Das Cover von "Genesis XIX" von Sodom

Review Sodom – Genesis XIX

Die Auflösung eines bewährten Line-ups; die Rückkehr des Gitarristen, der die Platten eingespielt hat, die der Band in den Achtzigern den Durchbruch verschafft haben; true Gruppenfotos mit allerlei Kutten, Nieten und Patronengürteln; plakativ undergroundige EP-Artworks; und nicht zuletzt klare öffentliche Aussagen: Dass Tom Angelripper mit SODOM nach einem langjährigen Lauf mit Gitarrist Bernemann und zuletzt Drummer Makka wieder einen anderen Weg einschlagen wollte, konnte man gar nicht missverstehen. Stärker orientiert am früheren Material sollte die Ausrichtung sein. Die ersten Studio-Lebenszeichen klangen allen Unkenrufen zum Trotz vielversprechend. Nun liegt mit „Genesis XIX“ die erste Full-Length-Scheibe vor, seitdem der Chef der deutschen Thrash-Veteranen Tabula rasa gemacht hat. Wasser auf die Mühlen all derer, die die zum Quartett angewachsene Formation wieder als Rumpel-Combo verspotten?

Tatsächlich kann es wohl kaum eine deutlichere Ansage im Hinblick auf Oldschool-Orientierung geben, als mit „Blind Superstition“ das 1988er-Tour-Intro als Neueinspielung in die Opener-Position zu packen. Auch der erste vollwertige Song „Sodom & Gomorrah“ versprüht mit seinem knackigen Main-Riff Retro-Charme, bietet mit Angelrippers in diesem Fall räudigen, schwarzmetallisch angehauchten Vocals aber auch dieselbe überzeugende Performance wie auf den vorigen Werken. Drum-Neuzugang Toni Merkel veredelt den Track zudem mit rastlosem Schlagzeugspiel in Live-im-Studio-Sound inklusive tight gespielten, rasant attackierenden Doublebass-Teppichen. Das Riffing der beiden Gitarristen Frank Blackfire und Yorck Segatz unterscheidet sich merklich von dem ihres Vorgängers, fügt sich aber reibungslos in den SODOM-Sound ein – kein Wunder, wenn der eine den Sound schon einmal mitgeprägt hat und der andere, wenn man dem Bandkopf Glauben schenkt, ihn offenbar quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat.

Im Laufe von „Genesis XIX“ präsentieren sich SODOM nicht nur von ihrer starken Seite, sondern mindestens so vielseitig wie auf dem Vorgänger „Decision Day“. Epischere Nummern über die Sechs- bis Sieben-Minuten-Marke werden mit schnörkelloseren, kürzeren Songs alterniert und sorgen so für eine abwechslungsreiche Tracklist. Die ersteren – der Titeltrack, „The Harponeer“ und „Waldo & Pigpen“ – lassen sich mit mal cleanen, mal noisigen Gitarrenintros Zeit, in die Gänge zu kommen, um schließlich über Umwege oder auch direkt ins Uptempo zu gipfeln. Der gescreamte Refrain von „Genesis XIX“ (Slayer anyone?) stellt dabei wohl den eingängigsten des ganzen Albums dar. Die letzteren, kompakteren Nummern tönen entweder als thrashiger Brecher („Euthanasia“) oder punkiger Knüppler mit Gang-Shouts („Indoctrination“) aus den Boxen. Der wütende Stürmer „Friendly Fire“ wartet gar mit Blastbeats in der Strophe auf. Die serviert das Quartett auch im zunächst schleppenden, dann knallenden „Dehumanized“ sowie zu Beginn und Ende von „Nicht mehr mein Land“, das ansonsten im heavy rockenden Tempo dargeboten wird und zum Glück trotz deutscher Lyrics nicht in die Kitsch- oder Fremdschäm-Falle tappt. „Occult Perpetrator“ überrascht indes zwischen stampfendem Midtempo und moderatem Uptempo mit einer Bombast-Rock-Passage im Mittelteil. Stark!

Sicher deuten, wie eingangs erwähnt, oberflächlich einige Faktoren darauf hin, dass SODOM wieder verstärkt zurück in die Vergangenheit blicken. Doch wie heißt es so schön: Never judge a book by its cover. Wer die Fassade und manche Rahmenbedingungen als willkommene Einladung nutzt, um „Genesis XIX“ vorschnell als reine Nostalgie-Parade zu verschreien, der tut sowohl der Platte als auch der Band unrecht. Denn bei aller berechtigter Kritik: Wenn man vorurteilsfrei unter die Oberfläche sieht und tatsächlich mal die Musik selbst als Bewertungskriterium heranzieht, dann merkt man, dass stilistisch im Vergleich zu den jüngeren Werken mitnichten eine Kehrtwende vollzogen wurde. Natürlich hat sich im Sound einiges getan – das ist allerdings keine Überraschung, wenn seit dem Line-up des letzten Albums drei von vier Musiker neu bzw. erneut zur Band gestoßen sind und obendrein ein anderer Produzent verantwortlich war. Auch dass einer dieser Musiker in den Achtzigern schon mal mit von der Partie war und mit seinem persönlichen Stil die Musik nun wieder beeinflusst, ist am Ende nur ein Teil des Puzzles.

Unterm Strich wird das, wie so oft, nicht jedem gefallen. Dass SODOM, denen durchaus wichtig ist, wie ihr Material bei den Fans ankommt, sich bei ihrer musikalischen Ausrichtung aber auch nicht am Auswurf notorischer Nörgler orientieren, dürfte hingegen klar sein. Fakt ist: Ein „Decision Day 2.0“ wäre weder aus kreativer Perspektive interessant noch durch den Split der Besetzung eine Option gewesen. Fakt ist – überspitzt gesagt – auch: Auf Hochglanz polierte Platten mit bombastischem Sound, die genauso klingen wie der vorige Output, gibt es allein in der europäischen Thrash-Szene bereits in mehrfacher Ausführung. Dass Tom Angelripper & Co. mit „Genesis XIX“ erneut unbekümmert ihren eigenen Weg gehen und dabei auch liefern, ist erfreulich und zeigt nicht nur, dass die Combo weiterhin von Relevanz ist, sondern dass einfach nur Dienst nach Vorschrift für sie nicht genug ist.

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Wertung: 8 / 10

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5 Kommentare zu “Sodom – Genesis XIX

  1. Hm. Ich habe heute mal alle SODOM-Alben seit „Sodom“ durchgehört und muss sagen, dass dieses hier für mich da schon nicht wirklich mithalten kann. Weder der „oldschoolige“ Sound überzeuzt mich voll, noch das Songwriting, das ich auf den anderen Alben als vielseitiger/schnittiger/kraftvoller erlebe – und last but not least ist „Nicht mehr mein Land“ schon irgendwie eher doof, also textlich. Das ist halt bei deutschsprachigen Texten schon ein Problem dann. :D

  2. Ich kenne das Album nur von Youtube. Ich fand die beiden vorherigen EPs nicht wirklich berauschend und die ausgekoppelten Songs vom Album sagten mir auch nicht wirklich zu. In seiner Gesamtheit klingt das Album dann besser als vermutet. Stellenweise gibt es paar coole Momente zu hören (wenn die Kiste atmosphärisch schön düster klingt und die Solos, oder das punkige „Indoctrination“) aber der Großteil ist mir doch etwas zu uffta, uffta (altbacken und uninspiriert).
    Daumen runter auch bei der Produktion. Ich habe zwar gelesen, was für ein Aufwand beim Aufnehmen betrieben wurde, nützt aber nichts wenn es drucklos klingt und das Schlagzeug eindimensional vor sich hin tuckert. Auch dieses aufgesetzt-künstliche auf old school Getrimme wirkt wenig authentisch.
    Ich kann die Aufregung um ein durchschnittliches Album nicht verstehen. Stünde nicht SODOm auf dem Cover, hätte die Musik kaum jemanden interessiert. Da haben die beiden ehemaligen SODOM Weggefährten Makka und Bernemann mit BONDED weitaus bessere Kost abgeliefert.

    1. Hi Hagen, danke für dein Feedback!
      Da sind wir wohl verschiedener Ansicht, und das ist auch gut so, das macht es spannend. Habe die Platte im Vorfeld sowohl unterwegs mit billigen als auch zuhause mit guten Kopfhörern gehört und es hat in beiden Fällen ganz gut geknallt, also in meinen Ohren keineswegs drucklos (allerdings hab ich sie auch nicht auf YouTube gehört, macht vllt. auch noch mal einen Unterschied). Auch halte ich Merkels Performance für weit entfernt von uffta-uffta-eindimensional. Interessant finde ich, dass dir, wie du sagst, die ausgekoppelten Songs nicht taugen, um dann im nächsten Satz einen von ihnen (Indoctrination) zu loben ;-). Zuletzt frage ich mich, was aufgesetzt old-school an ner Band wirken soll, von der zwei Leute halt wirklich old-school sind – ich mein, die waren in den Achtzigern mit am Start. Da sorgen bei mir eher Retro-Nachwuchs-Bands mit dem passenden Look, aber schwacher Mucke für hochgezogene Augenbrauen – liegt aber sicherlich auch im Auge des Betrachters. Stimme dir zu, dass Bonded eine starke Platte abgeliefert haben, die leider zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat (war auch großer Fan der Bernemann-Lineups). Aber ein cooles Album (Genesis XIX) kann man halt auch – ganz unaufgeregt – als cool bezeichnen.
      Viele Grüße

    2. „Ich kann die Aufregung um ein durchschnittliches Album nicht verstehen. Stünde nicht SODOm auf dem Cover, hätte die Musik kaum jemanden interessiert.”

      Selten so einen ignoranten Käse gelesen! Und wenn Sodom nicht oldschool ist, frage ich mich ernsthaft, welche Band das in Deutschland noch für sich in Anspruch nehmen kann. Eine der wenigen Bands, die sich in fast vierzig Jahren, kaum hat verbiegen lassen. Das Album ist bärenstark und polarisiert zurecht. Sodom kann das am Ende scheißegal sein. Wichtig ist, dass sie damit glücklich sind.

      Finde das Review im übrigen sehr gut. Danke!

      1. Lord Winter, was ist denn los? Wenn das Album zurecht polarisiert (also gegensätzliche Meinungen beinhaltet), was ist dann der Grund mich indirekt als Ignorant zu titulieren?
        Ist es so schwer mit einer anderen Meinung konfrontiert zu werden? Ich habe meinen Standpunkt geäußert und bitte dies zu akzeptieren. Stattdessen drückst du mir doktrinär deine Meinung auf. Ich spreche dir doch deine Meinung auch nicht ab. Selbst dann nicht wenn du im Namen der Band sprichst.
        Wenn SODOM mit dem Album zufrieden sind dann ist das ebenso OK. Muss ich dann damit zufrieden sein? Ich schrieb doch, dass ich es mittelmäßig finde.

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