Alben von THE TANGENT zeichnen sich stets durch drei Dinge aus: Besetzungswechsel, Gleichklang und gute Qualität. Das alles gilt auch für das neueste Werk von THE-TANGENT-Kopf Andy Tillison, „Le Sacre Du Travail (The Rite Of Work)“. Und doch gibt dieses Mal einen kleinen Unterschied. Genau genommen sind es sogar zwei: Denn erstens hat der Brite noch nie ein Konzeptalbum veröffentlicht und zweitens ist es die erste Sinfonie der Band, wenn man dem Untertitel „An Electric Sinfonia by Andy Tillison“ glauben darf. Folgerichtig bietet die Platte dem Hörer keine Songs, sondern fünf „Movements“ mit bis zu 22 Minuten Länge.
Wirklich erstaunlich ist, dass sie dabei völlig ohne echtes Orchester auskommt. Mit Ausnahme der Blasinstrumente reproduziert Tillison alles mit seinen Keyboards. Das Ergebnis klingt sehr authentisch und professionell und hat sicher jede Menge Zeit gekostet. Thematisch behandelt „Le Sacre Du Travail“ einen Tag im Leben eines durchschnittlichen Bürgers der westlichen Welt, die einzelnen Movements vertonen jeweils einen ausgewählten Abschnitt des Tages. Als Haupteinfluss gibt der THE-TANGENT-Chef das Album „Days Of Future Past“ von The Moody Blues aus dem Jahr 1967 an, dem ein ganz ähnliches Konzept zugrunde liegt. Außerdem nennt er Deep Purples „Concerto For Group And Orchestra“ und Roger Waters‘ „Amused To Death“ als Wegbereiter.
Leider spiegelt sich der Tagesablauf nur bedingt in der Stimmung und Instrumentierung der Stücke wieder, von einigen Soundspielereien wie dem Wecker im Opener einmal abgesehen. Die Hinzunahme von (synthetischen) Orchesterinstrumenten macht die ohnehin nicht gerade greifbare und eingängige Musik der Band noch ein gutes Stück zerfahrener und herausfordernder. „Le Sacre Du Travail“ ist sicher kein Album zum Nebenbeihören, es will mit voller Aufmerksamkeit genossen und verstanden werden. Dass Tillisons Stimme und seine unkonventionellen Gesangsarrangements dem hohen instrumentalen Niveau nicht gerecht werden können, ist seit jeher das größte Problem der Band und erschwert den Zugang zu der Musik enorm.
Vermutlich auch deshalb hat sich der ambitionierte Engländer Unterstützung von Sänger David Longdon (Big Big Train) und Erzähler Rikard Sjoblom (Beardfish) geholt. Der erstaunlichste und zugleich am unpassendsten anmutende Neuzugang in der Musikerriege ist aber Gavin Harrison, der sich in den letzten Jahren als Schlagzeuger für Porcupine Tree eine beachtliche Reputation erarbeitet hat. Zwar war Harrison dank seiner Mitgliedschaft bei King Crimson auf dem Papier schon in einer anderen „Kopf-Prog“-Band aktiv, dennoch betritt er hier klar musikalisches Neuland, denn symphonischen Progrock hat er sicher noch nie gespielt.
Ansonsten hat Tillison aber viele alte Bekannte versammelt, die in der mittlerweile schon zehnjährigen Geschichte von THE TANGENT immer wieder eine Rolle gespielt haben: Saxofonist und Flötist Theo Travis ist die einzige echte Konstante der Band neben Tillison selbst, Bassist Jonas Reingold von den Flower Kings erstmals seit 2008 wieder dabei, die Gitarristen Jakko M Jakszyk und Guy Manning scheinbar immer auf Abruf bereit, mitzumachen. Dennoch sitzen hier hinter Bass, Gitarre und Schlagzeug gänzlich andere Musiker als noch auf dem letzten Album der Band, „Comm“ aus dem Jahre 2011.
„Le Sacre Du Travail“ ist das ambitionierteste Werk, das bisher unter dem Banner THE TANGENT erschienen ist. Es vereint alles, was den Sound der Band ausmacht und erweitert ihn dezent um einige Orchester-Arrangements, die allerdings nie pompös daher kommen. Das würde auch nicht zum leicht spröden, sehr englischen Prog-Stil passen, den die Band zelebriert. Tillison dürfte sich mit dem Album einen Traum erfüllt haben – für die Progszene ist es allerdings nur ein weiterer, gewohnt guter THE TANGENT-Longplayer, der einfach nicht genug aus dem restlichen Material der Gruppe hervorsticht – wer wie ein Uhrwerk ordentliche, aber immer sehr ähnliche Alben abliefert, hat es eben wirklich schwer, noch zu überraschen und zu begeistern.
Wertung: 7.5 / 10