Review Rammstein – Reise, Reise

Nachdem RAMMSTEIN mit „Mutter“ ein Album für die Ewigkeit veröffentlicht hatten, war es zunächst still geworden um Deutschlands Exportschlager. Sogar ein Ende der Band stand wohl im Raum, ehe man sich zu einer gemeinschaftlicheren Arbeit am neuen Material entschieden und somit den Haussegen wieder gerade gerückt hat. Das Resultat: „Reise, Reise“ – ein Album, dem man den frischen Wind in den Segeln in jedem Detail anhört.

Eingeleitet durch sanftes Meeresrauschen beginnt die Reise mit dem hymnischen Titelstück, das den Hörer zunächst auf eine düstere, schleichende Seefahrt einlädt, die besonders mit seinem starken Refrain und einem sehr schönen Mittel- und Solo-Part Lust auf mehr macht. Schon hier fällt eine echte Entwicklung auf: Mehr denn je achten RAMMSTEIN auf abwechslungsreiche Komposition, anstatt bloß brachiale Riffs aneinanderzureihen. Doch auch die gröbere Gangart haben RAMMSTEIN nicht verlernt: Als perfekter Kontrast zu diesem Einstieg folgt das musikalisch wie textlich weitaus härtere „Mein Teil“. Mit mehr Witz als Pietät rückt Texter Till Lindemann hier der makabren Thematik des „Kannibalen von Rothenburg“ zu Leibe – das Resultat: eine Vorzeige-Nummer von RAMMSTEIN. Auch im weiteren Verlauf bleibt der Abwechslungsreichtum die Konstante auf „Reise, Reise“: Sei es die Erlkönig-Adaption „Dalai Lama“, das spätestens im Refrain ohrwurmlastige „Keine Lust“ oder das so tiefenentspannte wie ironiegespickte „Los“ – alle drei Nummern hätte man RAMMSTEIN noch vor wenigen Jahren nicht zugetraut.

Auf die Radio-Hymne „Amerika“, die nicht nur als Ohrlindwurm jede andere Melodie aus dem Hirn verjagt, sondern seit der NSA-Affäre heute textlich aktueller ist denn je, folgt leider ein kleiner Durchhänger: Weder „Moskau“ noch die folgenden Tiefpunkte „Morgenstern“ und „Stein um Stein“, die wieder eher in Richtung NDH gehen, reichen an das bisher gehörte heran. Ganz so ernüchtert lassen RAMMSTEIN ihre Hörer jedoch nicht zurück, gibt es mit „Ohne Dich“ schließlich noch die wohl schönste RAMMSTEIN-Ballade aller Zeiten zu bewundern. Ob es nach diesem Highlight überhaupt noch einen Song gebraucht hätte, und wenn ja, ob sich ein echter Brecher als Rausschmeißer nicht besser gemacht hätte als das ähnlich melancholische „Amour“, ist fraglich. Den durchweg positiven Gesamteindruck von „Reise, Reise“ kann dieser Abschluss jedoch auch nicht mehr schmälern.

Mit „Reise, Reise“ strafen RAMMSTEIN all jene Lügen, die den Berlinern lediglich stampfende Riffs und stumpfe Texte zugetraut hätten. Charakteristisch für das Werk ist die Vielseitigkeit des Materials, die dem Album bisweilen fast Best-Of-Charakter verleiht: Während die Stücke stilistisch massiv variieren, ist es oft nur der Sound von „Reise, Reise“, der das Album zusammenhält. Auf eine dicht vernetzte Atmosphäre wie bei „Mutter“ muss man deshalb hier verzichten – die hohe Einzelqualität der Songs kann das jedoch gut kompensieren.

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Wertung: 9 / 10

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