Was kann man über STEVE WALSH schon noch sagen? Jedem, der sich ernsthaft mit der Geschichte der (progressiven) Rockmusik auseinandersetzt, sollten die Charthits „Dust In The Wind“ und „Carry On My Wayward Son“ seiner Stammcombo Kansas aus den Siebzigern einigermaßen bekannt sein, schließlich sind sie doch auf jedem zweiten Rocksampler zu finden. In den letzten Jahren ist es um KANSAS jedoch zunehmend ruhiger geworden, ein neues Album lässt bereits einige Zeit auf sich warten; man verbringt die Zeit mit ausführlichem Touren in Amerika und zuletzt auch Europa. Ganz schon beeindruckend, dass sich die mittlerweile in den Fünfzigern befindlichen Herren nun schon seit gut vier Jahren, mit der ein oder anderen Unterbrechung, „on the road“ befinden.
Solche Pausen nutzt Walsh dann, um den verbliebenen Fans auch noch ein bisschen neues Material für den CD-Player zuhause bieten zu können, wenn schon seine Band nichts von sich hören lässt. Anstatt jedoch brav auf der Kansas-Schiene zu fahren, ufern seine Projekte mehr den je in Klangexperimente aus, die sich selbst hinter dem Avantgardismus manch jugendlicher Progband nicht verstecken müssen.
Sein Solodebüt gab WALSH im Jahre 1980 mit dem Hardrock-Album „Schemer-Dremer“, welches jedoch bis heute zwischen den ganzen Kansas-Alben und Sideprojects von Walsh nicht sonderlich große Aufmerksamkeit genießt. Zwanzig Jahre sollten ins Land gehen, bis „Glossolalia“, Walsh’s nächstes Solowerk und eine Zusammenarbeit mit Magellan-Songwriter Trent Gardner, das Licht der Welt erblicken sollte. Gemessen an den üblichen Verkaufszahlen ist „Glossolalia“, auch auf Grund von schlechter Distribution, quasi nie erschienen. In der Progszene jedoch wurde das Album mit Lobeshymnen überschüttet und gilt sozusagen als Geheimtipp für moderne, komplexe Musik mit Einflüssen aus Rock, Metal, Blues und Klassik. Es ist in der Tat eines der besten Szene-Alben der letzten Jahre, welches sich hinter Namen wie Pain Of Salvation oder Porcupine Tree vom Innovationsgrad her keineswegs verstecken muss.
Fünf Jahre später veröffentlicht WALSH nun „Shadowman“, welches die unangenehme Aufgabe hat, in die Fußstapfen von „Glossolalia“ zu treten. Und um es gleich vorweg zu nehmen: „Shadowman“ hat gegen seinen Vorgänger nicht den Hauch einer Chance. Denn das neuste Offering ist nur „sehr gut“. Nach dem Hardrock von „Schemer-Dremer“ und dem Avantgardesound von „Glossolalia“ versucht man hier ganz bewusst den goldenen Mittelweg zu gehen. Bleibt anspruchsvoll, aber präsentiert sich auch wieder wesentlich zugänglicher. Irgendwo zwischen Hard-, Melodic- und Progrock lässt sich auch das neue Album einordnen. Aber festlegen lässt es sich innerhalb der gut 49 Minuten nicht. Neben dem atmosphärisch-rockigen, modernen „Rise“, finden sich auch Songs, die eine breit angelegte symphonische Orchestrierung aufweisen, z.B. der Titeltrack, der mit einem tollen Refrain ausgestattet ist, oder etwa „Davey And The Stone That Rolled Away“, welches als klischeetriefender Hardrocker startet und eine interessante Wendung nimmt. Typische WALSH-Balladen wie „Pages Of Old“ oder „The River“ dürfen natürlich auch nicht fehlen. Bemerkenswert, wie reif und erfahren, wie lehrreich sein Gesang hier rüberkommt. Egal, was oder wie Walsh singt, er hat immer etwas zu erzählen, ist immer der typischen Storyteller mit der kratzigen Rockröhre, die aber auch mal ganz sanft sein kann. Er ist einer der variantenreichsten, charismatischsten Sänger, die ich kenne. Jede Emotion kann er perfekt in seinem Gesang ausdrücken, seine Stimme ist absolut einmalig und sofort herauszuhören. Stücke wie „Keep On Knockin’“ oder „Hell Is Full Of Heroes“ klingen auf den ersten Hördurchgang auch sehr nach Hardrock, sodass man in der Tat Gefahr läuft, das Album unter diesem Etikett abzustempeln. Aber die Produktion ist so frisch, dynamisch und die verwendeten Sounds so interessant, dass wesentlich mehr dahinter steckt. In dem letztgenannten Song stehen Sägezahn-Gitarren neben Claps, Technobeats, Orchesterpassagen und Rap-Sprechgesang. Trotzdem bleibt der Gesamtsound äußerst stimmig.
Den Vogel schießt WALSH jedoch erst mit dem Zehnminüter „After“ ab, einem hardrockigen Progsong, für den er den Ex-Kansasviolinist David Ragsdale gewinnen konnte. Für die symphonischen Parts ist übrigens Symphony X-Klampfer Michael Romeo verantwortlich, der ihm bei der klanglichen Umsetzung seiner Ideen half. „After“ zeichnet sich vor allem durch seinen interessanten Aufbau, die brillianten Melodien und eine absolut mitreißende Klassikinstrumentierung aus. Auch hier finden wir wieder moderne Einflüsse, die uns an Trip-Hop oder Dark-Ambient erinnern.
Insgesamt ist dem Urgestein also ein sehr innovatives Album gelungen, welches genau den Spagat zwischen Hardrock & Progrock mit gelegentlichen Metaleinflüssen und modernen Beats schafft. Kompositorisch ist es zwar etwas hinter „Glossolalia“ anzusiedeln, wer jedoch jenes Album mochte und auch mit den straighteren Sachen von Kansas keine Probleme hat, dem sei dringend empfohlen, diese Platte auf dem Einkaufszettel zu vermerken. Hut ab – Nicht ein Anzeichen von Altersschwäche!
Unbedingter Anspieltipp: „After“
Wertung: 8.5 / 10