Einen Vorteil hat reine Instrumentalmusik fraglos: Bei der Wahl von Song- und Albumtiteln sind keine Grenzen gesetzt, sie müssen nur sich selbst genügen und bestenfalls zusammenpassen, jedoch kein Textkonzept repräsentieren. Entsprechend kreativ werden Bands hier gerne, die rein instrumental unterwegs sind: Die Doom-Jazzer Bohren & Der Club Of Gore oder die Jazz-Metaller Panzerballett sind dafür gute Beispiele – aber auch das Dark-Synth-Pop-Duo SANKT OTTEN, das schon früher mit Albumtiteln wie „Engtanz Depression“ oder „Zwischen Demut und Disco“ begeistern konnte. Nun also: „Lieder für geometrische Stunden“.
Wie SANKT OTTEN statt der bloßen Quantisierung sogar die Quadratur der Zeit angehen wollen (oder soll es eher Richtung Kreis gehen?) bleibt allerdings, so viel vorneweg, ihr Geheimnis. Ordentlich geometrisch ist dafür zumindest das Artwork (bei der LP mit aufwendigem Cut-Out-Design gestaltet), das einmal mehr in in Rot, Grau, Weiß und Schwarz gehalten ist, aber statt (wie zuletzt) fabelhafte Tierbilder nur kantige Farbflächen erkennen lässt.
Ansonsten bleiben sich die beiden Musiker aus Osnabrück auf ihrem nunmehr bereits elften Album weitestgehend treu: Hinter beglückend bedrückenden Titeln wie „Wieder einer weniger“, „Die Kunst des falschen Timings“, „Die Blumen darfst du behalten“ oder „Wenig Worte für ein Ende“ stecken auch diesmal gefühlvoll arrangierte Songs aus wabernden Synthesizer-Klängen und perlenden Arpeggios, dezent rhythmisierenden Beats und, gut versteckt, stark halbeladenen E-Bow-Gitarren. Die „Lieder für geometrische Stunden“ sind damit einmal mehr Stücke zwischen Krautrock und Retro-Elektro, der eigentlich gar nicht retro klingt – weil im Wort „retro“ der Versuch mitschwingt, wie früher zu klingen, während SANKT OTTEN das dank der entsprechenden Hardware tatsächlich gelingt.
Alles das ist nur, und das ist die einzig unbequeme Wahrheit, die es über „Lieder für geometrische Stunden“ schlussendlich auszusprechen gibt, mit Blick auf die letzten SANKT-OTTEN-Alben nichts Neues mehr. So kann nun jeder, der diese CDs mochte, gleichermaßen beruhigt zugreifen (er wird nicht enttäuscht sein) oder es sein lassen (er wird nichts verpassen). Oder präziser formuliert: Wer nur hin und wieder SANKT OTTEN hört, kann sich wohl mit den letzten Alben begnügen; wer diese hingegen schon totgehört hat, bekommt hier acht neue Lieder im alten Stil … und garantiert nicht nur für geometrische Stunden.
Wertung: 7.5 / 10