Solstafir - Hin Helga Kvöl 2024

Review Sólstafir – Hin Helga Kvol

Die Geschichte von SÓLSTAFIR ist die eines langsamen, aber stetigen Wachstums. So erlebt sie jedenfalls Aðalbjörn Tryggvason (mehr dazu im Interview), und der muss es wissen – schließlich ist er seit Bandgründung als Gitarrist, Sänger und wohl auch Kopf der Band dabei. Die Geschichte von SÓLSTAFIR aus Fan-Sicht ist, zumindest in Teilen, eine andere: Der Bruch mit Band-Mitbegründer Guðmundur Óli Pálmason 2015 war eine unüberhörbare Zäsur – und wennschon es nicht von der Hand zu weisen ist, dass SÓLSTAFIR auch danach immer spätere Slots und größere Hallen bekommen haben, so ist es doch auch kein Geheimnis, dass das letzte Album, auf das sich noch alle Fans als Meisterwerk einigen können, nun eben das letzte gemeinsam erschaffene Album „Ótta“ (2014) war.

Es folgten zwei mehr („Berdreyminn“, 2017) oder weniger („Endless Twilight Of Codependent Love“, 2020) durchschnittliche Alben, die aber immerhin eine Steigerung erkennen ließen. Vier Jahre später fügen SÓLSTAFIR ihrem Gesamtwerk mit „Hin Helga Kvol“ jetzt ein weiteres Album hinzu – an dem wohl auch hängen wird, ob sich SÓLSTAFIR, gebettet auf den Lorbeeren vergangener Tage, endgültig in der gehobenen Belanglosigkeit einnisten – oder aber doch nochmal an ihre goldene Zeit anknüpfen können. Immerhin: Mit Isafjørd hat „Addi“ erst 2022 unter Beweis gestellt, dass er das Komponieren wie auch gefühlvolle Intonieren von für deutsche Ohren doch so herrlich kauzig klingender isländischer Texte keinesfalls verlernt hat.

Nach dem ersten englischsprachig betitelten Album seit „Masterpiece Of Bitterness“ hält das Kauzige zumindest im Titel wieder Einzug, und das Artwork von „Hin Helga Kvol“ sieht zumindest ungewohnt aus. Beide Attribute treffen in der einen oder anderen Weise auch auf die Musik zu: Was mit dem gefühlvollen „Hun Andar“ fast zu gut für einen Albumeinstieg beginnt, wird bereits im zweiten Stück – ausgerechnet dem Titeltrack – zum wohl Härtesten, was man von SÓLSTAFIR seit sehr langer Zeit (vielleicht tatsächlich seit dem eben erwähnten „Masterpiece“) gehört hat: Mit fast spürbar schelmischer Freude wagen sich SÓLSTAFIR (nach einem kurzen, aber wuchtigen Midtempo-Part) an ziemlich stumpfes Black-Metal-Geschraddel – und triumphieren mit einem musikalisch zwar vergleichsweise primitiven, aber durch seine enorme Energie absolut packenden Stück Musik.

Am anderen Ende, nicht nur der Härteskala, sondern auch der Setlist, steht „Kuml“ – ein Song, der in seiner Gänze so Band-untypisch klingt, dass man nicht nur beim ersten Hören kurz stutzig wird, ob hier noch SÓLSTAFIR oder schon etwas anderes läuft: Sakraler Gesang – vorgetragen von Sigurjón Kjartansson, Sänger der isländischen Rock-Legenden Ham – und transzendentale Flächen bauen eine Atmosphäre irgendwo zwischen Urfaust und Wardruna auf, während das solierende Saxophon und bedächtig gespielte Drums das Ganze in Richtung Doom-Jazz (Bohren & der Club Of Gore!) verschieben. Das ist als Experiment nicht nur spannend, sondern im Großen und Ganzen auch geglückt – wäre da nicht diese etwas unrunde Spannungskurve: Dass der Song zum Ende noch Zerrgitarren bekommt, ist eigentlich völlig überflüssig – wenn schon, dann müsste hier aber deutlich mehr passieren als etwas begleitender Lärm, der dann doch wieder in sphärischen Klängen versandet, die dann zu allem Überfluss recht abrupt abreißen. Dass dieses Stück mit 6:44 Minuten der zweitlängste Song des Albums und nur eine knappe halbe Minute kürzer als das längste Stück ist, sollte ebenfalls nicht unerwähnt bleiben – bleibt „Hin Helga Kvol“ somit doch das erste Album in nunmehr 30 Jahren Bandgeschichte, auf dem kein Song die 8-Minuten-Marke knackt – und in der Summe mit 48:21 Minuten auch das Kürzeste je erschienene SÓLSTAFIR-Album (sofern man „Svartir Sandar“ als ein Album betrachtet).

Das fällt beim reinen Hören allerdings nicht weiter auf – denn „Hin Helga Kvol“ ist zwar kurzweilig, dabei aber so vielseitig, dass es nicht vorbeirauscht: In „Blakkrakki“ präsentieren sich SÓLSTAFIR vergleichsweise rockig (inklusive heroenhaftem Gniedel-Solo!), „Salumessa“ und „Freygatan“ zelebrieren isländische Melancholie in ihrer reinsten Form, und in „Nu Mun Ijosi Deyja“ hauen SÓLSTAFIR nochmal fast punkig auf den Putz. Der richtig große Wurf ist, bei aller gebotenen Qualität und Abwechslung, aber nicht dabei – zumal sich dazwischen zwei schöne, aber recht gesichts- („Vor As“) beziehungsweise strukturlose („Gryla“) Songs eingeschlichen haben.

„Hin Helga Kvol“ ist kein „Köld“ oder „Ótta“ geworden – und auch einen einzelnen Über-Hit wie „Fjara“ sucht man auf dem nunmehr achten Album der Band einmal mehr vergeblich. SÓLSTAFIR kommen alledem zwar näher als auf beiden Vorgängern, am Ende fehlt aber doch stets das gewisse Etwas, die ultimative Nordlicht-Himmel-Epik, oder die absolute Nieselregen-in-den-Westfjorden-Melancholie. Auch im Ganzen will die Dramaturgie des Albums nicht ganz aufgehen. Genau das lässt sich allerdings auch als Stärke auslegen, agieren SÓLSTAFIR auf „Hin Helga Kvol“ diesbezüglich doch wie eine junge Band, die sich von ungerichteter Kreativität treiben lässt und Experimentierfreude über Kohärenz stellt. Das lässt „Hin Helga Kvol“ erfrischend lebendig klingen. Vielleicht war es genau das, was SÓLSTAFIR zuletzt gefehlt hat.

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Wertung: 8 / 10

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