Klassik und Avantgarde, ist das nicht ein Widerspruch in sich? Nicht wenn es nach dem Dänen Thomas Kudela geht, der diese beiden Musikrichtungen sowie experimentellen Jazz in seinem Ein-Mann-Projekt STERNLUMEN unter einen Hut bringen möchte. Wer jetzt denkt, es handele sich bei dem Solokünstler um einen größenwahnsinnigen Multi-Instrumentalisten, der irrt gewaltig: STERNLUMEN ist nämlich nichts weiter als ein Mann und sein Klavier. Sein zweites, abermals rein instrumentales Album „Nørrebro Nights“ hat der Kopenhagener dem im Titel genannten Viertel seiner Heimatstadt gewidmet, um die dort herrschende kontrastreiche, sehnsüchtige Stimmung in Musik verwandeln.
STERNLUMEN gelingt dabei ein bemerkenswerter Spagat. Obwohl man Thomas eine knappe Dreiviertelstunde lang wirklich nur dabei zuhört, wie er in die Tasten seines Pianos schlägt, ohne jedweden Zusatz anderer Instrumente, Samples oder Vocals, langweilt die Platte überhaupt nicht. Andererseits fühlt man sich trotz aller spielerischer Virtuosität, die man auf „Nørrebro Nights“ wahrlich nicht lange suchen muss, auch nie überfordert. Bei STERNLUMEN geht es nämlich ganz offensichtlich einzig und allein um das Gefühl. Und wie Gefühle, aber auch der vertonte Stadtteil eben so sind, ist die Stimmung in den sechs Songs einem ständigen, von Gegensätzen geprägten Wandel unterworfen.
So beginnt „Red Wine Melancholia“ noch eher gelassen und nachdenklich, ehe die Pianoklänge schnell und sanft wie ein kühler Herbstregen vor dem geistigen Auge die Fensterscheiben hinabplätschern. Im achteinhalb Minuten langen „Kierkegaard Between Trees And Spheres“ spielt STERNLUMEN dann hingegen eher minimalistisch und vermittelt damit ein Gefühl hoffnungsvollen Friedens, das sich gegen Ende sogar zu schier überschwänglicher Freude steigert. Davon abgesehen ist „Nørrebro Nights“ jedoch über weite Strecken von tiefster Melancholie erfüllt, was das blassblaue, verwaschene Artwork bereits vorab verrät, das die Grundstimmung des Albums sehr treffend einfängt.
Insbesondere „Nørrebrogade“ trägt der Schwermut mit seinen bedrückenden Melodien Rechnung. Gerade aus diesem Track geht außerdem hervor, wie gekonnt STERNLUMEN seine Arrangements mit der Zeit subtil abwandelt, sodass man sich, beinahe ohne es zu merken, nach einer Weile ganz woanders wiederfindet. Hier und auf „Neon Lakes“ offenbart sich jedoch auch ein Anlass zur Kritik. Hin und wieder übertreibt es der dänische Pianist dann nämlich doch mit seinem anspruchsvollen Spiel, was sich in unangenehm abgehackten, gehetzten Tonfolgen äußert, die den Fluss der Musik leider etwas bremsen.
Aufgrund dieser eher nervenzehrenden Abschnitte sowie einiger etwas zu sehr in die Länge gezogener Parts, ist „Nørrebro Nights“ gewiss nicht leicht anzuhören. Obwohl es beeindruckend ist, wie vortrefflich sich STERNLUMEN darauf versteht, Melodien ineinandergreifen zu lassen, funktioniert das Zweitwerk des Dänen am besten in den einstimmigen Passagen. Diese sind dafür derart gefühlvoll, dass die Songs insgesamt trotzdem eine beeindruckende Wirkung haben. Seiner Ambition, Musik zu erschaffen, bei der man sich in sehnsüchtiger Nostalgie die großen, existentiellen Fragen stellt, ist STERNLUMEN also durchaus gerecht geworden.
Wertung: 7 / 10