Review Slipknot – Iowa (10th Anniversary Edition Re-Release)

SLIPKNOT polarisieren: Die einen werden nicht müde, die neun Maskenmänner als Kiddy-Band zu verurteilen, die anderen schätzen sie als die Nu-Metal-Größe schlechthin. Zum zehnjährigen Jubiläum ihres zweiten Albums „Iowa“ erscheint nun eine „10th Anniversary Edition“. Grund genug, sich nocheinmal eingehend mit dem Werk selbst, aber natürlich auch mit den Vorzügen der Neuauflage zu befassen.

Iowa

Mit „(515)“ beginnt „Iowa“ in Analogie zum selbstbetitelten Debüt mit einem verstörenden, sinistren Intro: Beklemmendes, schwelendes Grummeln, gequälte Schreie, und immer wieder das Wort „Death“ erklingen, ehe nach einem letzten, langgezogenen „Deaaaaaaaath“ die Hölle losbricht – und zwar in Form von in Form von „People = Shit“. In den fulminanten Einstieg aus infernalischem Geprügel, Geschrei und heulenden Gitarren, sowie einem der mächtigsten Breakdowns der Metal-Geschichte wird innerhalb weniger Sekunden scheinbar alle Energie, die SLIPKNOT mit ins Studio gebracht haben, auf einen Schlag freigesetzt. Dass dieses Song-Monster über die Jahre zu einem Lehrbeispiel in Sachen Nu-Metal geworden ist, verwundert in Anbetracht dieser Dynamik wenig.

Wer jedoch erwartet, das Album würde nach diesem rasanten Start einbrechen, täuscht sich gewaltig – legen SLIPKNOT mit „Disasterpiece“ sowie „My Pleague“ doch gleich zwei weitere Höhepunkte nach, die, jeder auf seine Art, nicht minder überzeugen: Funktioniert ersterer eher über die Kombination aus groovendem Riffing und schnellen Blasts, um im Mittelteil etwas zur Ruhe zu kommen und sogar mit etwas Klargesang zu überraschen, steht bei „My Pleague“ (bekannt vom „Resident Evil“-Soundtrack) ebendieser Klargesang im Mittelpunkt: Nach einer imposanten Steigerung im Songaufbau überrascht Corey Taylor den Hörer aus einem harten Midtempo-Riff heraus unversehens mit einem clean gesungenen Refrain, der dem Song Charakter verleiht und am ehesten an „Purity“ vom Debüt denken lässt.

Dabei wird deutlich, wie sehr sich Taylor in Sachen Gesangstechnik verbessert hat: Die „bösen“ Passagen klingen noch einen Zacken kraftvoller und mehr „von innen heraus“ als noch auf „Slipknot“, die klar gesungenen Stellen wiederum wirken insgesamt deutlich souveräner. Auch weiß Nummer #8 seine Stimme präziser und vielseitiger einzusetzen, was das Klangbild der Truppe aus Iowa enorm erweitert. Deutlich wird das auch im nun folgenden „Everything Ends“, das musikalisch zwar keine neuen Akzente setzt, jedoch gerade durch den Gesang zu einer herausragenden Nummer wird: Von wüstem Geschrei über Sprechgesang bis hin zu Klargesang ist hier in schnellem Wechsel alles vertreten. Der gescratchte Countdown „8 7 6–6–6 5 4 3 2 1“ eröffnet mit „The Herethic Anthem“ anschließend im wahrsten Sinne des Wortes eine weitere Bandhymne: Wer einmal in den Genuss einer SLIPKNOT-Liveshow oder auch nur der „Disasterpieces“-DVD gekommen ist, hat beim Hören dieser Nummer die Energie fast bildlich vor Augen, die frei wird, wenn nach dem Drumbreak und dem Einsatz der ersten Gitarre mit einem Schlag die gesamte Band einsteigt.

Zeit für eine Pause, mag nun der ein oder andere vom bloßen Zuhören ausgepowerte Hörer denken … und tatsächlich bekommt man mit „Gently“ eine solche gewährt: Der Track, ehemals auf dem „verleugneten“ Erstlingswerk „Mate. Feed. Kill. Repeat.“ zu finden, wurde für „Iowa“ komplett überarbeitet und erfüllt nun perfekt die Aufgabe des Ruhepunktes in der Albummitte – auch wenn man dem Song mit dieser Beschreibung nicht ganz gerecht wird: Gegen Ende können SLIPKNOT auch hier nicht an sich halten und prügeln doch noch kräftig drauf los. Spätestens an dieser Stelle muss die Leistung von Ross Robinson gewürdigt werden: Klang das ebenfalls von ihm gemischte Debüt noch vergleichsweise roh, besticht „Iowa“ mit einem so klaren wie zugleich kraftvollen Sound, wie nicht nur SLIPKNOT ihn später nie wieder hatten: Bis heute sucht diese Produzenten-Leistung ihresgleichen.

Auch die zweite Albumhälfte vermittelt eher das Gefühl eines Best-Of-Albums, denn den eines regulären Studioalbums, reiht sich doch weiterhin Hit an Hit: In „Left Behind“, insbesondere aber bei „The Shape“ glänzt Corey erneut mit Klargesang, während die Band alle Register zieht – und bei acht Instrumentalisten sind das so einige. Gerade Sit Wilsons Scratches und die Samples von Craig sind dabei so subtil genug eingeflochten, dass es in den Songs immer weitere Details zu entdecken gibt. Ähnlich verhält es sich mit den Percussions von Shawn „Clown“ Crahan und Chris Fehn: Zwar fallen auch diese nur an wenigen Stellen direkt auf, verleihen dem Gesamtwerk jedoch genau den Extra-Zacken Durchschlagskraft, der SLIPKNOT ausmacht.

Läuft das Album bei „I Am Hated“ dezent Gefahr, sich zu wiederholen und totzulaufen, reißen SLIPKNOT das Ruder gerade noch im rechten Moment herum und liefern mit „Skin Ticket“ einen extrem vielseitigen Song ab, der gerade von den extremen Wechseln zwischen bedrohlich leisen Flüster-/Klargesangs-Passagen und aggressiven Groove-Momenten lebt und damit einiges an Abwechslung bereithält. Zwei weitere Kracher („New Abortion“ und „Metabolic“) später rundet der Titeltrack das Album gelungen ab: Über 15 Minuten entwickelt sich hier aus Wind und Mövengeschrei eine gespenstische Geräuschkulisse, die langsam aber sicher um Cleangitarre, Schlagzeug und raunender Gesang, sowie später fast schon doomige Zerrgitarren erweitert wird. Nach einer weiteren, großen Verschnaufpause bäumt sich das Song-Monster schließlich ein letztes Mal auf, bevor es tödlich getroffen zu Boden geht und grässlich verendet.

Mit „Iowa“ ist SLIPKNOT gelungen, die Aggression, die ihr selbstbetiteltes Debüt so einmalig gemacht hat, erneut einzufangen, ohne sich jedoch stumpf zu wiederholen: War „Slipknot“ eher ein chaotischer Schläger, der brutal, aber wahllos auf den Hörer eindrischt, ist „Iowa“ der kaltblütige, vorausplanende Killer, der mit Kalkül, aber nicht minder grausam mordet. Vom Intro bis zu den letzten Tönen von „Iowa“ hat man es hier mit einem durchkonzipierten, in sich stimmigen Album zu tun, das eine volle Stunde lang auf höchstem Niveau zu unterhalten vermag. Fazit: erbarmungsloses Geprügel, aber mit Stil.

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10th Anniversary Edition

Neben dem Album selbst bietet die Re-Release-Version dem geneigten Fan gleich zwei zusätzliche Silberlinge: Der erste enthält mit „Goat“ einen von Shawn „Clown“ Crahan in dessen typischem Stil (man denke an die vorletzte DVD, „Voliminal: Inside The Nine“) gedrehtem Film zum Album (A. d. Red.: das Videomaterial lag zur Rezension leider nicht vor). Der zweite ist eine Audio-CD mit dem Titel „Live in London 2002“. Dieser Tonträger dürfte für viele Fans, die „Iowa“ schon lange besitzen, den eigentlichen Reiz dieser Neuauflage ausmachen – handelt es sich doch um den legendären Auftritt der neunköpfigen Band in der London Astoria Hall, welcher unter dem Titel „Disasterpieces“ als Live-DVD nicht unwesentlich zum Ruf der Band beigetragen hat.

Diesen Mitschnitt nun auf CD zu veröffentlichen, ist eine so simple wie geniale Idee des Labels: Der Aufwand ist gering, der Effekt dafür umso größer. Wohl jeder SLIPKNOT-Fan dürfte schon davon geträumt haben, dieses Konzert auch als Live-Album hören zu können. Und tatsächlich hält die CD-Beigabe, was sie verspricht: In brillantem Sound brechen die Songs aus den Boxen, dargeboten genau in der Zeit des Übergangs zwischen Chaos und Professionalität, zwischen Aggression und Kalkül. Oder, wie manche wohl sagen würden: auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

„Iowa“ ist ein Muss für alle Fans aggressiver, anspruchsvoller, chaotischer, brutaler, energiegeladener, gefühlvoller und vielseitiger Musik moderner Gangart. Wer das Meisterwerk von SLIPKNOT noch nicht sein Eigen nennt, sollte sich die Chance auf eines der besten je mitgeschnittenen Livekonzerte und einen Bonus-Film keinesfalls entgehen lassen und direkt zu diesem gelungenen Re-Release greifen. Für echte Fans ist das Original im „Alufolie-und-Butterbrotpapier-Layout“ natürlich alternativlos – die Anschaffung dieser Neuauflage allerdings ebenso.

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Wertung: 10 / 10

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