Als „Ghostwriter“ bezeichnet man für gewöhnlich einen professionellen Autor, der einem Star hilft, eine Autobiografie zu verfassen. Eher selten ist damit eine Person gemeint, die dem Protagonisten wie ein Geist folgt und dann ein Buch im Buch schreibt. So in etwa muss man sich das allerdings bei „Dreck und Glitzer“ vorstellen, beziehungsweise dem Autoren-Duo Tex Brasket und Christian Schlodder.
Ersterer ist seit 2021 Sänger von SLIME und hat der deutschen Punk-Instanz nach dem Ausstieg von Dirk „Diggen“ Jora neues Leben eingehaucht. Authentisches Leben, aber kein leichtes: Tex ist, erfährt man in „Dreck und Glitzer“, psychisch vorbelastet, war phasenweise drogenabhängig, (klein-)kriminell, obdachlos und brachte es, dank einer bemerkenswerten Portion Selbstvertrauen, aber auch der einen oder anderen glücklichen Fügung, zunächst als Straßenmusiker in Berlin zu bescheidenem Ruhm, ehe sein Kindheitstraum vom Leben als Berufsmusiker doch noch in Erfüllung ging. Bei SLIME, sei noch einmal festgehalten – und nicht etwa bei ihren Genrekollegen 100 Kilo Herz, bei deren Songtitel sich Basket und Schlodder für „Dreck und Glitzer“ freimütig (und ohne erkennbaren Kontext) bedienen.
„Ich hab gelernt, groß zu träumen, als ich nichts mehr zu verlieren hatte“, schreibt Brasket an einer Stelle im Buch, und wenn man ihm lesend durch seine Geschichte(n) folgt, vom unglücklichen Start als Kind drogensüchtiger Eltern in den USA bis hinein in sein neues Leben, wirkt der Plot im Ganzen zumindest wie der Traum eines jeden Biopic-Regisseurs. Aber auch als Buch funktioniert er ganz wunderbar – weil Tex seine Geschichte authentisch herüberbringt: Nicht überdramatisierend (im Gegenteil!), aber eben auch nichts verharmlosend, mal stolz, manchmal reumütig, und zuletzt sogar mit einem Anflug von Wehmut, wenn er auf seine Zeit auf dem „Langen Jammer“ zurückblickt, jener Brücke in Berlin, auf der seine Karriere als Straßenmusiker ihren Lauf nahm: „Vielleicht wäre es woanders auf anderen Wegen ähnlich gelaufen. Ist es aber nicht.“ Also erzählt er eben, wie es gelaufen ist. Oder zumindest, wie er möchte, dass wir es uns vorstellen. Und das ist, im Kontext einer Autobiografie, sein gutes Recht.
Aber dann ist da eben noch Christian Schlodder. Der wurde, wie so viele, durch Tex‘ Musik aus dem Alltagsstress heraus und auf den Asphalt des „Langen Jammer“ gezogen, wo er mit Tex viele Stunden verbracht hat, die zunächst zu einer Freundschaft, und nun zu diesem Buch geführt haben. Die nächste „Zu-schön-um-wahr-zu-sein“-Geschichte? Leider nein. Denn Schlodder schreibt, von Tex‘ Berichten kapitelweise abgesetzt, einen Mix aus Porträt, Rezension und eigener Geschichte. Und er tut das durchaus mit dem Anspruch, die eine oder andere Darstellung von Tex‘ „geradezurücken“. Nur lebt eben kaum eine literarische Gattung so sehr von ihrer Subjektivität wie die eine Autobiografie. Die Idee, Tex‘ Lebensbericht durch diese „Außenansicht“ eine zweite Ebene und dem Buch damit mehr Gewicht zu verleihen, ist darum schon im Grundsatz fragwürdig. Am Ende scheitert das Konzept aber vor allem daran, dass Schlodder den Part des Journalisten mehr schlecht als recht erfüllt: Scheinbar wahllos wechselt er zwischen sachlicher Reportage und fast romanhaft blumiger Erzählung, tatsächlich Erlebtes wird mit hinzu gedichteten Details ausgeschmückt. Schlodder formuliert prätentiös und gewollt bildhaft – aber eigentlich malt er dabei nur sein eigenes Bild.
Richtiggehend unangenehm deutlich wird das, als er ausführt, wie hart sein Mittelklasseleben (definiert durch „einen halbwegs vernünftigen Urlaub im Jahr und regelmäßige Kneipenbesuche“) mit seinem „so lala bezahlten Job“ mitunter war – nur wenige Absätze, nachdem er schreibt, dass Januar der härteste Monat ist, um – wie Tex – auf der Straße zu leben. Nur um dann auch noch in ebenjene Romantisierungsfalle zu tappen, vor der Tex keine 150 Seiten zuvor noch so eindringlich gewarnt hatte. Pseudo-philosophisch schwadroniert Schlodder nun also: „Wenn ich an manchen Januarabenden mit Tex auf dem Jammer hing und die Szenerie beobachtete – all die Leute, die über den Beton schlichen und peinlich berührt, den Blick wo anders hinwarfen, weil es nichts gab, was man in den Koffer hätte werfen können, hatte ich das Gefühl, dass diese beiden extremen Welten – die von uns Normalos und die des Straßenmusikers – in diesem Punkt gar nicht so unterschiedlich waren. Nur dass Tex keine Fassade aufbauen musste, um das zu kaschieren. Das machte ihn ein riesengroßes Stück freier als den Rest um ihn herum, mich eingeschlossen.“ Schreien möchte man, und kurz in die Rolle des Lektors schlüpfen: die Passage durchstreichen und „Widerspruch, s. S. 47“ daneben krakeln. Dort nämlich schreibt Tex: „Wie häufig das Straßenleben heutzutage stellenweise romantisiert wird, finde ich wirklich beängstigend. Oftmals sind das dann Leute, die nie mehr als einige Sommerwochen da draußen waren, da draußen sein mussten. Wenn überhaupt. Vielleicht ist es wie mit vielen anderen Lifestyles, die nicht jedem mehr oder minder automatisch zugänglich sind: […] Was für ein Leben, denkt man sich dann oft. Freiheit und so. In wahrheit sind das alles steinharte Knochenjobs, an denen schon viele zugrunde gegangen sind.“
In „Dreck und Glitzer“ erzählt Tex Brasket nicht nur seine Kino-reife Lebensgeschichte, sondern auch von einer Gesellschaftsschicht, die in Literatur ansonsten genauso ausgegrenzt wird wie im restlichen Leben. Dass diese – selbst dann, wenn sie in Details von der Wahrheit abweichen sollte – authentische Erzählung durch die Draufsicht (in jeder Hinsicht) eines Bildungsbürgers aus der Mitte der Gesellschaft konterkariert wird, ist so schade wie bezeichnend. Schlussendlich kann man das Gesülze von Schlodder aber ebenso ignorieren wie den zumindest ungeschickt gewählten Titel.
Keine Wertung