Review Rome – The Lone Furrow

(Chanson Noir/Neofolk) Angesichts der Feuerbrände unserer Zeit zieht es Jérôme Reuter deutlicher als jemals zuvor hin zu einem ästhetizistischen Konservatismus. Auf „The Lone Furrow“ sucht ROME nach dem Überzeitlichen, nach dem Guten, Wahren und Schönen in den Werken der Poeten und Philosophen der europäischen Geistesgeschichte. Aus dem Gestern soll der moderne Mensch für das Heute lernen. Was der Künstler vom Ideal des Fortschritts hält, zeigt sich bereits in den Worten des Autors Aki Cederberg im Intro „Masters Of The Earth“: „This modern civilisation ist not enlightened nor privileged.“ Schlussendlich triumphieren „die späten Kinder der Tradition“.

Zwar betont Reuter, sich nicht vor einen politischen Karren spannen lassen zu wollen. Doch erfordert es in polarisierten Zeiten wie den unseren einiges an Mut, sich als Künstler in solche Gefilde zu wagen – birgt Poesie, vor allem sofern sie affektgeladen und interpretationsoffen ist, doch immenses Potenzial zur Vereinnahmung. Allzu leicht lassen sich Worte bewusst missverstehen, lassen Gedanken und Denker sich in überspitzte Kategorien einsortieren, wenn es der eigenen Sache dient. Da wird der Konservative rasch zum „Nazi“, der Linke zum „Kommunisten“. Eine Unart, die im rechten wie im linken Lager weit verbreitet ist. Wer mit derart Schubladendenken an ROMEs – manchmal provokative, aber niemals plumpe – Modernekritik herantritt, wird aus „The Lone Furrow“ wenig Genuss ziehen können und verpasst die Möglichkeit zur Auseinandersetzung.

Das Selbstverständnis Reuters als Künstler tritt wohl am deutlichsten im Outro „A Peak Of One’s Own“ zutage, das die Möglichkeit beschreibt, sich als Solitär aus Verwirrung und Hysterie zu erheben, um auf das Zeitgeschehen nurmehr herabzublicken – und darüber zu lächeln. Eine wiederum konservative Position, die es ROME dennoch ermöglicht, ideologisch ambivalent zu bleiben. Zumal der Rezipient von Kunst jeglicher Form stets bedenken sollte: Der Schöpfer ist nicht zwangsläufig identisch mit seinem Werk, sondern kann jederzeit fremde Perspektiven einnehmen, in Rollen schlüpfen. Die Grenzen sind dabei fließend.

Waren es auf Platten wie der „Die Ästhetik der Herrschaftsfreiheit“-Trilogie und „Flowers From Exile“ noch die Antifaschisten und Anarchisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, um die sich das Konzept sponn, sind es nun gehäuft auch streitbare Denker der Gegenseite, auf die Reuter sich, im Booklet teils wörtlich zitiert, bezieht: der erst im Januar dieses Jahres verstorbene, konservative Philosoph Roger Scruton, Ernst Jünger, Rudyard Kipling und Ezra Pound etwa, andererseits aber auch einmal mehr Bertolt Brecht. Reuter selbst hatte in einem Interview mit unserem Magazin im vergangenen Jahr erklärt: „Ich kann nur scheinbar konträre Realitäten spiegeln und höchstens die Wunden genau lokalisieren. Auch darin steckt Hoffnung. Man kann Denkanstöße geben, und letztlich funktioniert das nur in Grauzonen.“

Musikalisch gelingt es dem Luxemburger und seinem Team auch diesmal, das von Anfang an hohe Niveau des Projekts zu halten – und sogar einige der bislang besten ROME-Songs abzuliefern. Das Dargebotene gestaltet sich zugleich eingängiger und kontrastreicher als zuletzt. Einerseits klang ROME schon lange nicht mehr so kämpferisch-aggressiv wie in den von schwerer Perkussion getriebenen Nummern „Tyriat Sig Tyrias“, „The Angry Cup“ mit Gastbeitrag von Behemoths Nergal und „Kali Yuga über alles“ (schöne Dead-Kennedys-Referenz auch). Andererseits entfalten „Ächtung, Baby!“ (ironische U2-Referenz) in Zusammenarbeit mit Primordials Alan Averill, das antiimperialistische „The Twain“ und ganz besonders das in deutscher Sprache dargebotene „Obsidian“ geradezu poppige Hit-Qualitäten.

Zwei balladeske, zartschmelzende Perlen verstecken sich in der zweiten Albumhälfte: „The Lay Of Iria“, angelehnt an die jüngere Edda des Snorri Sturluson, mit J.J. von Harakiri For The Sky. Der darf zum Abschluss des Tracks über einem repetitiven Piano-Pattern einen an Novalis‘ „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“ angelehnten Abgesang an die reine Verstandesherrschaft der modernen Welt rezitieren. In „Palmyra“ wagt sich Reuter, begleitet von Streichorchester und Harfe, in die Gefilde des französischen Chansons – was nicht verwundert, nennt er dieses Genre doch seit jeher als Einfluss. Hier steuert Laure Le Prunenec von Igorrr den intensiven Background-Chor bei. Überhaupt fällt die füllige, ausgefeilte Produktion auf, die im Wesentlichen aus Schlagwerk, Akustikgitarre und dezenten Synthesizer-Drones ein Maximum an Wirkkraft herausholt und dabei stets die Transparenz wahrt.

So setzt „The Lone Furrow“ den auf „Le Ceneri Di Heliodoro“ eingeschlagenen Weg sowohl musikalisch als auch inhaltlich konsequent fort, wobei sich zwei gegensätzliche Entwicklungslinien zeigen: Der Sound greift auf die typischen Klangmerkmale des Neofolk zurück und poliert sie mehr denn je auf Hochglanz. Während sich der Sound also immer gefälliger gestaltet, kommen Reuters Texte zunehmend streitbar und sarkastisch daher. Was das zu bedeuten hat? Das möge der Hörer selbst entscheiden.

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Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Nico Schwappacher

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