Review Slime – Wem gehört die Angst

Eigentlich ist es kaum zu glauben, dass sich im Jahr 2020 ein neues Album der Deutschpunk-Legende SLIME auf dem heimischen Plattenteller dreht. Seit 1979 singt die Band aus Hamburg gegen soziale und politische Missstände an, hat ein Genre geprägt und mit „Schweineherbst“ eines der wichtigsten deutschsprachigen Alben aller Zeiten veröffentlicht. Nach der Auflösung Mitte der 90er-Jahre ist die Band seit 2009 wieder zurück und legt mit „Wem gehört die Angst“ ihr mittlerweile achtes Album vor. Bereits auf dem Vorgänger „Hier und Jetzt“ von 2017 sangen SLIME: „Mir wär‘ es lieber, unsere Lieder wären nicht mehr aktuell und niemand würde sie noch singen“. Dieser Wunsch ist auch heute noch nicht erfüllt und SLIME sind textlich gerade in ihrer Ernsthaftigkeit so aktuell und wichtig wie eh und je. Dabei ruht sich die Band nicht auf ihrem Legendenstatus aus: Mit „Wem gehört die Angst“ legt die Band eines ihrer bisher stärksten Alben vor.

Waren SLIME früher primär für ihre stumpfen, wenig reflektierten und dennoch systemkritischen Songs bekannt, sind die Texte spätestens seit „Schweineherbst“ deutlich tiefgreifender und durchdachter. Sei es politisch geschürte Ängste, das Ausnutzen von verängstigten Menschen, Kritik am überhobenen Selbstverständnis weißer Männlichkeit, Aufruf zu mehr Zusammenhalt: Humor ist auf „Wem gehört die Angst“ auch im Hinblick auf diese Themen fehl am Platz. Dennoch sollte klar sein, dass auch auf „Wem gehört die Angst“ keine lyrischen Großleistungen zu erwarten sind. Über die gesamte Spielzeit hinweg rutschen SLIME lediglich mit „Wenn wir wollen“, das in seiner Intention mehr als richtig ist, in sehr platte Gefilde ab. Generell gilt: Wer sich nicht auf politisch richtige und wichtige Inhalte, oft aber vereinfachte Aussagen einlassen will, ist mit „Wem gehört die Angst“ falsch beraten.

Ähnliches gilt auch für die Musik: SLIME spielen musikalisch simplen, melodischen Punkrock, der nicht mehr so kantig daherkommt wie 1979, aber nicht an Aggression eingebüßt hat. Dirk am Gesang klingt auch 2020 nach wie vor kraftvoll und angepisst und seine tiefe, raue Stimme passt perfekt zur Stimmung auf „Wem gehört die Angst“. Neben härteren Nummern wie dem Titeltrack oder auch „Kein Mensch ist illegal“ zeichnen sich die fünf Musiker*innen darüber hinaus nach wie vor durch ein beeindruckendes Melodiegespür aus. Allerdings gerät „Wenn wir wollen“ eine Nummer zu cheesy, was auch für „Weißer Abschaum“ gilt. Zwar schrammen SLIME auch an weiteren Stellen haarscharf an der Grenze zum Klischee und Kitsch entlang, kriegen aber (fast) immer die Kurve.

Neben dem verstärkten Einsatz von mehrstimmigem Gesang – womit SLIME in weniger aufdringlicher Art offenbaren, woher Die Toten Hosen ihre Inspiration genommen haben – gehen die Hamburger*innen auch einige Experimente ein. Mit „Die Suchenden“ zitieren SLIME ihre musikalischen Anfänge und haben waschechte Reggae-Strophen zwischen die groovenden Rock-Refrains eingebaut – ja, das Debütalbum der Band war neben Punk von Reggae und Ska bestimmt. Das abschließende, englischsprachige „Solidarity“ startet akustisch und entwickelt sich zu einem astreinen Folk-Punk-Song (inklusive einer musikalischen Anspielung auf „Die Internationale“), auf den auch Bands wie Flogging Molly stolz wären. „Wem gehört die Angst“ ist unverkennbar SLIME, ein Ausrufezeichen was politischen Deutschpunk betrifft und ein wichtiges Statement in einer schweren Zeit.

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Wertung: 7.5 / 10

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