Spätestens seit ihrem Album „Affinity“ (2016) sind Haken eine der führenden Bands des modernen Progressive Metal. Kaum verwunderlich, dass nach dem Release der Platte die ersten (Solo-)Projekte nicht lange auf sich warten ließen: Die Band wurde von Ex-Dream-Theater-Drummer Mike Portnoy für seine „Shattered Fortress“-Tour verpflichtet und Sänger Ross Jennings stieg bei den Prog-Metallern Novena ein. Währenddessen gründete Gitarrist RICHARD HENSHALL mit Dan Briggs (Between The Buried And Me) und Matt Lynch (Cynic) das Nova Collective; ein Projekt, mit dem er seiner Liebe zu Jazz und Fusion fröhnte.
Diese Liebe für das Verspielte, Virtuose und Schräge kommt auch auf seinem ersten Solowerk „The Cocoon“ zum Ausdruck. Über vier Jahre hat RICHARD HENSHALL daran gearbeitet. Jazz und Fusion spielen auf „The Cocoon“ eine große Rolle, ebenso wichtig ist aber eine gute Portion Metal und Djent, ergänzt um den einen oder anderen elektronischen Einsprengsel.
Im Vergleich zu Nova Collective ist die Scheibe härter und düsterer, aber auch atmosphärisch dichter und weniger „düdelig“. Außerdem gibt es Gesang. Diesen übernimmt Henshall zum Teil selbst, bekommt aber auch Unterstützung von Ben Levin und Jessica Kion (Bent Knee) sowie seinem Haken-Kollegen Ross Jennings.
Schon der instrumentale Opener „Pupa“ baut ziemlich Spannung auf und lässt Großes erahnen. Die 18 Minuten der beiden zusammenhängenden Tracks „Cocoon“ und „Silken Chains“ lösen im Anschluss nicht nur sämtliche Erwartungen ein, sondern sind vorerst die Messlatte für zukünftige Jazz-Metal-Combos. Schlichtweg beeindruckend, wie hier vertrackte Rhythmen, tiefes Riffing und sperrige Gesangmelodien eine perfekte Einheit mit luftigen Fusionsoli, jazzigem Saxophon und Post-Rock bilden.
Es war sicher harte Arbeit, diese Songs zu komponieren, aber RICHARD HENSHALL verbindet diese Gegensätze, als wären sie die natürlichste Kombination der Welt. Dabei unterstützen ihn sehr versierte Mitmusiker: Die Rhythmussektion ist mit Matt Lynch und Connor Green (Haken) überaus vital besetzt. Dazu kommen im Verlauf der Platte namhafte Gäste wie Jordan Rudess, David Maxim Micic oder Marco Sfogli.
Nach dieser impulsiven Eröffnung bietet das luftige „Limbo“ etwas Zeit zum Verschnaufen. Im Anschluss macht „Lunar Room“ direkt weiter mit dem wilden Stilmix: Es startet mit einer ungewöhnlichen Mischung aus Trip-Hop-ähnlichen Rhythmen und Rap-Gesang von Ben Levin, ehe ein wunderbares Gitarrensolo von Marco Sfogli es in Fusion-Gefilde entführt. Das epische Finale hingegen erinnert an Haken. So muss Prog sein!
„Twisted Shadows“ mit Gesang von Ross Jennings ist gleich das nächste Highlight für Freunde von Henshalls Stammband. Der Song könnte auch von Hakens „The Mountain“ stammen und erinnert ein wenig an „Cockroach King“. Mit „Afterglow“ geht das Album mit einem großen Crescendo zu Ende. Hier heiraten Post-Rock und Djent – und es klingt, als würde die Ehe halten.
Es sind nur 47 Minuten und sieben Songs, aber „The Cocoon“ enthält im Grunde Ideen für mindestens drei Alben. In seiner Kreativität, Vielschichtigkeit und Qualität ist es mit „Affinity“ von Haken zu vergleichen – und auch wenn es anders klingt, ist Henshalls Handschrift klar erkennbar. „The Cocoon“ ist ein weiterer eindrucksvoller Beweis dafür, dass er zu den kreativsten und visionärsten Songwritern im Prog-Genre gehört. Reife Leistung und mein persönliches Album des Jahres 2019!
Wertung: 9.5 / 10