Die Auswirkungen der Corona-Krise machen die Welt zu einem surrealen Ort. Menschenleere Innenstädte, schwarze Ladenfenster unter der Woche und darüber ein Himmel ohne Kondensstreifen. Die Realität ist ausgehebelt. Gewohnte Abläufe stehen in Frage. Die Regeln des Lebens können sich ändern, von Minute zu Minute. Insofern kommt „The Eternal Resonance“, das Debüt der Schweden von SWEVEN, genau zur richtigen Zeit auf den Markt.
Denn mit seiner Musik transzendiert Alleinkomponist Robert Andersson alle Death-Metal-Konventionen. Selbst für Genre-Kenner ist auf der neuen Platte des Skandinaviers nichts vorhersehbar. Alle Strukturen sind im ständigen Fluss. Wer sich als Hörer in den Klängen treiben lässt, findet sich schließlich in einem entrückten Geisteszustand wieder. „The Eternal Resonance“ hat eine beinahe psychedelische Wirkung, ist eine Art Traumspiel mit den Mitteln des Death Metal. Der perfekte Soundtrack also, um sich in einer Stunde der Muse aus dem unwirklichen Zustand der Isolation hinaus in noch viel entrücktere Sphären zu katapultieren.
Andersson setzt damit an dem Punkt an, an dem seine Band Morbus Chron im Jahr 2015 in die Binsen ging – nicht ohne der Metal-Gemeinde im Vorjahr mit „Sweven“ einen modernen, höchst innovativen Meilenstein hinterlassen zu haben. Dass der Musiker nun sein neues Projekt nach dem Schwanengesang der Vorgängerformation benannt hat, ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, der in die richtige Richtung weist.
„The Eternal Resonance“ entfernt sich noch weiter von den Death-Metal-Wurzeln, gibt ein weiteres Stück Härte zugunsten von Abwechslung und Vielfalt auf. Damit dringt der Skandinavier kompositorisch endgültig in schwindelerregende Höhen vor. Dem, der im Album-Kanon des Genres nach Brüdern im Geiste sucht, fallen progressive Werke ein, die offengeistigen Aficionados einen Kniefall abringen: „The Sound Of Perseverance“ von Death, „Words That Go Unspoken, Deeds That Go Undone“ von Akercocke, „Focus“ von Cynic, „Blackwater Park“ von Opeth sowie – neueren Datums – „Trance Of Death“ von Venenum. Anders als die genannten Klassiker löst sich „The Eternal Resonance“ jedoch endgültig von aller bleiernen Death-Metal-Schwere und klingt stattdessen leichtfüßig, luftig, fast schon fluffig. Passenderweise geht es auch in den sehnsuchtsvollen Lyrics ums Loslassen, um das Überwinden des Status quo und darum, wie sich das eigene Leben in ein sich stets wandelndes Ganzes einfügt.
In seiner Herangehensweise ist das Werk eng verwandt mit dem Schaffen von 70er-Prog-Ikonen wie King Crimson und Van Der Graaf Generator, Yes und Genesis. Scheinbar konträre Parts komponiert Andersson so geschickt aneinander, dass keine harten Brüche entstehen. Evolution statt Revolution. Alles fließt. Alles bleibt spannend. Die Songs schwellen an, die Songs ebben ab. Stille Introspektion macht allmählich erschütternden, lauten Gefühlsausbrüchen Platz. Verträumte Klaviermelodien gehen über in fiese E-Gitarren-Dissonanzen. Mancher Part wirkt, als wäre er im Zuge einer freigeistigen, spontanen Jazz-Jamsession entstanden. Hier und da schimmert fragil flirrender Post-Metal aus Death-Metal-Riffs der alten Schule hervor. „The Eternal Resonance“ lebt von seinen Kontrasten. Dass die Scheibe dabei zu keiner Zeit einen inhomogenen Eindruck macht, einen schlüssigen dramaturgischen Aufbau aus den Augen verliert oder den Hörer überrollt, ist das untrüglichste Zeugnis der Kunstfertigkeit ihres Schöpfers.
Doch obgleich Robert Andersson als kreativer Kopf bei SWEVEN im Vordergrund steht, haben auch seine beiden Sidekicks einen großen Anteil am künstlerischen Erfolg von „The Eternal Resonance“. Mit Jesper Myrelius ist ein Schlagzeuger am Start, der die Kunst des Zuhörens beherrscht, der mehr ist als nur ein Rhythmusgeber. Gekonnt und abwechslungsreich umspielt Myrelius die Riffs – und weiß auch, wann er sich zurücknehmen sollte. Zuweilen begnügt er sich damit, das Geschehen mit subtilem Tribal-Drumming zu untermalen oder die Felle ganz schweigen zu lassen.
Ebenso wenig ist Lead-Gitarrist Isak Koskinen Rosemarin ein Haudrauf. Wer Shredder-Soli sucht, ist bei SWEVEN an der falschen Adresse. Der 24-Jährige klingt nicht, als hätte sich sein Spiel in Death- und Thrash-Metal-Bands geformt. Vielmehr klingen in seinen feinfühligen, bescheiden und zugleich versiert dargebotenen Linien Einflüsse der alten Heavy-Metal-Schule à la Iron Maiden durch. Das harscheste, ungeschliffenste Element sind Robert Anderssons heiser gescreamte und geröchelte Vocals, wie man sie in ähnlicher Form etwa von Chuck Schuldiner oder Johannes Andersson von Tribulation kennt.
Eine herrlich warm klingende und zugleich transparente Produktion setzt all dem die Krone auf. Einzelne Songs hervorzuheben wäre wie Kapitel aus einem Roman zu isolieren. Wer sich einen ersten Eindruck verschaffen möchte, sollte in „Mycelia“ reinhören, das mit seinen rockigen Riffs noch die geradlinigste Nummer darstellt, und sich bei Gefallen gleich selbst dem Gesamtwerk widmen.
„The Eternal Resonance“ ist Death Metal, der mehr kann, als nur Death Metal zu sein. Dass SWEVENs Erstling – zumindest in offengeistigen Underground-Metal-Kreisen – bald als künftiger Klassiker gelten dürfte, ist wohl kaum eine vermessene Einschätzung. Ein früher Kandidat auf den Spitzenplatz im Jahrespoll ist das Album in jedem Fall. So viel Kreativität, Mut, Talent und Innovationskraft hat nichts anderes als die Höchstnote verdient. Und das möchte etwas heißen bei einem Debüt.
Wertung: 10 / 10