Review Pensées Nocturnes – À Boire Et À Manger

Über die Nähe von Genie und Wahn und was im Ernstfall eigentlich den Unterschied ausmacht, wurde schon viel philosophiert. Wer diese Diskussion mit einem Beispiel aus der Welt der Musik untermauert neu entfachen möchte, ist mit PENSÉES NOCTURNES stets gut beraten: Einfach oder gar zweifelsfrei lässt sich das Schaffen des französischen Multiinstrumentalisten Vaerohn jedenfalls nicht einer der beiden Seiten zuordnen, wie „À Boire Et À Manger“ einmal mehr aufzeigt.

Nachdem der Vorgänger noch über ein Label erschien, hat sich Vaerohn diesmal zur Eigenveröffentlichung entschieden. Dass er sich überhaupt zur Veröffentlichung des Materials durchgerugen hat, ist keine Selbstverständlichkeit: Das dritte PENSÈES-NOCTURNES-Album, „Ceci Est De La Musique“, hatte Vaerohn aus Protest gegen die Unsitte des illegalen Downloadens nur in 60-facher Auflage hergestellt und unter Freunden verteilt. Das Statement: In Zeiten, in denen veröffentlichte Musik faktisch jedem, der einen Internetanschluss besitzt, „gehört“, ist die Nicht-Veröffentlichung die letzte dem Musiker verbliebene Freiheit. Sein verdrossener Facebook-Beitrag vom 07. Februar 2016 legt nahe, dass Vaerohn bereits bereut, bei „À Boire Et À Manger“ nicht ähnlich vorgegangen zu sein:

There are two ways to get the album.
The first one is expensive, takes time, is only available in one place and you can’t be sure it will make it through postal services‘ meanderings.
The second one is free, instant, safe and available all over the Internet.

Since A Boire et A Manger has been leaked, three weeks ago, most people preferred the second way when only 4 nice fellows tried their luck on PN bandcamp (like one of the biggest joke ever).

That was expected.

However, just a gentle reminder before choosing your side:
one of these is managed by pimpled russian geeks who just rest their right hand between two porn movies to upload the album on their filthy blog.
The second side is run by a caring loving person who had nothing on his hands but is shiny trumpet before preparing your package.

I, for my part, I prefer the smell of valve oil on my album than a mp3 smelling dick.

But the choice is yours.

Wozu all die Worte, die sich nicht um Musik drehen, in einer CD-Kritik? Zum einen, weil auf die Problematik illegaler Downloads nicht oft genug aufmerksam gemacht werden kann – zum anderen jedoch, weil es ein vages Bild des Künstlers Vaerohn vermittelt. Mit ähnlicher Konsequenz und ähnlichem Witz wie in diesen beiden Beispielen geht der Franzose nämlich seit jeher auch bei seiner Musik zu Werke. „À Boire Et À Manger“ ist nicht zuletzt deshalb einmal mehr ein Liebhaberalbum für Leute mit eher ausgefallenem Musikgeschmack.

Geschmackssache ist schon der Gesang, der auf „À Boire Et À Manger“ noch extremer als auf den Vorgängern ausfällt und als eine Mischung aus Jaulen, Lallen, Grölen und Grunzen wohl recht treffend umschrieben ist – das Ganze, versteht sich, auf Französisch. Dazu gesellen sich eine wild gewordene Trompete, disharmonisches Black-Metal-Riffing und ein Hauch von Zirkus- und Spelunkenmusik. Von Zeit zu Zeit artet das Ganze dann in schwarzmetallenen Wahnsinn aus – freilich nicht, ohne das Schifferklavier und die Trompete mitzuschleifen. Und dann ist da noch „La Java Niaise“, das mit opernhaftem Frauengesang aufwartet. All das sollte zumindest erprobte PENSÉES-NOCTURNES-Hörer auf dem nunmehr fünften Album der Band nicht mehr wirklich überraschen.

Im Unterschied zum direkten Vorgänger – und damit wieder eher im Stile des Debüts – steht diesmal wieder eine ganzheitliche Atmosphäre im Mittelpunkt: War „Nom d’une Pipe!“ ein skurriles Potpourri, bei dem man nie wusste, was einen beim nächsten Song erwartet, sind sich die Stücke diesmal zumindest in ihrem düsteren Grundcharakter wieder ähnlicher, die beeindruckende Vielfalt findet eher auf dem Level den ganz normalen Wahnsinn ergänzender kompositorischer Verschrobenheiten statt. Die aber suchen ihresgleichen – von Eingängigkeit kann man im Kontext dieses Albums deshalb wahrlich nicht sprechen.

Mit „À Boire Et À Manger“ haben PENSÉES NOCTURNES wieder einmal starken Tobak im Angebot, soviel ist klar. Genial? Verrückt? Unhörbar? Schwer zu sagen. Denn genau das kann man mögen oder – ebenso berechtigt wie schon beim den bisherigen Alben – unerträglich finden. „À Boire Et À Manger“ ist auf alle Fälle die ultimative Prüfung für all jene, die sich gerne als Avantgarde-Black-Metal-Hörer bezeichnen. Denn, so ehrlich muss man sein: „À Boire Et À Manger“ bereitet zumindest während der ersten Durchläufe eher Ungemach denn Freude. Da jedoch genau das zweifelsfrei Vaerohns Intention war, bleibt einem wenig übrig, als ihm einmal mehr zu einem Meisterwerk zu gratulieren.

In diesem Sinne: Alle, die sich jetzt noch trauen, ran an den Speck. Es soll nur hinterher niemand behaupten, er sei nicht gewarnt worden.

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Wertung: 10 / 10

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