Refused - The Shape Of Punk To Come Album Artwork

Review Refused – The Shape Of Punk To Come (A Chimerical Bombination In 12 Bursts)

Nach wie vor gibt es verschiedene Theorien, warum sich REFUSED 1998 aufgelöst haben: Der unsägliche Hype nach der Veröffentlichung von „New Noise“, der Singleauskopplung, welcher die massive Kapitalismus- und allgemeine Systemkritik in den Texten in den Hintergrund treten ließ – auf der DVD zur letzten Tour werden allerdings auch persönliche Gründe wie der Ausstieg von Gitarrist Jon Brännström genannt. Man weiß es nicht genau – fest steht allerdings, dass die Auflösung von REFUSED im Jahr der Veröffentlichung von „The Shape Of Punk To Come (A Chimerical Bombination In 12 Bursts)“ den Legendenstatus des Albums noch erhöht hat.

Mit 55 Minuten ist „The Shape Of Punk To Come“ recht lang geraten – für ein Hardcore-Punk-Album. Wer allerdings glaubt, dass in dieser knappen Stunde ausschließlich Drei-Akkorde-Geprügel zum Besten gegeben wird, ist auf dem Holzweg. Grundsätzlich ist der Hardcore-Punk von REFUSED geprägt von hektischen Rhythmuswechseln, Kreischgesang und hohem Tempo – modernen Post-Hardcore-Bands wie Converge nicht ganz unähnlich. Das kann am Stück auch mal anstrengend sein, wird aber durch ruhigere, teilweise akustisch, teilweise elektronisch interpretierte Interludes hervorragend aufgelockert und zugleich konzeptionell zusammengeschweißt.

Denn REFUSED garnieren ihre zwölf Songs regelmäßig mit genrefremden Zutaten. So wartet der Album-Opener „Worms Of The Senses / Faculties Of The Skull“ gegen Songende mit einem Beat auf, der an die Prodigy-Werke der Neunziger erinnert, „The Deadly Rhythm“ besticht durch sein Jazz-Interlude, die Wahnsinns-Violine in „Tannhäuser / Derivè“ sorgt fast für Gänsehaut. Nicht zu vergessen das triphoppige „Bruitist Pome #5“, welches elegant in das legendäre Intro von „New Noise“ mündet – den Song, der die Band unterm Strich unsterblich gemacht hat.

Das Tonteknik-Studio (u. a. Cult Of Luna, The Ocean) in Umeå, Schweden (gleichzeitig die Heimatstadt von REFUSED), hat dem Album einen fantastischen Sound verpasst. Rotzig und hart, transparent, aber (für Punk-Verhältnisse) trotzdem fett und in den experimentelleren Abschnitten auch mal einfach anders: Dass drei Viertel der Songlänge von „Liberation Frequency“ durch eine Art Telefonfilter laufen, macht den 30-sekündigen Ausbruch zur Songmitte noch energetischer. Diese tontechnischen Spielereien, aber auch regelmäßige Spoken-Words-Passagen lassen „The Shape Of Punk To Come“ über weite Strecken wie einen zusammenhängenden Film wirken – und es fällt beim erstmaligen Hören nicht leicht, Anfang oder Ende eines Songs eindeutig zu bestimmen. Ebenso schwer fällt es, Anspieltipps zu benennen – wobei „Refused Are Fuckin‘ Dead“ (ein Omen?), „Protest Song ’68“ und natürlich „New Noise“ aufgrund ihrer nachvollziehbaren Songstruktur auch ohne Albumkontext funktionieren.

REFUSED beherrschen ihr Instrumentarium ausgezeichnet, entscheidend auf „The Shape“ ist aber die Experimentier- und Spielfreude, mit der die vier Schweden zu Werke gehen: Keine Berührungsängste mit unterschiedlichsten Stilen und Instrumenten, keine Angst vor unkonventionellen Songstrukturen oder tontechnischen Experimenten – all das macht „The Shape Of Punk To Come (A Chimerical Bombination In 12 Bursts)“ zu einem Meilenstein im Bereich politischer, wütender Musik der neunziger Jahre. Und auch nach über 20 Jahren beeindruckt, wie zeitgemäß das Album immer noch klingt.

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Wertung: 10 / 10

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