Es gab eine Zeit, da waren Printmedien die einzige Möglichkeit, journalistische Meinungen über neue Alben einzuholen. 1988 war das definitiv so und damals bezeichnete etwa das „Rock Hard“ die U.S.-Metaller RIOT angesichts ihres gerade erschienenen Albums „Thundersteel“ als „Inbegriff des Power Metal“. Das ist ein ziemlich starkes Statement – bedenkt man aber, dass besagte Platte der Legende nach sogar Judas Priest zum zwei Jahre später erschienenen Meilenstein „Painkiller“ inspiriert haben soll, ist ja vielleicht etwas dran. Und tatsächlich ist die einst von Holger Stratmann getätigte Aussage gut gealtert: 36 Jahre später ist die Truppe um Bassist Don Van Stavern – mittlerweile als RIOT V – noch immer aktiv und nicht nur beinharte Fans sind überzeugt, dass sie keine oder nur sehr wenige schwache Alben produziert hat. Mit „Mean Streets“ erscheint dieser Tage die neueste Platte der New Yorker.
Mit dem schnellen „Hail To The Warriors“ findet „Mean Streets“ einen für RIOT-V-Alben typischen Einstieg: Dank offensichtlicher „Thundersteel“-Zitate hat man es hier zweifelsohne mit einer starken Nummer zu tun, allerdings bietet der Song auch viel Fan-Service. Die Platte findet so auf jeden Fall einen guten Einstieg, fängt aber auch genau so an, wie man es spätestens seit „Unleash The Fire“ erwarten möchte. Glücklicherweise geht es ab hier aber fast ausschließlich bergauf: Als Kombination des Feelings von „Thundersteel“ und „Nightbreaker“ ist „Feel The Fire“ genau das, was Bandkopf Van Stavern im Vorfeld versprochen hat und bestimmt eine der besten Nummern auf den Album – ganz ähnlich auch der hymnische Stampfer „Love Beyond The Grave“.
Auf „Mean Streets“ wird also schnell klar, dass RIOT V über 35 Jahre nach ihrem definierenden Moment noch in die gleiche stilistische Kerbe schlagen können, ohne sich selbst zu kopieren und das ist schlicht beeindruckend. Sowohl „High Noon“ als auch der Titeltrack sind musikalisch wie thematisch RIOT-Songs aus dem Lehrbuch, die den Geist von großartigen Alben wie „Inishmore“ oder „Sons Of Society“ beschwören, ohne dabei wie Aufgüsse früherer Hits zu wirken. RIOT V beschreiten mit „Mean Streets“ erfolgreich den schmalen Grat zwischen frischen Ideen und dem, was man als Fan erwarten kann (und will). Somit klingt die Platte stets wie ein Original, aber nie nach Selbstkopie.
Und warum ist das so? Weil „Mean Streets“ genau wie jedes RIOT-V-Album von der Kombination aus dem Gitarrenspiel von Mike Flyntz, dem superben Gesang von Todd Michael Hall und Refrains und Melodien mit hohem Gänsehautfaktor lebt. Ohne gutes Songwriting würde diesen Elementen jedoch die nötige Verbindung fehlen und das ist auf dieser Platte wie immer in jeder Hinsicht stilsicher: Nicht zuletzt „Lost Dreams“ zeigt, dass die Truppe um der erhabenen Eingängigkeit willen stets mit den Kitsch flirtet, abgesehen vom arg erhabenen „Before This Time“ aber nie zu sehr ins Andächtige abdriftet. RIOT V standen schon immer für das fast perfekte Gleichgewicht aus Energie und Melodie und auch auf „Mean Streets“ werden Fans nicht enttäuscht.
Auch 2024 gilt noch: Wo RIOT V draufsteht, ist auch RIOT V drin. Das dritte Album der Formation seit dem tragischen Tod von Bandgründer Mark Reale ist wieder randvoll mit den stilbildenden Elementen ihres Sounds. Das alleine ist noch nicht erwähnenswert – es ist aber beeindruckend, dass es der Truppe fortwährend gelingt, unverwechselbar nach sich selbst und doch gleichzeitig frisch und energiegeladen zu klingen. „Mean Streets“ ruft nicht selten die besten Alben der Band ins Gedächtnis und klingt doch nie nach platter Selbstkopie. RIOT V bleiben dank eines Albums wie diesem nach wie vor die vermutlich glaubwürdigste der großen U.S.-Metal-Bands.
Wertung: 8.5 / 10