Man darf – so lernt man es in den Journalistenschulen – keinesfalls einen seriösen Text mit „Es war einmal …“ beginnen. Wer könnte mehr Anlass für einen Bruch dieser eisernen Regel sein als RHAPSODY OF FIRE? Eben. Deshalb beginnen wir unser Review mit ebendiesen Worten in Absatz zwei:
Es war einmal in einem Land, das Italien heißt. Dort trafen sich der nicht mehr ganz kleine Luca und der ebenfalls schon ausgewachsene Alessandro und beschlossen, gemeinsam Musik zu machen und sich „Rhapsody“ zu nennen. Beide liebten Fantasy-Geschichten und hatten gelernt, auf ihren jeweiligen Instrumenten ganz wunderbar zu spielen. Da sie leider knapp dreihundert Jahre zu spät geboren worden waren, hatten sie die Barockzeit nicht mehr live miterlebt, dafür aber Helloween und europäischen Power Metal. Der Rest der Geschichte besteht aus einem kometenhaften Aufstieg in die Herzen zahlloser Mittelalter-Nerds, Italienliebhaber und Metal1.info-Redakteure. Wer die englische Sprache mit so wundervoll italienischem Akzent bereichern konnte, musste einfach geliebt werden. Da es in der italienischen Oper aber nicht ohne Drama, Amore und Grande Confusione geht (inklusive des bösen Zauberers Malefuxis di Maio, ältere Anhänger erinnern sich), sind Luca Turilli, Alessandro Staropoli, Sänger Fabio Lione sowie ihre anderen Mitstreiter heute auf mehrere Bands aufgeteilt, die alle irgendwie „Rhapsody“ heißen. Das war für Fans wie die erwähnten Zielgruppen bisher eine tolle Sache, denn so kam einfach doppelt so viel gute Musik. Auch wenn es klar war, dass die alten Zeiten die besten waren und die Herren sich doch bitte in einem tragikomischen dritten Akt auf der Bühne vor dem Orchestergraben ewige Männerfreundschaft schwören sollten. Das mit der doppelten Ladung Musik scheint heutzutage nämlich leider nicht mehr ganz zu klappen.
Drei Jahre nach „Glory For Salvation“ und fünf nach dem Turilli/Lione-Konkurrenzprodukt „Zero Gravity“ (auf das auch nichts mehr nachfolgte) ist die Stimmung eher mau im Land der tänzelnden Gnome: Auf Album Nummer drei seit dem prägenden Sängerwechsel bei RHAPSODY OF FIRE können Staropoli und seine Mitmusiker nicht mehr verhehlen, dass etwas Entscheidendes in ihrem musikalischen Kosmos fehlt. Das ist am wenigsten Sänger Giacomo Voli anzurechnen. Er bleibt auch auf „Challenge The Wind“ eine hervorragende Wahl: keine Kopie des so prägnanten Lione, dafür mit einer charismatischen, immer leicht melancholischen Stimme gesegnet, die unheimlich lyrisch die Geschichten vorantreibt. Auch wenn der Inhalt der „Story“ weiterhin selbst für hartgesottene Fantasy-Allesleser nicht ohne einen Liter Limoncello ernst zu nehmen ist.
Nein, die Probleme liegen diesmal schlicht im Songwriting. Denn irgendwoher müssen Ideen kommen, wenn man gerade keinen Wunschbrunnen zur Verfügung hat. Dabei muss erst einmal eine gute Nachricht vorangestellt werden: Im Vergleich zum zurückhaltenden Vorgänger drücken RHAPSODY OF FIRE diesmal das Gaspedal wieder ordentlich durch. Die Doublebass rattert wie auf „Power Of The Dragonflame“. Der eröffnende Titelsong baut dadurch auch eine gespannte Erwartungshaltung auf. Diese kann der unspektakuläre Refrain leider nicht einlösen. Dann aber die Bridge: Hach! Die Gletscher der nordischen Eiswüste schmelzen, zwei verliebte Drachen tänzeln in hohen Lüften einen bacchantischen Reigen. Das ist wundervoll – und beinahe eins zu eins von „Distant Sky“ (auf dem 2016er „Into The Legend“) übernommen. Solche Déjà-vus finden sich auf dem Album häufiger. Die Dudelsäcke auf „Bloody Pariah“ stammen aus „Winter’s Reign“ – ebenfalls auf „Into The Legend“ zu finden. Übrigens ein ganz hervorragendes Album und Fabio Liones Abschiedsgeschenk.
Das könnte man hinnehmen; Selbstreferenzen sind nichts Ungewöhnliches und vielleicht sollte man das gnädig „Leitmotiv“ nennen – zumal das Album nicht den Fehler des Vorgängers begeht und sofort die Luft herausnimmt: „Whispers Of Doom“ schließt schön an, gibt sich aber bereits storygetragen und dadurch spannend. Mit dem zum Mitsingen einladenden „Bloody Pariah“ wird die Brücke zum Longtrack „Vanquished By Shadows“ geschlagen. Der weiß auch über seine 16 Minuten durchaus zu unterhalten, legt aber endgültig ein grundlegendes Problem der neueren RHAPSODY-Geschichte offen: Die Kompositionen erreichen einfach nicht mehr das so abwechslungsreiche, spannende Niveau vergangener Zeiten. Und die Abwesenheit Turillis lässt sich hier nurmehr schwer verschmerzen. Die Songteile kleben ohne großen dramaturgischen Bogen nebeneinander, es fehlt an Details, die kleinen, verspielten Interludes von Flöten, Tröten und schelmischen Schalmeien, die frühere Rhapsody-Songs zu kleinen Operetten werden ließen. Es fehlt die für RHAPSODY (OF FIRE) grundlegende Beheimatung im Barock. Dafür war Luca Turilli hervorragend geeignet – solo unterwegs und entfesselt überfordert er jeden Gehörgang mit Milliarden Details und Ideen, die einfach nur so aus ihm hervorquellen – in Kombination mit Staropoli ergab sich die Magie, die die Band einst auszeichnete. Diese Details fehlen fast komplett.
Das hat auf dem Neustart „The 8th Mountain“ noch toll funktioniert, weil die Band wie befreit frisch und ungezwungen aufspielen konnte. Doch der Wiedergeburtsbonus ist lange verbraucht. Der Vorgänger „Glory For Salvation“ konnte das noch durch tolle Dramaturgie und ein paar echte Hits wettmachen – selbst wenn es sich um so herrlich bescheuerte Songs wie „Terial The Hawk“ oder „I’ll Be Your Hero“ handelte. Solche Ohrwürmer fehlen diesmal leider, zumal die zweite Albumhälfte deutlich abfällt. Das schon vorab veröffentlichte „Kreel’s Magic Staff“ bleibt auch im Albumkontext nur ein etwas unspektakulärer Schunkler, und erst ganz am Ende reißen RHAPSODY OF FIRE das Ruder nochmal mit dem spannenden „A Brave New Hope“ und dem abschließenden „Holy Downfall“ herum.
Das ist insgesamt zu wenig. Auf der technischen Ebene stimmt alles, oder beinahe: Staropolis Keyboards klingen wie eins zu eins aus SNES-Rollenspielen der 90er Jahre übernommen („Lufia“ lässt grüßen!) und auch ansonsten hält sich das einzige übriggebliebene Gründungsmitglied auffallend zurück. Ab und zu fiedelt die Fiedel und dudelt der Sack, aber das ist kein Vergleich zu früheren Glanztaten. Die kompositorischen Mängel, die RHAPSODY OF FIRE aber momentan haben, lassen sich nicht mehr kaschieren. Das ist schade, denn das Album startete verheißungsvoll. Aber das Fazit bleibt: Echte Kunst gibt es bei RHAPSODY (OF FIRE) nur durch echte Männerfreundschaft. Ragazzi, reißt euch doch mal zusammen und geht ein Peroni trinken.
Wertung: 5.5 / 10