Review Symphony X – V – The New Mythology Suite

Ich stecke in einer beneidenswerten Lage, denn ich darf ein neues Album von Symphony X, dem Fantasy / Prog Metal-Hybriden aus New Jersey, untersuchen und beurteilen. Und wo Fans anderer Bands einem neuen Album ihrer Heroen auch ängstlich entgegensehen müssen, kann ich mir sicher sein, dass der neue Output meiner Band genauso stark wird wie die Vorgänger. Dann, nach ein paar Durchläufen, kommt die Erkenntnis: Ich habe Recht.

Symphony X tun mit ihrem fünften Studioalbum endlich das, was man sowohl von einer guten Fantasy Metal Band als auch von einer Prog-Gruppe, die was auf sich hält, erwartet, denn bei „V – The New Mythology Suite“ handelt es sich um ein Konzeptalbum. Basierend auf Versatzstücken aus Atlantis-Legenden, altägyptischer Mythologie, Astrologie und Edgar Cayces Werken über die Kultur von Atlantis hat man eine musikalische Geschichte biblischen Ausmaßes zu erfahren, die den Hörer auf eine Reise von der Entstehung der Welt und einem Krieg, der das Ende von Atlantis bedeutet, über das antike Ägypten bis in die heutige Zeit führt und mit einem Ausblick in die Zukunft endet. Die Story wird in 13 zusammenhängenden Kapiteln erzählt, die mehr oder weniger gleichmäßig von allen Bandmitgliedern in Gemeinschaftsarbeit konzipiert wurden. Sowohl der mythische als auch der gegenwartsbezogene Teil bestehen aus jeweils 6 Songs, Track Nr.7 spannt den Bogen zwischen beiden Akten. Das Interessante dabei: im ersten Akt wechselt jeder Song die Perspektive. Geht es um die Geschichte der Bewohner von Atlantis, ist das musikalische Ergebnis sehr harmonisch gehalten, mit schönen Vocals von Shouter Russell Allen, viel Bombast und gigantischen Chören. Auf der anderen Seite warten schnörkellosere Power-Tracks mit vertrackten Gitarrenhooks und agressivem Gesang. Storytelling in höchster Vollendung!

Doch nun zur musikalischen Seite: Seit dem letzten Longplayer „Twilight in Olympus“ hat sich erwartungsgemäß wieder einiges getan, auch sind dieses Mal zwei Lineup-Wechsel zu verzeichnen. Leider hat Bassgott Thomas Miller die Band verlassen, sein Ersatz heisst Mike Lepond, der im Gegensatz zum Blues-inspirierten Miller deutlich stärker Heavy Metal-beeinflusst ist. Er ist zwar ein absoluter Könner, der mit seinen unglaublich voluminösen Basslines jedem Song ein mächtiges Unterfutter verpasst, doch mir persönlich fehlen die genialen Freistil-Frickeleien seines Vorgängers, die hier noch etwas selten zu hören sind. Doch was nicht ist, kann auf zukünftigen Alben ja noch werden. Positiv zu vermelden ist wiederum, dass Symphony X-Stammdrummer Jason Rullo von seiner Auszeit zurückgekehrt ist, und er hat sich zu einem wirklich gestandenen Power-Schlagzeuger entwickelt!
Die Melodie-Fraktion, bestehend aus Sir Russell Allen, Gitarrist Michael Romeo und Keyboarder Mike Pinnella, hat ihre Arbeit nochmals um ein paar Nuancen verfeinert. Bandkopf Romeo kehrt seine Wurzeln, die im Power / Thrash-Metal zu finden sind (einer seiner Haupt-Inspirationsquellen ist Pantera, was im Prog-Sektor sicherlich nicht alle Tage vorkommt…), wieder verstärkt nach außen und serviert messerscharfe, satte Riffs, gespickt mit kleinen Prog-Widerhaken. Die Gitarre nimmt in den Kompositionen mehr Platz ein als zuvor, darum muss gerade Mike Pinnella verglichen mit dem sehr keyboardlastigen Vorgänger etwas zurückstecken, bringt sich aber genauso gut ein wie eh und je. Als Ersatz für den so verlorenen Bombastanteil verleiht Michael Romeo seiner Ader für klassische Musik erstmals wirklich Ausdruck, es gibt einige kurze reinrassig-klassische Zwischenspiele à la „Sonata“ zu hören, die zusätzlich noch mit mehrstimmigen lateinischen Chören aufwarten.

Bereits das kurze Intro „Prelude“ erweist sich als ein solches und macht den Hörer gleich mit diesen neuesten Errungenschaften der Band bekannt, geht dann in eine rasende Drum-Passage über und mündet in den Rifforkan „Evolution ( The Grand Design )“. Dieser ist Symphony X-Opener-typisch mal wieder schnurgerade und knüppelhart ausgefallen und empfiehlt sich durch seinen mitsingtauglichen Refrain unbedingt für jeden zukünftigen Gig der Band.
„Fallen“ stellt die Gegenseite des Epos um Montu-Sekhmet vor und kommt erneut sehr kraftvoll daher, die satten, vertrackten, aber mächtig groovigen Riffs und der mitreißende Chorus gehen unweigerlich sofort ins Blut.
Nach einem kurzen Zwischenspiel („Transcendence“) steht mit dem knapp achtminütigen „Communion and the Oracle“ der obligatorische „The Accolade“-Nachfolger an. Eingeleitet von Akustikgitarre, Klavier und zaghaften Streicherklängen entfaltet sich wie gewohnt ein sinfonisches Werk voll harmonischer Vocals, toller Gitarrenlicks und einer markanten, fast Marillion-mäßigen Bassline. Schönes Stück, das sich nahtlos zwischen seine Vorgänger einreiht.

Song Nr.6, das kurze „The Bird-Serpent War / Cataclysm“ beendet den ersten Akt der Geschichte und bildet einen krassen musikalischen Kontrast zum Vorgänger. Ruppige, Stakkato-Riffs, erdrückend mächtige Bassläufe und agressiver Gesang werden dem Thema des Songs gerecht, besonders Drummer Jason Rullo zeigt hier mit einer aufsehenerregenden Performance, dass er während seiner Abwesenheit nicht untätig war. Der Krieg der Völker führt zum Untergang beider, lediglich das Kind Ma´at wird gerettet, indem es dem Meer übergeben wird…
Das Instrumental „On the Breath of Poseidon“ packt seine Reise in unsere Zeit in ein musikalisches Gewand, welches mit Hörnern und anderen verspielten Keyboardsounds einige Wassermotive aus der klassischen Musik aufweist (Michael Romeo hat seine Hausaufgaben gemacht).

Weiter geht es mit dem verschachtelten. siebenminütigen Bombast-Longtrack „Egypt“, nicht nur vom Titel her eine Fortführung von „Pharaoh“, sondern erinnert auch in Aufbau und Riffing an den progressiven Supertrack vom 97er Album „The Divine Wings of Tragedy“. Orientalisch angehauchte Keyboardklänge, ein schwelgerischer Refrain und eine ausgedehnte und vor allem abwechslungsreiche Soli-Passage im Mittelteil wissen zu gefallen (tolles Bassgefrickel!).
Mit „The Death of Balance / Lacrymosa“ folgt einer der experimentellsten und überraschendsten Tracks von Symphony X, der beim ersten Durchlauf aufgrund der zahllosen Breaks, des hektischen Riffings und des ungestümen Drumgewitters doch recht chaotisch anmutet, zum Ende hin werden mit barocken Synthies und lateinischen Chorälen harmonischere Töne angeschlagen. Sehr interessantes und innovatives Stück, außerdem tritt hier am deutlichsten zutage, wie sehr Jason Rullo gereift ist.

Nach diesen drei, progressiv bzw. bombastisch gehaltenen Songs folgen mit „Absence of Light“ und „A Fool´s Paradise“ zwei relativ straighte Uptempo-Dampfhämmer auf dem Fuße. Wir sind mittlerweile in der Gegenwart angelangt, darum sind die die Lyrics beider Songs sehr zeitkritisch geraten. Mike Pinnella kommt hier endlich mal wieder richtig zum Zuge und liefert die stärksten Soli des Albums ab, besonders „Absence of Light“ ist in diesem Punkt sehr beeindruckend.
Mit einem entspannten Trommelfell kann der Hörer nun auch guten Gewissens das letzte Stück des Albums, den aus zwei Teilen bestehenden, dreizehnminütigen Prog-Orgasmus „Rediscovery“ angehen. Teil 1 fungiert als ruhiges Intro zu dem zweiten Teil „The New Mythology“, der mit vertrackten Hooks und einer monströsen Bassline beginnt und sich Stück für Stück zu einem der besten und vielschichtigsten Songs der Band entfaltet. Leichte, „The Accolade“-angelehnte Parts und wirklich harte, gitarrenbetonte Passagen geben sich die Klinke in die Hand, zum Ende hin windet sich das Opus in endlosen Spiralen, man merkt der Band deutlich an, dass sie am liebsten noch ewig so weiterspielen würden, und auch als Rezipient ist man etwas traurig, wenn dann nach zwölf göttlichen Minuten der Vorhang fällt und Symphony X´s progressivster Song ( nach „The Divine Wings of Tragedy“ ) ein Ende findet. Textlich schliesst sich der Kreis, und man kommt zu dem Schluss, dass wir uns heute in einer ähnlichen Lage befinden wie die Bewohner von Atlantis damals. Ein unnachahmlich gelungenes Finish, wie man es nur von Symphony X gewohnt ist.

Fazit: Unglaublich! Wenn Symphony X sich bisher den Vorwurf, immer noch zu progressiv für den Massenmarkt zu sein, gefallen lassen mussten ( was ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann ), so sollte spätestens „V – The New Mythology Suite“ alle Skeptiker dumm aus der Wäsche schauen. Selbst der herkömmlichste Nackenschwinger, dem die Band bisher zu spießig war, kann sich nun von 5 Power-Tracks reinsten Wassers in den siebten Metal-Himmel bolzen lassen, Liebhaber gepflegten Bombasts und Proggies gleichermaßen müssen darum jedoch keinesfalls auch nur einen Schritt kürzer treten. Ich persönlich gebe „The Divine Wings of Tragedy“ aufgrund seiner rohen Power und etwas anspruchsvolleren Arrangements immer noch den Vorzug, aber es fehlt wirklich nicht viel.
„V – The New Mythology Suite“ dürfte wirklich überall auf positive Resonanzen stoßen, da die Band das Unmögliche möglich gemacht hat und sich hörerfreundlicher ausgerichtet hat, ohne auf musikalische Innovation zu verzichten.

Wertung: 9.5 / 10

Geschrieben am 5. April 2013 von Metal1.info

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