Review Samsas Traum – Poesie: Friedrichs Geschichte

(Symphonic Metal / Trip Hop) SAMSAS TRAUM war schon immer eine Band, die sich auf zwei Dinge ganz besonders verstand: provozieren und polarisieren. Kein Album gleicht dem anderen und doch verbindet sie alle dieselbe Verrücktheit, die Fans und Kritiker gleichermaßen immer wieder vor den Kopf stößt. Waren die Texte von Querkopf Alexander Kaschte bisher vorwiegend im Reich der Fantasie beheimatet, holt uns der notorische Exzentriker nun auf „Poesie: Friedrichs Geschichte“ mehr als unsanft in die Realität zurück. Thematisiert wird das grausame Schicksal der körperlich und geistig behinderten Insassen einer NS-Tötungsanstalt.

Die Texte hatten bei SAMSAS TRAUM schon immer einen hohen Stellenwert, aber wohl noch nie so sehr wie hier. Die Geschichte wird aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt, mal kindlich-naiv aus Sicht der minderjährigen Opfer („Wir fahren in den Himmel“), dann wiederum bürokratisch-gleichgültig („Es tut uns leid“) bis hin zu teuflisch-bösartig („Richard, warum zitterst du“, „Gorgass“) durch die Augen der am Genozid Beteiligten. Die schonungslosen Lyrics, die mit ihrem rechtslastigen Vokabular sogar noch unverblümter als die von „Tineoidea“ sind, werden überwiegend in gewöhnungsbedürftigem Sprechgesang vorgetragen, ebenfalls ein für SAMSAS TRAUM neuartiges Stilmittel. Hat man sich erst einmal eingehört, stellt man fest, dass diese Neuerung durchaus zum Konzept passt.
Weniger stimmig, sondern eher deplatziert wirken hingegen die Trip-Hop-Elemente, die ebenfalls erstmalig Einzug in Kaschtes Kompositionen Einzug gehalten haben. Die Beats klingen eher zurückgelehnt bzw. relaxt, da hätte etwas mehr Raserei im Stil von „Heiliges Herz“ oder der künstliche Wahnsinn von „Tineoidea“ besser gepasst. Ansonsten erinnert die Platte am ehesten noch an „Anleitung zum Totsein“, die Trip-Hop-Elemente treten also lediglich ergänzend zum Symphonic Metal ebenjenes Referenzwerks hinzu. Auch die durchschnittliche Songlänge ist mit der ebenjener Platte vergleichbar, auf ausufernd lange Tracks wird verzichtet. Gesanglich konzentriert man sich auf Clean-Vocals, die heiseren Screams kommen nur sehr selten zum Einsatz.
Die Gitarren sind wie gewohnt eher simpel gehalten, nur vereinzelte Passagen stechen heraus, so zum Beispiel das Solo im düsteren „Gorgass“. Den Löwenanteil machen also wieder die symphonischen Stilmittel aus, doch auch Pianomelodien und Synthesizer ziehen manchmal die Aufmerksamkeit auf sich, letztere beispielsweise in „Und ich schrieb Gedichte“. Ebenjener Track fällt außerdem dadurch auf, dass er zahlreiche Textstellen früherer Alben aufgreift und inhaltlich eine Abkehr vom fantastisch-eskapistischen Hintergrund der Band darstellt. Das überaus beklemmende „Leiche 10 000“ klingt im Gegenzug eher nach Industrial, die Abwechslung kommt also wieder mal nicht zu kurz.

SAMSAS TRAUM ist zweifelsohne vorbei, das hier ist knallharte Realität. Leider kompromittiert dies ein wenig das bisherige Schaffen der Band, denn das Fantastische war stets ein positives Erkennungsmerkmal von SAMSAS TRAUM. Das mehr als nur unsanfte Erwachen auf „Poesie“ will also erst einmal verdaut werden, obwohl die Songs an sich sogar ziemlich eingängig sind und schnell auf den Punkt kommen. Definitiv kein schlechtes Album, aber wohl so ziemlich die größte Wandlung, die SAMSAS TRAUM bisher vollzogen haben und an der sich manches kritisieren lässt.

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Wertung: 7 / 10

Publiziert am von Stephan Rajchl

4 Kommentare zu “Samsas Traum – Poesie: Friedrichs Geschichte

  1. Hallo ich finde nicht das der sprechgesang bei Dem Album eine neuerung ist, wie man bei dem Lied der Fährmann vom Album Tineoidea oder Wolfsblut vom Album Asenka entnehmen kann. Würde sogar sagen das das eher typisch für Samsas traum ist.

    1. Hallo Michael!
      Zuerst vielen Dank für deinen Kommentar, es ist immer schön, sich über solche Dinge auszutauschen. :)
      Du hast natürlich damit recht, dass Samsas Traum dieses Stilmittel schon einmal eingesetzt haben. Die Texte waren schon immer ein wichtiger Bestandteil ihrer Musik, oftmals wurden sie ja auch komplett gesprochen wiedergegeben.
      Aus meiner Sicht ist es in dem Fall jedoch eindeutig eine Neuerung, da noch nie so viel Sprechgesang eingesetzt wurde wie nun auf „Poesie“. Es macht hier den Großteil der Vocals aus. Außerdem klingt der Gesang auch etwas anders als der auf den von dir genannten Tracks, er ist absichtlich monotoner, fast schon Rap-artig. Das sehe ich wiederum sehr wohl als Neuerung.

  2. Der Grad zwischen gelungen und geschmacklos scheint hier sehr dicht beiander zu liegen. Kaschte sitzt in seinen eigenen vier Wänden, schlürft ein Käffchen, trägt seine bequeme Kleidung und hat seine Liebsten um sich, während er sich in die Rolle eines Aktion T4-Opfers denkt. Ich weiß nicht, ob das noch authentisch oder doch schon anmaßend ist.

    1. Da muss ich dir schon Recht geben, deshalb war es für mich auch sehr schwer, die Platte zu beurteilen. Ich versuche oft, die Musik für sich sprechen zu lassen, ohne an die Personen dahinter zu denken. Ich glaube, ich würde persönlich mit Kaschte überhaupt nichts anfangen können, aber seine Musik sagt mir halt oftmals zu. Natürlich ist diese isolierte Betrachtungsweise nicht angebracht, wenn es sich um Bands wie zb Absurd handelt, aber hierbei finde ich es in Ordnung. Außerdem bin ich der Meinung, dass man so kontroverse Themen auch ansprechen dürfen sollte, wenn man nicht direkt selbst davon betroffen ist. Die Texte auf „Poesie“ sind wirklich sehr grenzwertig, aber gerade dadurch sind sie so erschütternd, wie es das Thema selbst ist.

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