Review Sylvan – One To Zero

SYLVAN haben vor allem zu Beginn dieses Jahrhunderts den deutschen Progressive Rock entscheidend mitgeprägt: Alben wie „Artificial Paradise“ (2002), „X-Rayed“ (2004) und der Genre-Meilenstein „Posthumous Silence“ (2006) haben die Band weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht. Mittlerweile ist es etwas ruhiger um die Hamburger geworden. Seit ihrer letzten Platte „Home“ sind sechs Jahre vergangen. Genauso wie der Vorgänger und ihr Meisterwerk „Posthumous Silence“ ist auch „One To Zero“ wieder ein Konzeptwerk geworden.

Auf ihrer zehnten Scheibe erzählen SYLVAN die Geschichte einer künstlichen Intelligenz (KI) – von ihrer ersten Codezeile über die Selbsterkenntnis, Entwicklung von Emotionen und Machtstreben bis hin zum finalen Reset, der zugleich eine neue Chance ist. Die Idee ist nett, denn der Erzähler ist die KI selbst. Wir erleben die Welt und ihre Entwicklung aus ihrer Perspektive.

Musikalisch bleiben sich SYLVAN treu: Sie spielen episch-getragenen New Artrock, vermengt mit etwas Alternative Rock. Dazu gibt es elektronische Spielereien und Reminiszenzen an ihre Neoprog-Vergangenheit. Dabei lassen sie sich viel Zeit, geben der Musik und Geschichte viel Raum, sich zu entfalten. Ihr Augenmerk liegt eher in feinen Details als in einem lauten Auftritt. In dieser Hinsicht sind sie mit den heutigen Marillion vergleichbar. Diese haben einen ganz ähnlichen Ansatz, gestalten ihn aber moderner und gesanglich exaltierter aus.

„One To Zero“ startet mit „Bit By Bit“ sehr vielversprechend. Das Keyboardthema setzt sich schnell im Ohr fest, das Gitarrensolo macht Lust auf mehr, alles wirkt gleichsam frisch und vertraut. Im weiteren Verlauf präsentiert die Combo ein behutsam komponiertes, aber über weite Strecken ziemlich behäbiges Album. Immerhin gute Melodien gibt es zuhauf: Etwa die starken Refrains von „Worlds Apart“, „Encoded At Heart“, oder „On My Oddyssey“, die zum Ende hin wunderbar ins Epische gesteigert werden. Das können SYLVAN, das lässt das Prog-Herz höher schlagen! Im Falle von „Trust In Yourself“ ist der Chorus allerdings derart poppig-eingängig, dass er schon nach dem ersten Hören an Reiz verliert.

Doch Melodien allein reichen nicht: „One To Zero“ fehlt es an zwingenden, aufrüttelnden Momenten. Der Großteil der CD bewegt sich im Midtempo, es gibt viel (schön anzuhörendes) Piano, Streicher, Balladen. Erst mit dem vorletzten Track „Go Viral“ wird es wieder flotter: Dort hat sich im Mittelteil gar ein beinahe djentartiger Part eingeschlichen. Aber selbst solche Passagen spielen SYLVAN mit angezogener Handbremse. Schade, zumal der Song an sich ein tolles Sounddesign hat. Bei dieser Nummer ist es genau andersherum: Die Strophe ist cool und baut Spannung auf, beim zu gewöhnlich geratenenen Refrain verpufft diese leider völlig. Dennoch ein gutes Lied, das hier klar hervorsticht.

Mit ihrer zehnten Scheibe offenbaren die norddeutschen Progrocker viel Feingefühl und Liebe fürs Detail, packen aber zu selten zu, um Hörer*innen die 65 Minuten Spieldauer bei der Stange zu halten. Die Zutaten von „One To Zero“ sind Fans altbekannt und für sich genommen überzeugend, ihre Mischung geht dieses Mal aber nicht auf. Wer SYLVAN kennenlernen möchte, greife lieber zu „X-Rayed“ oder „Posthumous Silence“. Soll es etwas Neueres sein, ist der ebenfalls starke Doppeldecker „Sceneries“ (2012) ein Reinhören wert.

„Go Viral“ im Single Edit – gekürzt um zweieinhalb Minuten:

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Wertung: 6.5 / 10

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