Steve Rothery hat alles richtig gemacht: Über die Vorbestell-Aktion seines Soloalbums „The Ghosts Of Pripyat“ wollte der Marillion-Gitarrist 15.000 Pfund zur Finanzierung der Platte sammeln – diese Summe hatte er bereits nach 24 Stunden zusammen. Insgesamt nahm er in zwei Monaten fast 60.000 Pfund ein. Kurz bevor er die Scheibe im September letzten Jahres in Eigenregie veröffentlichte, erschien sein Doppel-Livealbum „Live In Rome“, das fast alle neuen Songs live präsentierte und richtig Lust auf das fertige Studiowerk machte. Jetzt, gut ein Jahr nach dem Ende der Crowdfunding-Kampagne, bringt das Prog-Vorzeigelabel InsideOut Music „The Ghosts Of Pripyat“ auf den Markt und somit erstmals auch in die Läden.
Hört man das Album, wird schnell klar, dass der Erfolg absolut verdient ist. Schon nach den ersten Minuten des Openers „Morpheus“ sitzt man verzaubert vor den Boxen: Atmosphärisch-getragene Soundlandschaften und Rotherys wunderbar melodisches, beinahe Geschichten erzählendes Gitarrenspiel laden zum Träumen ein. Mit viel Feingefühl werden Stimmungen und Dynamik entwickelt. Auch die weiteren Tracks von „The Ghosts Of Pripyat“ wissen zu überzeugen, vorausgesetzt man kommt mit ihrer rein instrumentalen Natur und ihrer gemäßigten Geschwindigkeit klar. Dann lässt sich das Album wunderbar an einem Stück genießen.
Im direkten Vergleich zu den Live-Interpretationen sind die Studioversionen etwas kompakter arrangiert und wirken nicht ganz so lebendig – das liegt aber wohl in der Natur der Sache und ist nicht wirklich störend. Wenn „The Ghosts Of Pripyat“ eines ist, dann vor allem geschmackvoll. Die Sounds sind edel und wunderbar unkitschig, die Produktion klar und differenziert. Jeder Song ruht in sich selbst und wird von einem eigenen instrumentalen Motiv getragen, über das dann behutsam soliert wird. Rothery beherrscht die Kunst der Reduktion und Zurückhaltung wie kein Zweiter und setzt sein Können äußerst pointiert ein. Sein Gitarrenspiel ist einzigartig, sein Sound sensationell, seine Kompositionen perfekt darauf zugeschnitten.
Freunde atmosphärisch-getragener Klänge und Anhänger von entspannender, aber spannend gemachter Instrumentalmusik dürfen die Platte jedenfalls ohne zu zögern einpacken. Marillion-Fans sollten ebenfalls Gefallen an der Musik finden, auch wenn sie insgesamt weniger sprunghaft und kantig ist.
Während der 55 Minuten von „Ghosts Of Pripyat“ scheint die Zeit still zu stehen – ganz so wie in der ukrainischen Stadt Pripyat, die seit der Tschernobyl-Katastrophe einsam und verlassen ist. Steve Rothery ist eine Platte gelungen, in die man wunderbar versinken kann.
Wertung: 9 / 10