Albumcover SPACE OF VARIATIONS

Review Space Of Variations – IMAGO

Das Jahr 2022 haben sich die Ukrainer von SPACE OF VARIATIONS definitiv anders vorgestellt. Ihr zweiter Langspieler und Napalm-Albumdebüt „IMAGO“ sollte ursprünglich im März erscheinen, doch kurz vorher fiel Putin in das Heimatland der vier Musiker ein. Ein Albumrelease war da erstmal völlig unwichtig, die für April geplante Tour durch die Ukraine eine Utopie. Auch im September ist der Krieg noch nicht vorbei, SPACE OF VARIATIONS aber haben wieder feste Tourpläne (u. a. in den USA mit Jinjer und P.O.D.) und können „IMAGO“ sieben Monate später als geplant veröffentlichen. Wie die Band den Kriegsbeginn und die aktuelle Situation in der Ukraine erlebt, erzählt Sänger Dima Kozhuhar im Interview. Hier soll es ausschließlich um die Musik auf „IMAGO“ gehen.

Die Musik nämlich hat extrem viel zu bieten – dem Bandnamen getreu vor allem viel Variation. SPACE OF VARIATIONS spielen modernen Metalcore, wenn man es herunterbrechen will, haben aber kein Interesse an jedweden Genregrenzen, sondern überschreiten diese bewusst und genüsslich. Ob Nu Metal, Alternative Rock, Mathcore, Rap, spacige Passagen, elektronische Elemente – die Ukrainer schauen weit über den Tellerrand. Besonders wichtig für den Sound ist dabei die Kombination aus harten, schweren Riffs und treibenden, elektronischen Beats. Beide Elemente harmonieren wunderbar und sind vor allem mehr als zwei Elemente – Riffs und Beats ergeben ein Ganzes. In Momenten, in denen die ebenso hart gespielten Drums in Beats übergehen und fast schon zu einer grenzenlosen Einheit verschwimmen, kristallisiert sich das Konstrukt heraus, das das ganze Chaos umarmt und ordnet.

Im Opener „SOMEONE ELSE“ scheinen mit Dicke-Hose-Riffs und springtauglichen Rhythmen direkt deutliche Nu-Metal-Einflüsse durch, „vein.mp3“ ist vor allem im Refrain stark Alternative-Rock-lastig und „NON-HUMAN CLUB 2.0“ drückt so richtig auf das Rave-Pedal und spielt hemmungslos mit elektronischen Elementen: Schräge Töne und Stimmen, dissonante wie hochmelodische und vor allem tanzbare Elektro-Klänge ziehen sich durch den ganzen Song. Gesanglich geht’s zudem ständig zwischen heiseren Screams, Klargesang, Gangshouts und verzerrten Vocals hin und her. SPACE OF VARIATIONS schaffen es durch den bereits beschriebenen roten Faden, das Chaos in stringente Tracks zu packen. Außerdem wirkt „IMAGO“ trotz der großen Varianz und den zahllosen Einzelelementen immer wie ein durchgängiges, zusammengehöriges Album und nie wie ein ungeordneter Haufen vieler Teile.

Die beiden Halbballaden „OCEAN OF MADNESS” und “serial killer“ sind etwas zu schnulzig und lahm geraten und damit leichte Durchhänger. Am besten sind SPACE OF VARIATIONS, wenn sie richtig Dampf machen. Das doomige „Slaughterhouse” ist mit seinen schweren Riffs und einem mächigen Hardcore-Beat ein Pit-Garant bei Konzerten, “FACE TO FACE” geht in Kombination mit fiesen elektronischen Spielereien in eine ähnliche Richtung. Gedanken an moderne Kataklysm, Hatebreed, Korn, While She Sleeps oder beim wilden Beginn von “1M followers” sogar an Devin Townsend sind nicht abwegig. Ein Highlight ist außerdem das knüppelharte “ULTRABEAT“, das durch die Rap-Parts der Ukrainerin Alyona Alyona zunächst etwas befremdlich wirkt, aber mit seiner Dynamik unheimlich fesselt. Die Dynamik und Härte des Materials werden durch die wuchtige Produktion noch verstärkt: Der Sound klingt nach Aufnahmen aus einer großen Halle mit ganz fettem Bass, dadurch wirken die Songs noch mehr wie ein Schlag in die Magengrube.

Mit „IMAGO“ haben SPACE OF VARIATIONS ein unfassbar abwechslungsreiches, spannendes und eigenständiges Album am Start. Das ist beim ersten Reinhören sperrig, eventuell sogar abschreckend. Es passiert so viel und so viel Konträres, dass es schwer ist, das Gehörte direkt zu fassen. Je mehr man sich mit dem Album beschäftigt, umso mehr öffnen sich die Songs und zeigen neben ungeahnten Feinheiten auch, dass die vielen, eigentlich nicht zusammenpassenden Elemente ein zwar kurioses, aber dennoch stimmiges Ganzes ergeben können. „IMAGO“ wird nicht allen gefallen, ist aber eine klare Empfehlung für alle, die mit den genannten Einzelteilen prinzipiell etwas anfangen können und eine herausfordernde, musikalische Erfahrung nicht scheuen.

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Wertung: 8 / 10

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