Scott Ian zählt ohne Frage zu den schillerndsten Personen im Metal-Business: Über seine Rolle als Anthrax-Chef hinaus ist der kleine Mann mit dem charakteristischen Kinnbart wohl den meisten Metal-Fans durch seine Kolumne „Post von Scott Ian“ im Metal Hammer ein Begriff. Als Hansdampf in allen Gassen, der so ziemlich jeden Rock-Musiker zu kennen scheint und zudem mit einem äußerst unterhaltsamen Erzählstil gesegnet ist, ist Ian quasi prädestinierter Autobiograph – „I’m The Man“ war also nur eine Frage der Zeit.
Die Erwartungen an das unter gleichem Titel auch auf deutsch erschienene Werk werden nicht enttäuscht – das Resultat ist ein Buch, das nicht nur für Anthrax-Fans einiges zu bieten hat: Auf rund 300 Seiten schildert Scott Ian sehr lebhaft seine Musiker-Karriere. Wer sich hiervon eine Exzess-Beichte erwartet, ist hier falsch, wie Ian gleich zu Beginn klarstellt – auch wenn er dieses „Versprechen“ im Laufe des Buches nicht immer einhält. Dass dabei natürlich auch der Werdegang von Anthrax von der Zeit, als Thrash Metal gerade erst erdacht war, bis zu den gigantischen The-Big-4-Konzerten ausführlich beschrieben wird, und auch die Stormtroopers Of Death (S.O.D.) erwähnung finden, ist klar – und doch hat man nie das Gefühl, es würden bloß Alben, Releases und sonstige Meilensteine einer Bandkarriere durchgekaut.
Viel mehr zeigt Scott Ian die abschreckenden wie auch die schönen Seiten des Musik-Business damals wie heute quasi exemplarisch am Beispiel von Anthrax auf: Freundschaften werden der Band-Karriere geopfert, Alben geschrieben, um Verträge zu erfüllen, und mit Iron Maiden auf Tour zu sein bedeutet nicht, dass man am Ende auch nur einen Cent in der Tasche hat. Dafür bieten die damals noch üblichen, stattlichen Album-Vorschüsse zumindest für einige Zeit den Luxus eines quasi-bedingungslosen Grundeinkommens und genügend Freizeit, sich Alkohol und Band-Groupies zuzuwenden.
Eigentlich sind es aber vor allem die Dinge, die der New Yorker durch seine Tätigkeit bei Anthrax miterlebt hat, die „I’m The Man“ so interessant machen: Lebendig und mit viel Witz schildert Ian, wie die Jungs von Anthrax und Metallica von Konkurrenten zu Freunden werden – nicht ohne Grund stammt das Vorwort zu diesem Buch aus der Feder von niemand Geringerem als Kirk Hammett – und wie er den Rauswurf von Dave Mustaine oder den Tod von Cliff Burton während der gemeinsamen Tour in Schweden miterlebt hat. Er erzählt von der Zusammenarbeit mit Public Enemy für „I’m The Man“ und „Bring The Noise“, der harten Alkoholschule, durch die er während der Tour mit Pantera gegangen ist, wie es ist, der Schwiegersohn von Meat Love zu werden und warum er sich für ein paar der The-Big-4-Shows gerne durch Andreas Kisser (Sepultura) vertreten ließ.
Bei alledem gewährt Scott Ian dem Leser einen sehr persönlichen Einblick in seine Gefühlswelt: Die Bandkrisen, die auch stets zu Krisen im Privatleben des Bandleaders führen, Beziehungsdramen, gescheiterte Ehen und bereute Seitensprünge – nichts lässt Ian in „I’m The Man“ außen vor. Einen großen Beitrag zum hohen Unterhaltungswert der deutschen Ausgabe leistet zu guter Letzt Andreas Schiffmann, dessen sprachechte Übersetzung sich stets flüssig, vor allem aber nicht so gestelzt liest, wie es bei vielen im Original lässig heruntergeschriebenen Musiker-Biographien der Fall ist, die allzu lehrbuchtreu ins Deutsche übertragen wurden.
Für Anthrax-Fans ist „I’m The Man“ sowieso ein Standard-Werk – doch auch für alle Fans der Bay-Area-Thrash-Szene ist dieses Buch dank der engen Verknüpfung von Anthrax mit Metallica und Konsorten überaus informativ. Man könnte sogar noch weiter gehen und sagen: Scott Ians lebendiger Schreibstil, seine weitreichenden Bekanntschaften, die von Corey Tailor bis Gene Simmons reichen, sowie der Anekdotenreichtum des Buches sorgen dafür, dass sich kein Metal-Fan mit „I’m The Man“ langweilen dürfte.
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