RUSH wissen, wie man Fans den Mund wässrig macht: Statt aus ihrem neuen Album „Clockwork Angels“ (Veröffentlichung: 08.06.12) ein Geheimnis zu machen, werfen die drei Kanadier ihren Anhängern lieber gleich mehrfach Leckerli hin. Die Doppel-Single „Caravan / BU2B“ nahm bereits im Juni 2010 zwei Stücke des kommenden Studiowerks vorweg; jetzt – eineinhalb Monate vor Veröffentlichung der 20. Platte der Bandgeschichte – legen Geddy Lee, Alex Lifeson und Neil Peart mit der digitalen Single „Headlong Flight“ noch eins drauf und sorgen endgültig dafür, dass das neue RUSH-Werk mit unermesslicher Spannung erwartet werden dürfte.
Denn auch wenn man nach den drei bisher veröffentlichten Tracks vermuten kann, dass „Clockwork Angels“ ein recht treibendes und flottes Album wird, so ist man dennoch irgendwie kein Stück schlauer. In den gut 7 ½ Minuten von „Headlong Flight“ präsentieren sich RUSH wesentlich energetischer als noch zu Zeiten von „Snakes And Arrows“. Einzig „Far Cry“ erreichte auf jener Platte in etwa den hier vorgelegten Härtegrad. All das bedeutet natürlich nicht, dass das Trio Anno 2012 auf straighten, leicht zugänglichen Rock setzt. Eher das Gegenteil ist der Fall: „Headlong Flight“ verbindet die Heavyness eines „Far Cry“ mit der Verschrobenheit eines „Spindrift“. Es ist ein Track, der – wie meist bei der Band – seine Zeit braucht, um sich zu entfalten und durchblickt zu werden. Nach wie vor dürfte es die Stimme von Frontmann und Bassist Geddy Lee sein, die die Einstiegshürde derart hoch setzt. Die Gesangsmelodien der Nummer sind vor allem im Refrain recht sperrig geraten – insbesondere, weil Lee seine Stimmbänder dieses Mal wieder etwas mehr gedehnt hat und in wesentlich höhere Regionen vordringt als noch zuletzt.
Was bleibt ansonsten zu sagen? Es gibt ein Wiederhören mit der computergenerierten Sprechstimme von „Roll The Bones“. Und es gibt ein schickes Single-Cover. Beides jedoch kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Headlong Flight“ für über sieben Minuten Spielzeit zu wenig Abwechslung bietet. Es fehlt ein ruhiger Teil, es fehlt Atmosphäre. Gerade diese luftige Ausgeglichenheit hat einen Großteil des Materials von „Snakes & Arrows“ durchzogen und so fantastisch gemacht. Hier fehlt sie gänzlich. Auf den Einsatz von Keyboards wird komplett verzichtet. Und so ist „Headlong Flight“ ein eisiger, tonnenschwerer Monolith, vollgestopft mit geschickt verpackter musikalischer Virtuosität, aber ohne erkennbare Seele. Leute, die mit RUSH bisher so ihre Schwierigkeiten hatten, werden sich daran die Zähne ausbeißen und sich das Ding gegebenenfalls schwer erarbeiten müssen. Genau das allerdings macht die Musik des kanadischen Trios so spannend und ist der Grund, warum ich mir das neue Album „Clockwork Angels“ auf jeden Fall holen werde.
Ob ich „Headlong Flight“ mag? Nein, im Moment nicht. Aber ich weiß, dass sich das ändern kann. Und dann wird die Ausdauer doppelt belohnt.
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