’Roll, Pop und Avantgarde-Elemente, wodurch dieses Album als Grundlage für den heute populären Begriff des „Indie-Rock“ fungiert. Nahezu alle erfolgreichen Bands aus der Indie-Disco eures Vertrauens wären ohne dieses Album niemals gegründet worden. Ein Song wie das zentrale Opus Magnus „Heroin“ steht in seiner Klasse in der Musiklandschaft für sich: Die Art und Weise, wie hier die Drogensucht vertont wird und mit pulsierenden Schlägen in ihrem Schrecken und ihrer Schönheit besungen wird, steht für die emotionale und mitreißende Klasse dieser Band.

Zum 45. Geburtstag dieses monumentalen Albums liegt eine 2-CD-Sonderedition mit einem informativen Booklet vor (welche auch in wesentlich größeren, streng limitierten Ausgaben mit Hardcover-Buch und sechs CDs erhältlich ist). Während das Album hier in der klanglich satteren Stereo-Version enthalten ist, finden sich auf der ersten CD fünf unterschiedliche Versionen einiger Albumsongs, wobei vor allem „European Son“ merklich an Wahnsinn zulegt und noch kaputter klingt als die „normale“ Version. Insgesamt wird allerdings klar, warum die Album-Versionen den Vorzug vor diesen Versionen erhalten haben, da sich die alternativen Versionen insgesamt eine gute Nummer sperriger darstellen.
Die zweite CD bietet sowohl die Scepter Studio Sessions als auch die bisher unveröffentlichten Factory Rehearsals, welche als Vorbereitung für die Aufnahme des Albums dienten. Für den „gewöhnlichen“ Musikkonsumenten sind diese Zugaben allerdings wohl nur von geringem Interesse, da sich die Versionen in den Scepter-Sessions sowohl klanglich als auch musikalisch nur minimal von den Studioversionen unterscheiden, die später auf dem Album gelandet sind. Die Factory Rehearsals sind als Dokument, wie die Songs das wurden, was sie sind, sicherlich sehr interessant – in ihrer grauenhaften Qualität allerdings nur für Hardcore-Fans gedacht. Die Band ist hier merklich nicht eingespielt und teilweise am oberen Limit ihrer technischen Fähigkeiten und die Lieder werden immer wieder ab- und durch Gerede unterbrochen. Als Dokument sind diese Aufnahmen sicherlich wichtig, wirklich hörbar ist allerdings anders.

Die neu gemischte Auflage dieses THE VELVET UNDERGROUND-Klassikers ist für jeden Musikliebhaber, der dieses Album noch nicht besitzt, eine perfekte Gelegenheit, diese Lücke zu schließen. Die vielen verschiedenen Versionen eröffnen einen Einblick in die Entstehung dieser Songs, welche schließlich auch Metal-Fans zeigen, dass Lou Reed vor seiner Kollaboration mit Metallica einer der bedeutendsten Songschreiber der Geschichte war.

Wertung: 8.5 / 10

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