SPOCK’S BEARD live waren in ihrer Originalbesetzung, mit Mastermind Neal Morse, eine Art Institution – wo sonst bekam man schon technisch perfekten und anspruchsvollen Progressive Rock mit einer solchen Menge Fun & Action geboten? Da tauschte Neal mit Nick das Schlagzeug, da wurden Jamsessions und Coversongs eingestreut, da poste ein Ryo Okumoto angeberisch mit seinem Keyboard. Einfach beste Unterhaltung und gute Laune! Und: Diese Magie in der Luft!
Wie wir mittlerweile wissen, sind die Spockies nach Weggang von Neal Morse gar nicht mehr so progressiv, wie sie immer angepriesen werden. Das Konzert in Osnabrück, welches ich im Rahmen der „Octane“-Tour gesehen habe, war dann auch gut. Gut, aber eben nicht überragend. Es fehlte der letzte Schliff, die immer dirigierende, rettende Hand eines Neal Morse. Es war spaßig, aber die Magie, die Neal noch immer live erzeugt, fehlte! Die Darbietung der Songs war lange nicht so perfekt wie früher. Von jener Tour entstammt auch „Gluttons For Punishment“, das aktuelle, erste Doppelpack-Livealbum der Bärte. Aufgenommen wurde jedoch nicht in Osnabrück, sondern größtenteils in Aschaffenburg. Hinzu kommen die Songs aus Karlsruhe und Pratteln (in der Schweiz). Das Ergebnis hört sich jedoch in der Tat wie eine einzige Show an!
Die aufgezeichneten Shows fanden alle gegen Ende der kurzen Tour statt. Anscheinend hat man sich bis dahin richtig warmgespielt, denn technische Missgeschicke oder Verspieler hört man hier nicht. Natürlich gibt es die Möglichkeit, solche Schönheitsfehler im Studio auszumerzen. Aber sei’s drum! Fakt ist: Die hier dargebotenen zwei Stunden machen einfach Spaß, bringen das Live-Feeling optimal ins Wohnzimmer. Dabei sind die Highlights in etwa ähnlich denen von Osnabrück: Die alten Tracks, wie das famose „Harm’s Way“ oder der absolute Klassiker „The Light“ existieren vielleicht nicht in besseren Versionen. Der Zusatzdrummer Jimmy Keegan sorgt hier mit seinem Drumming für echte Vitalität und Power, die man so bei den Bärten noch nicht gehört hat. Der Instrumentaltrack „NWC“ vom aktuellen Album wird live zum Groovemonster mit ausgedehnter Keyboardeinlage von Ryo Okumoto und dem nun schon fast zum Klassiker gewordenen Drumbattle zwischen Nick D’Virgilio und Jimmy Keegan. Da Nick ja jetzt hauptsächlich singt und Rhythmusgitarre spielt, übernimmt Jimmy zwar die meisten Drumparts. Trotzdem haben beide ihr eigenes Kit. Und nun gilt’s natürlich zu beweisen, wer die schnelleren und komplexeren Sachen spielen kann. Und da sieht der werte Nick, auch wenn er es wohl nicht hören will, gegen den Jimmy ziemlich alt aus. Hat man diese über fünfminütige Einlage einmal live gesehen, muss man beim Hören der CD grundsätzlich daran zurückdenken. Genau wie in Osnabrück kommen vor allem die neuen Songs, insbesondere der Longtrack „A Flash Before My Eyes“, eher gestückelt, denn kohärent rüber. Als Opener der Show ist dieses Stück sicherlich nicht unbedingt geeignet.
Da Produktion und Artwork der Scheibe sehr zu gefallen wissen und es ansonsten nichts auszusetzen gibt, spricht somit nichts gegen eine Anschaffung dieses Dokuments. Das bei Livescheiben immer gern geäußerte Argument „Klingt doch auch nicht anders als auf dem Studioalbum, das brauch ich nicht!“ fällt hier ebenfalls unter den Tisch. Denn die alten Epics werden nun ja von Nick D’Virgilio gesungen, was für ein ganz neues Klangbild sorgt! Somit ist dieses Album auch Einsteigern in die Welt der Bärte bedenkenlos ans Herz zu legen!
Bleibt noch der rätselhafte Titel: Im Booklet steht als Erklärung „Glutton For Punishment: Someone who seems to enjoy seeking out and doing unpleasent, difficult, or badly paid tasks.“ Na, wenn das mal kein Seitenhieb an Neal Morse ist. Anscheinend fühlten sich die Jungs ziemlich hintergangen. Oder verstehe ich hier jetzt was falsch?
Egal, Spock’s Beard beweisen und untermauern mit dieser Performance nochmals, dass sie sich endgültig von Neal Morse freigeschwommen haben, musikalisch wie auch auf zwischenmenschlicher Ebene!
Keine Wertung