2018

Review The Ocean Collective – Phanerozoic I: Palaeozoic

Für die Fans des THE-OCEAN-Kollektivs aus Berlin, welches mit „Aeolian“ 2005 und „Precambrian“ 2007 zwei Meilensteine des (durchaus post-Hardcore-geprägten) Post-Metals veröffentlicht hatte, war der Sprung zur „richtigen“ Band THE OCEAN und dem Album „Heliocentric“ ein recht großer. Gitarrist Robin Staps und seine Mitstreiter haben seitdem sicherlich viele neue Fans dazugewonnen – aber auch ein paar alte verloren. Grund hierfür waren neben den (wohlgemerkt technisch hervorragend umgesetzten) cleanen Gesangspassagen des damals neuen Frontmanns Loïc Rossetti auch die insgesamt Metal-lastigere Ausrichtung im Songwriting der inzwischen in der Schweiz angesiedelten Truppe.

Die Zeiten waren vorbei, in denen Staps komplette Alben mit Sessionmusikern und verschiedenen Gastsängern aufgenommen hatte, unter denen auch prominente Namen wie Nate Newton (Converge, Old Man Gloom, Doomriders), Tomas Hallbom (Ex-Breach), der leider kürzlich verstorbene Caleb Scofield (Old Man Gloom, Cave In) oder auch Sean Ingram (Coalesce) zu finden waren. THE OCEAN waren zu einer Band mit einer festen Besetzung gereift. Das Missing Link: die Verbindung zwischen dem offenen Kollektiv der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts und den „neuen“ THE OCEAN, die nun statt der wütenden, ungezügelten Converge-artigen Energie durchaus ansprechende, beinahe radiokompatible Songstrukturen ausspuckten, als hätten sie nie etwas anderes getan.

„Heliocentric“ folgten mit „Anthropocentric“ und „Pelagial“ zwei weitere (subjektiv wieder etwas härtere) Alben mit Rossetti am Mikrofon, doch inzwischen sind fünf Jahre ins Land gezogen, in denen die Musiker auf Tour waren und von Irkutsk, Sibirien, bis Quito in Ecuador so ziemlich den gesamten Planeten bespielt haben – und die Welt wartet nun gespannt auf „Phanerozoic I: Palaeozoic“, den ersten des zwei Teile umfassenden Gesamtwerks … und siehe da: auf dem Cover steht doch tatsächlich THE OCEAN COLLECTIVE.

Gleich der erste Track nach dem Intro lässt einen an „Precambrian“ zurückdenken: „Cambrian II – Eternal Recurrence“ ist ein grollendes, ultrafettes Riffmonster mit einer fragilen Synthesizer-Melodie, auf dem Loïc Rossetti seine Zeilen so hart und kompromisslos wie nie zuvor ins Mikrofon brüllt – auch wenn melodischere Passagen nicht lange auf sich warten lassen. Sogar ein Blastbeatpart gesellt sich dazu und das gefällt, kombiniert es doch geschickt die (vor allem gesanglichen) Qualitäten der „neuen“ THE OCEAN mit der Roughness des „alten“ Kollektivs. Der Schlußpart des anfangs sehr atmosphärischen „Devonian – Nascent“ (auf welchem neben Rossetti auch Katatonia-Sänger Jonas Renske zu hören ist) hätte so auch auf „Aeolian“ sein können. Über derbe Parts zu schreien wäre zu offensichtlich, meinte Staps noch vor kurzem in einem Interview, trotzdem fühlt sich der Zuhörer aufgrund der harten Vocalpassagen und rifforientierten Instrumentals immer wieder an die Frühwerke des Wahl-Berliners erinnert.

Dabei besinnt sich die Band aber regelmäßig auf ihre neuen Tugenden und lässt melodischeren und zugänglicheren Elementen in den Songs jederzeit genug Luft zum Atmen. Die Arrangements wirken weniger verspielt, aufgeräumter, zwar detailverliebt, aber nicht zu überladen. Vielleicht scheint „Phanerozoic I: Palaeozoic“ dadurch phasenweise härter als „Pelagial“ zu sein und stellt somit wirklich so etwas wie ein Bindeglied zwischen „Precambrian“ und „Heliocentric“ dar, verbindet es doch gekonnt die beiden musikalischen Welten. Übrigens auch inhaltlich, denn es geht um das Erdzeitalter, welches auf das Präkambrium folgte – und dessen Artenvielfalt durch ein Massensterben massiv dezimiert wurde. Und es geht um den ewigen Kreislauf (des Lebens), es geht um Zeit, sich wiederholende Muster und die Wahrnehmung derselbigen.

Robin Staps hat „Phanerozoic I: Palaeozoic“ weitestgehend im Alleingang geschrieben, völlig isoliert in einem Haus am Meer. Von Loïc Rossetti abgesehen ist er dabei von neuen Mitstreitern umgeben – zumindest in Sachen Albumproduktion, der eine oder andere Musiker stand sicher schon einmal mit ihm auf der Bühne. Sowohl Drummer Paul Seidel als auch Bassist Mattias Hägerstrand sind das erste Mal auf einem THE-OCEAN-Longplayer zu hören. Peter Voigtmann (der jahrelang die spektakulären Lichtshows der Band gestaltet hat) erweitert die klangliche Palette um dystopisch und analog anmutende Synthesizersounds. Auch etwas, was auf den Frühwerken immer wieder Bestandteil der Kompositionen war. Aber auch Piano und Cello durften bei den Aufnahmen nicht fehlen und wurden von Vincent Membrez und Dalai Theofilopoulou in Berlin eingespielt. Für den mächtigen Sound des Albums sind neben Julian Fehrmann (erledigte das Drum-Recording in den Sundlaugin Studios auf Island, in denen schon Sigur Ros oder auch Björk zu Gast waren) auch Magnus Lindberg und Jens Bogren verantwortlich – allesamt Experten auf ihrem Gebiet, die bereits mit THE OCEAN oder anderen Post-Metal-Bands wie Cult Of Luna erfolgreich zusammengearbeitet haben.

Klar, so richtig Hardcore ist hier auch nichts mehr so wirklich .Trotzdem sind die Jungs gefühlt wesentlich düsterer, rotziger und aggressiver unterwegs als auf ihren letzten Veröffentlichungen. Und das steht ihnen durchaus gut zu Gesicht. „Phanerozoic I: Palaeozoic“ ist auf den ersten Blick nicht so offensiv progressiv und technisch wie „Pelagial“, bietet aber mindestens genauso viele Details, die entdeckt werden möchten. Ein Album in der Tradition der bisherigen THE-OCEAN-Releases, deren Werte sich nicht immer nach dem ersten flüchtigen Anhören offenbart haben – man soll auch dieses Ding mehrmals in die Hand nehmen, sich damit beschäftigen, es bewusst genießen. Das Artwork von Martin Kvamme (inzwischen sein fünftes für die Band) unterstreicht diesen Anspruch: So wird „Phanerozoic I: Palaeozoic“ in verschiedensten Ausführungen angeboten – von der „einfachen“ CD im mit metallisch wirkenden Druck versehenen Mehr-Ebenen-3D-Digipak bis hin zur farbigen LP-Version mit Live-DVD, echten Fossilien (mit Zertifikat) und weiteren Extras, formschön verpackt in einer Holzschatulle. Wer es anspruchsvoll, aber doch auf die Zwölf mag und Bands wie Cult Of Luna oder Abraham etwas abgewinnen kann, sollte sich dieses großartige Album auf keinen Fall entgehen lassen.

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Wertung: 9 / 10

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