Im April 2004 kam die schwedische Formation RITUAL für neun Konzerte zusammen mit der Progband Anekdoten auf eine kurze Europatournee. Nun, nicht ganz zwei Jahre später, liegt uns das Audiodokument dieser Reise vor, das die Band als eine Art Zusammenfassung der ersten zehn gemeinsamen Jahre bezeichnet. 2003 erschien mit „Think Like A Mountain“ das bisher letzte, dritte Studioalbum. Warum das Doppel-Live-Album erst jetzt erscheint, ist mir leider nicht bekannt. Auch der Grund für den schlichten Namen „Live“ erschließt sich mir nicht, etwas kreativer hätte man da schon sein können!
Durchaus bekannt – sogar in den Linernotes erwähnt – ist hingegen, dass die zwei Scheiben nicht etwa ein vollständig dargebotenes Konzert bereithalten, sondern Material verschiedener Abende zusammengeschnitten wurde. Dieser Fakt hat schon so manchem Mitschnitt das Rückrad gebrochen. Im Falle von RITUAL hingegen gibt’s nix zu meckern: Die Songs scheinen nahtlos ineinander überzugehen, die Ansagen wirken authentisch und nicht nachträglich reingeschnitten, die Stimmung im Publikum ist für die kleinen Hallen, die RITUAL während der Tour bevölkerten, exzellent – um nicht zu sagen hervorragend!
Musikalisch gibt es ebenso nichts auszusetzen: Das Material vermittelt eine hervorragende Live-Atmosphäre. Über die Fähigkeiten der musikalischen Mitstreiter braucht man kein Wort mehr verlieren. Lediglich Patrik Lundströms Stimme mag nicht jedem Hörer sofort munden. Einige kennen ihn vielleicht durch seinen Sängerposten bei Kaipa, mit denen er einige Alben aufnahm. Im Gegensatz zu dem dort oft sehr aufgesetzt und zuckersüß wirkenden Gesang, wirkt seine Stimme für die Klangwelten von RITUAL geradezu prädestiniert – sobald man sich wie erwähnt an seine Stimmfärbung gewöhnt hat. Die Musik von RITUAL ist auch recht schwer in Worte zu fassen: Meistens bewegt man sich auf hardrockigem oder folkrockigem Terrain. Ab und zu werden die Kompositionen auch etwas ausgedehnt und sind vielschichtiger; in diesem Momenten verfolgt die Band zweifelsohne auch ein paar progrockige Pfade. Zudem benutzt die Band allerlei länderspezifische Instrumente, wie z.B. die sogenannte Nyckelharpa, die in ihrem Klang etwa mit dem einer Fidel oder Violine zu vergleichen ist.
Die Band schafft es fast durchgehend, den Zuhörer bei Laune zu halten, legt die musikalische Betonung mal eher auf den folkloristischen Aspekt, wie z.B. beim fast neunminütigen, rasanten „Acoustic Medley“ auf CD2, in welchem einige Stücke des ersten Albums verarbeitet werden. Wenig später öffnet man mit dem fantastischem „Mother You’ve Been Gone For Much Too Long“ die Progschublade. Andere empfehlenswerte Stücke sind beispielsweise „What Are You Waiting For“, welches im Refrain mit einer großartigen Harmoniefolge aufwartet oder „Infinite Justice“, das schlicht ein Musterbeispiel für einen kohärent komponierten Song ist. Auch „Do You Wanna See The Sun“ klingt genau so, wie man sich einen Song mit diesem Titel von der Band vorstellt: Druckvoll, treibend, mitreißend mit fantastischen Melodien und – das wollen wir nicht unerwähnt lassen – großartiger Beteiligung des Publikums! Allerdings gibt es mit dem Intro „Vision Quest“ und Songs wie „Think Like A Mountain“ auch eher schwächere Nummern zu hören. Ich empfinde CD1 im Gesamtbild wesentlich weniger mitreißend als CD2. Dies ist aber mit Sicherheit Geschmackssache.
RITUAL bieten dem geneigten Hörer in jedem Fall einen gelungen Parforceritt durch die musikalische Welt ihrer bisherigen drei Studioalben, der stets interessant und mitreißend bleibt. Somit ist „Live“ eventuell sogar die optimale Einstiegsdroge für Neulinge im RITUAL-Universum. Ich verspüre zwar nun (noch) nicht den Drang, mir schnellstens die Alben der Band zu besorgen, aber das kann euch ja ganz anders gehen! Fans von Hardrock und insbesondere Folkrock sollten definitiv ein Ohr riskieren.
Keine Wertung