Review The Contortionist – Intrinsic

Die große Hoffnung des Fans progressiver Musik ist das ultimative Flow-Erlebnis, das eintritt, wenn man nach mehreren Durchläufen mit einem Album warm wird, immer mehr Tiefe entdeckt und schließlich geradezu darin badet, ohne einen schnelle Abnutzungseffekt befürchten zu müssen. Dahin zu kommen ist jedoch nicht leicht, weil die meisten progressiven Neuerscheinungen auf den ersten Blick sperrig daherkommen und nicht mit leichten und eingängigen Hooks verwöhnen. Es bleibt zunächst immer die Ungewissheit, ob es irgendwann diesen magischen Moment gibt, bei dem das intellektuell getriebene Hinhören zum einer emotionalen Hingabe wird.

Natürlich stellt der progressive Anspruch an eine Band noch viel größere Herausforderungen. Neben der notwendigerweise ausgereiften Spieltechnik, die aber auch nicht zu frickelig rüberkommen darf, muss sich eine solche Band immer neu erfinden, sich andersartige musikalische Elemente zu Eigen machen und dabei ein großes Risiko eingehen, dass am Ende ein verquaster Rohrkrepierer rauskommt; so meiner Meinung geschehen bei Storm Corrosion.

Die Jungs von The Contortionist gehen dieses Risiko ein, sicherlich beflügelt vom Achtungserfolg, den ihr erstes Album „Exoplanet“ erzielt hat. Es beinhaltete einen sehr illustren Mix, der als progressiver Death Core bezeichnet werden kann. Inzwischen hat sich die Band jedoch gemäß der genretypischen Anforderungen weiterentwickelt. Die progressive Textur ist nun reichhaltiger und umfasst nun mehr nachdenkliche und manchmal geradezu sphärische Elemente. Es gibt sogar Momente, die tatsächlich an Steve Wilson und –mit etwas Phantasie – an Pink Floyd erinnern. Diese Ausrichtung geht zulasten der Anteile aus dem Death Core. Diese sind zwar vorhanden, erscheinen jedoch fast als Fremdkörper. Das hat zwei Ursachen: Erstens überfällt einen die brachiale Härte stets unerwartet und ohne Übergang und zweitens ist Sänger Jonathan Carpenter zwar nicht direkt überfordert, wenn es ums Shouten geht, aber im Ausdruck und Umfang doch stark eingeschränkt, wenn man es mit seiner klaren Stimme vergleicht, die ansonsten zum Tragen kommt. Gerade die klare Stimme gefällt mir ausnehmend gut und bereichert Stimmung und Atmosphäre der Platte mit nachhaltiger Wirkung. Insgesamt wäre es mir mehr entgegen gekommen, wenn man das djent-artige Riffing der harten Parts noch besser in den Liedfluss eingearbeitet und auf das Shouting überwiegend verzichtet hätte. Aber so radikal wollte sich The Contortionist wohl dann doch nicht entwickeln. Freunde des progressiven Metalcore sind daher bei Bands wie Periphery derzeit noch besser aufgehoben.

Diese Nörgelei ist jedoch Jammern auf hohem Niveau, da das Album ansonsten den geneigten Fan auf einen atemberaubenden Trip durch Abgründe und Höhen schickt, der seinesgleichen sucht. Stets steht eine angenehme Portion Wahnsinn und Psychose bereit, um dem Hörer das Gehirn zu verdrehen, aber immer Hand in Hand mit luftigen und sphärischen Arrangements gehend, die wirkungsvoll aber nicht zu häufig vom Keyboard unterstützt werden. Letzteres streut auch immer wieder jazzige Elemente ein, die einzelne Songs noch mehr veredeln und intellektuell anspruchsvoll erscheinen lassen. Das Klangerlebnis profitiert nicht zuletzt von einer sehr guten Produktion, die alle Instrumente angemessen kraftvoll zur Geltung bringt, ohne nur auf möglichst hohen Schalldruck abzuzielen.

Zwar hindert mich das immer unvermittelt auftretende brutale Gerumpel, ein Flow-Erlebnis zu erreichen, aber für Fans, die gerne genau hinhören und genauso unkonventionelle wie reichhaltige Kreativität lieben, ist „Intrinsic“ eine gute Empfehlung.

(Nicolas Sander)

Wertung: 8 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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