Jason Köhnen ist vieles, aber definitiv nicht berechenbar. Mit The Kilimanjaro Darkjazz Ensemble und The Mount Fuji Doomjazz Corporation hat der Niederländer seine ganz eigene Version von Jazz geschaffen, die er in Mansur mit spirituellem Ambient und in THE LOVECRAFT SEXTET mit neoklassischer und sakraler Musik angereichert hat. Nun könnte man meinen, dass er mit „In Memoriam“ (2021), dem Debüt seines letztgenannten Projekts, bereits alles gesagt hat. Schließlich hat Köhnen seinen Dark Jazz auf dem von einer eigens verfassten Kurzgeschichte begleiteten Konzeptalbum bereits in die perfekte Cosmic-Horror-Trauermusik verwandelt. Doch Köhnen ist eben Köhnen und so folgt nur wenige Monate später mit „Nights Of Lust“ bereits ein weiteres Album von THE LOVECRAFT SEXTET, das ästhetisch kaum weiter vom Erstwerk entfernt sein könnte.
Wie sich schon anhand des Pop-Art-Coverbilds erahnen lässt, hat der Einzelkünstler sich diesmal von dem breiten Feld der Pop-Kultur inspirieren lassen. Köhnen beruft sich diesbezüglich auf Joe Shusters Comicreihe „Nights Of Horror“, die trashigen Teenie-Grusel-Streifen der 80er Jahre und die Filmmusik von John Carpenter und Angelo Badalamenti. Dementsprechend klingt „Nights Of Lust“ bis auf die gelegentlich erschallenden, ominösen Orgeln alles andere als kirchlich. Anstelle von andächtigem Piano und Chorgesang umspielt THE LOVECRAFT SEXTET sein charakteristisch geschmeidiges Saxophon-, Bass- und Schlagzeugspiel nun mit sphärischen Vocals, Synthesizern und Beats.
Diese Hinwendung zum Synthwave mag auf den ersten Blick nicht so recht mit dem außerweltlichen Grauen zusammenpassen, für das THE LOVECRAFT SEXTET mit seinem Namen steht. Mit dem Sounddesign von Carpenters Filmklassikern wie „The Thing“ (1982) im Hinterkopf mag man aber durchaus einen Zusammenhang zwischen dem typisch Lovecraft‘schen Gefühl der Ohnmacht gegenüber fremdartigen Mächten und dem Klang schummriger Retro-Synthesizer erkennen. Interessant ist diese von Köhnen vormals ungehörte Klangkombination auf jeden Fall.
Vor allem im Mittelteil der Platte holt THE LOVECRAFT SEXTET das Beste aus dem Mix aus Dark Jazz und Synthwave heraus. Im gespenstischen „Torture Garden“ klingt der diesmal ziemlich präsente, betäubende Gesang besonders schaurig, „Absolution“ überzeugt mit seinem herrlich seidigen Wechselspiel aus Klavier, Synths und Saxophon und „Fade To Grey“ strahlt mit seinen mal trippelnden, mal rauschenden Sounds und stampfenden Rhythmen eine neonfarbene Kälte aus.
„Nights Of Lust“ mag nicht ganz so subtil eindringlich wie „In Memoriam“ sein und auch ein paar schwächere Passagen aufweisen. Indem Köhnen den visuellen und klanglichen Stil seines jüngsten Projekts so konsequent umgekrempelt hat, ist ihm jedoch einmal mehr ein aufregender künstlerischer Output gelungen. Nun steht fest, dass THE LOVECRAFT SEXTET für den musikalischen Vordenker nicht bloß eine nette Spielerei für zwischendurch war, sondern ein Outlet mit noch lange nicht ausgeschöpftem Potential. Man darf gespannt sein, mit welchen Ausdrucksmitteln der stilistische Tausendsassa den Schrecken des Ungewissen beim nächsten Mal einfangen wird.
Wertung: 8 / 10