Kennt ihr das auch? Man fühlt sich gut in der Metalszene verortet, meint die aktuellen Trends und aufsteigenden Bands zu kennen und liest schlagartig vermehrt einen Namen, der einem absolut nicht geläufig, aber plötzlich in aller Munde ist? Das britische Kollektiv SLEEP TOKEN ist genau so ein Name, dem man sich aktuell nur schwer entziehen kann. Ein Faktor hierfür ist sicherlich, dass die Menschheit das Geheimnisvolle, das Verborgene grundsätzlich faszinierend findet – Masken tragende, namenlose Musiker mit einer mystischen Background-Story sind die künstlerische Ausprägung dieses Interesses. SLEEP TOKEN scheinen davon so zu profitieren wie einst Slipknot, Lordi, Brujeria oder auch Ghost: je nebulöser das Drumherum, desto genauer der Blick auf die Band. Um diesen Blick längerfristig auf sich zu ziehen, veröffentlichen SLEEP TOKEN nun ihr zweites Werk namens „This Place Will Become Your Tomb“.
So unmöglich es ist, die Mitgliederanzahl und deren Namen in Erfahrung zu bringen, so schwierig ist es auch, den Stil des Projekts zu benennen. Was oftmals mit einem minimalistisch gehaltenen Intro und tragendem Gesang beginnt („Atlantic“, „The Love You Want“), endet oftmals in einem proggy Zusammenspiel von djenty Gitarren und einem sehr verspielten, von Fills dominierten Schlagzeugspiel („Alkaline“, „Telomeres“). Dennoch ist SLEEP TOKEN weder Ambient noch Prog, weder Rock noch Synth, sicherlich aber eine Schnittmenge aus allem, die „This Place Will Become Your Tomb“ am ehesten zu einem modernen Beitrag für Alternative Metal werden lässt.
Der größte Überraschungsmoment eines Songs von SLEEP TOKEN ist zugleich auch das Markenzeichen des Projekts: die atmosphärische Steigerung. Die zwölf Tracks leben vorrangig von dieser Klimax, die besonders in den ersten Durchläufen der Platte immer wieder für Gänsehaut sorgt („Mine“, „High Water“). Besonders die kraftvolle, mit viel Soul gesegnete Stimme des Sängers legt in den anfänglichen ruhigen Parts das Fundament für die stimmungsvolle Dramatik, die SLEEP TOKEN in knapp 50 Minuten Spielzeit zur Perfektion stilisieren. Je häufiger „This Place Will Become Your Tomb“ allerdings im Plattenspieler rotiert, desto eher stellen sich erste Abnutzerscheinungen ein. Denn ähnlich wie beim Songwriting der aktuellen Leprous-Platte, scheuen auch SLEEP TOKEN den (spürbaren) Schritt aus ihrer Komfortzone heraus und überlassen den Großteil der Unterhaltung zu sehr der einnehmenden Stimme des Sängers. Mit einem sensationellen Stimmumfang wie dem von Jonny Craig (ex-Emarosa, ex-Dance Gavin Dance), Dan Tompkins (Tesseract) oder eben SLEEP TOKENs Vessel genannten Sänger ist das kein grundsätzlicher Nachteil, vergrault aber schnell die Musikliebhaber, die Musik auch um ihrer Instrumentierung wegen hören.
SLEEP TOKEN werden dennoch nicht zu Unrecht als eine Band der Stunde gehandelt; mit ihren druckvollen Prog-Attacken, den smoothen Ambient-Parts und der markanten Stimme des Sängers hebt sich „This Place Will Become Your Tomb“ deutlich von aktuellen Alben aus dem Genre ab, obgleich das den Songs der Platte nur bedingt gelingt. Dennoch sollten Fans von Modern Metal mit hohem Atmosphäre-Anteil unbedingt reinhören.
Wertung: 7.5 / 10