Deutsch-Punk ist ja immer so eine Sache. Musikalisch eher stumpf, textlich meistens sehr platt, immer gleich – soviel zu den Vorurteilen. Dass es neben Bands wie „Kacken und Abwischen“ allerdings sowohl auf der emotionalen und häufig als „intellektuell“ bezeichneten Seite hervorragende Bands gibt (hier sollen exemplarisch nur Tagtraum, Muff Potter, Boxhamsters oder EA80 genannt sein), gibt es auch bei den stärker politisch geprägten Bands immer wieder Ausreißer nach oben (hier kommen Bands wie ZSK oder Dritte Wahl in den Kopf). Dass Deutsch-Punk musikalisch einen klaren Wiedererkennungswert hat, bedeutet allerdings nicht, dass nicht das Potenzial zur Weiterentwicklung und für die Entwicklung eines ganz eigenen Stils ausgeschlossen wäre. Das beweisen neben den eben genannten Bands auch, die jungen Berliner von RADIO HAVANNA, die sich zwar problemlos in diese Riege einreihen können, dabei allerdings nicht ganz die Lücke ausfüllen können, die manche Band-Auflösungen in den letzten Jahren gerissen hat.
Dass die Band in der Vergangenheit schon Bands wie Anti-Flag, Pennywise oder Flogging Molly als Support-Band begleitet hat, wird bereits mit den ersten Takten des Openers „Flüstern, Rufe, Schreien“ klar: Treibendes Drumming, eine wütende Stimme und unwiderstehliche Hooklines erinnern stärker an politischen Skate-Punk amerikanischer Prägung als an Punkrock deutscher Prägung– dass hier Justin Sane, seines Zeichens Sänger von Anti-Flag einen Auftritt hat und der Song teils auf deutsch, teils auf Englisch gesungen wird, erscheint nahezu folgerichtig. Dennoch sind auch immer wieder Einflüsse von Bands wie Muff Potter, ZSK oder auch Die Tote Hosen (in ihren Anfangstagen) erkennbar – vor allem das Organ von Sänger Fichte erinnert häufig an einen jungen Campino. Auf Albumlänge wird die Vermengung dieser verschiedenen Einflüsse immer deutlicher und ein eigener Stil erkennbar. Das Gespür der Band für Melodien ist beeindruckend und auch poppige Gefilde werden nicht umschifft – was im Falle von „Goldfischglas“ als typische Akustik-Nummer dann allerdings ein wenig zu klischeebeladen wirkt. Textlich wird eine wütende Grundstimmung transportiert, die persönliche und politische Probleme anspricht und deren gegenseitige Beeinflussung aufzeigt. Von einem platten Niveau sind RADIO HAVANNA hier entfernt, die lyrische Raffinesse von Bands wie Muff Potter erreichen sie allerdings nicht.
Dass RADIO HAVANNA letztendlich nicht vollends überzeugen, liegt am mangelnden Feinschliff im Songwriting und häufigen Plattitüden: Zwar ist „Alerta!“ eine mitreißende Platte ohne wirklich Aussetzer, auf Albumlänge allerdings wird das Ganze etwas eintönig und die großen Ausreißer nach oben fehlen leider auch. Dazu wirken die oft eingesetzten Chöre manchmal ein wenig prollig. Songs wie „Wir stehen im Regen“ wirken insgesamt einfach ein bisschen zu sehr wie Lückenfüller. Bezeichnend ist hier, dass das wirklich hervorragende, atmosphärische und melancholische „Hubert – nein!“ nur als Intro für das 08/15-Punk-Stück „Monster“ fungiert. Die Krux besteht darin, dass RADIO HAVANNA dann richtig groß sind, wenn das Gaspedal durchgetreten wird, das permanent hohe Tempo bei den ähnlichen Songstrukturen dann allerdings ermüdend wirkt. Am Ende des Albums hat man irgendwie das Gefühl permanent den gleichen Song gehört zu haben – dass dabei so tolle Songs wie „Rettungsboot“, „Die letzte Nacht“ oder „Flüstern, Rufen, Schreien“ herauskommen, spricht allerdings dafür, dass „Alerta!“ eine frische und gute Platte ist und RADIO HAVANNA eine der derzeit spannendsten deutschsprachigen Punkbands darstellen. Trotz anderslautender Bekundungen: Punk ist einfach nicht totzukriegen.
Wertung: 6.5 / 10