Review Riverside – Love, Fear And The Time Machine

Mit ihren fünf bisherigen Studiowerken haben die polnischen Artrocker RIVERSIDE zur Genüge bewiesen, dass sie sich immer wieder neu erfinden können, ohne ihre eigene musikalische Identität zu verleugnen. Über die Jahre stellten sie stets andere Nuancen in den Vordergrund, klangen mal atmosphärisch („Out Of Myself“), psychedelisch („Rapid Eye Movement“), metallisch („Anno Domini High Definition“) oder erdig-rockig („Shrine Of New Generation Slaves“).

Auch auf ihrem neuen Album „Love, Fear And The Time Machine“ haben Mariusz Duda & Co. die Zutaten neu gemischt – oder besser gesagt reduziert. Betrachtet man ihre Historie, so wurde einiges über Bord geworfen: Es gibt keinen Longtrack jenseits der 8-Minuten-Marke, kein Instrumentalstück, keine Growl-Einlagen. RIVERSIDE präsentieren sich so melodisch und zugänglich wie nie zuvor. Der Weg zu einem eingängigen Sound war zwar schon vor zwei Jahren auf „Shrine Of New Generation Slaves“ spürbar, dort aber noch vermengt mit einer gehörigen Portion 70er-Rock und jener düsteren Atmosphäre, die der Band schon immer zu eigen war.

Auf „Love, Fear And The Time Machine“ klingt ihre Musik jetzt luftiger, leichter, schwebender. Die Melancholie ist noch immer da, aber Hoffnung bricht sich Bahn:

„Discard your fear of the unknown, be here and now, just find yourself in peace, try to free your mind“ (Discard Your Fear)

Im ersten Song spricht Mariusz Duda den Hörer direkt an:

„Come, follow me, we’ll go down where the river flows,
one day, just you and I, we’ll find the bridge to the neverland“ (Lost)

Er lädt dazu ein, sich mit der eigenen Identität, Bedürfnissen, Ängsten und Schmerz auseinanderzusetzen. Es geht um den Mut, die Perspektive zu wechseln, Veränderungen zuzulassen und schließlich um Heilung:

„I was tired of suppressing all of my needs, I wanted to belong to the cloudless sky, not to the shaded ground“ (Caterpillar And The Barbed Wire)
„In my invisible life, I don’t want to feel like I’m no one anymore“ (Saturate Me)
„Let it go, send your shame to nevermore, let it go, scare away your fear“ (Discard Your Fear)

Der erste und der letzte Track – „Lost“ und „Found“ – bilden diesen Wandel auch in den Songtiteln ab. Am Ende des Albums steht schließlich ein klarer Appell:

„Oh, it’s a lovely life, you have gone so far, don’t give it up.“ (Found)

Emotional waren RIVERSIDE schon immer, doch dieses Mal hat man das Gefühl, dass Mariusz Duda seine ganze Seele in die Musik gegeben hat. Das macht sich vor allem an den unheimlich dichten Texten bemerkbar – aber auch an der Tatsache, dass erstmals nicht nur die Lyrics, sondern auch die komplette Musik von ihm geschrieben wurde. Da ist es kein Wunder, dass die Songs mehr denn je von seiner einfühlsamen Stimme und wundervollen Gesangs- und Bass-Melodien leben. Seine Bandkollegen indes halten sich über weite Strecken zurück: Sie überlassen ihm die Bühne, steigen aber zum rechten Zeitpunkt mit grandiosen Soli und atmosphärischen Instrumentalausflügen ein, die mehr als einmal für Gänsehaut sorgen.

Die Kompositionen selbst sind ruhiger, glatter und fließender als bisher. Die seltenen Momente, in denen noch progressiv und kantig gerockt wird, wirken handzahm und „in Watte gepackt“, vermutlich damit sie den Fluss der Musik nicht stören.

Zunächst ist es gewöhnungsbedürftig, dass RIVERSIDE ihre sonst so facettenreiche und energetische Musik freiwillig derart beschneiden und einschränken. Doch der eng gesetzte Rahmen reduziert die Songs aufs Wesentliche und verleiht ihnen eine Intensität, die ihresgleichen sucht. „Love, Fear And The Time Machine“ ist das fokussierteste, konsequenteste und reifste Werk der Band. In gewisser Form gehen die Polen damit auch zu ihren Anfängen zurück, um von dort aus eine neue Perspektive und Klarheit zu gewinnen. Nie klangen sie deutlicher nach ihrem Debüt „Out Of Myself“, und doch sind sie heute eine gänzlich andere Band.

„Love, Fear And The Time Machine“ ist stark. Es ist eine Ode an das Leben, eine Aufforderung nicht aufzugeben. Es hört dir zu, fordert dich heraus, spendet Trost und Mut. Wenn Musik so etwas schafft, ist das wohl das größte Lob, das man ihr aussprechen kann. Mariusz Duda selbst sagt über die Platte: „Wir wünschen uns, dass dieses Album eines derjenigen ist, die einmal dein bester Freund werden.“ Das kann man so stehen lassen.

Übrigens: Die Special-Edition enthält eine zweite CD mit den sogenannten „Day Sessions“: Das sind fünf instrumentale Ambient-Bonustracks, die das Gegenstück zu den „Night Sessions“ bilden, dem Bonus der letzten Scheibe.

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Wertung: 10 / 10

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5 Kommentare zu “Riverside – Love, Fear And The Time Machine

  1. Nun, dann muss ich mir das Album wohl doch noch zulegen. Nachdem ich in die Scheibe reingehört hatte, sah ich keine Veranlassung dazu. Aber die Reviews von dir sind stets so gut und verlässlich, dass ich Riverside gerne eine Chance einräume mein CD-Regal erneut zu bereichern.

    1. Wow, Steve, dankeschön – das freut mich natürlich sehr! :) Es mag sein, dass das Album zunächst etwas unscheinbar und beliebig wirkt, das hat sich aber bei mir ganz schnell geändert. Wenn Du „Out Of Myself“ magst, müsste Dir „Love, Fear And The Time Machine“ auch gefallen.

    1. Hi Texta, schön mal wieder von Dir zu lesen. :) Welcher ist denn dein Lieblingssong auf dem Album? Meiner ist „Under The Pillow“ (vor allem wegen den instrumentalen zweiten Hälfte), dicht gefolgt von „Saturate Me“.

      1. Meine Favoriten zur Zeit sind „Lost (Why Should I Be Frightened By A Hat?) „, „Caterpillar And The Barbed Wire“ und „Time Travellers“. Dudas zarter, melodiöser und emotionaler Gesang beim Opener, wenn er „Come follow me…“ anstimmt, hat mich beim ersten Hören schon in den Bann gezogen. Mit so wenig, so eine Atmosphäre erzeugen zu können, spricht für das Können der Band.

        Mir hat das letzte Album auch schon sehr gut gefallen (ADHD und Rapid Eye Movement eher nicht so), aber das hier ist für mich eine wunderbare Reminiszenz an das Jahr 2005 und Second Life Syndrom. Auch da hast du das Review geschrieben und ich bezeichne heute noch die Platte als meinen Einstieg in das progressive Genre (auch wenn ich davor schon Dream Theater gehört habe).

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