Review Opeth – The Last Will And Testament

OPETH hatten es nicht immer leicht in den letzten anderthalb Jahrzehnten. Nachdem 2008 „Watershed“ erschienen war, ließ sich schon erahnen, dass es bei Mikael Åkerfeldt und Konsorten zu einem Umbruch kommen könnte. Zu psychedelisch, zu experimentell erschien der ein oder andere Moment auf „Watershed“. 2011 war es dann tatsächlich so weit und OPETH läuteten mit „Heritage“ eine neue Ära in ihrer Geschichte ein. Vorbei waren die Zeiten brachialen Death Metals, passé die fiesen Growls. Die neue Agenda: Lavalampen-Feeling und Analog-Recording. Für jene, die sich seitdem in Wut und Verratsfantasien ergingen, muss der zweite August dieses Jahres ein Paukenschlag gewesen sein. Mit „§1“ erschien nicht nur die erste Single des neuen Konzeptalbums „The Last Will And Testament“ – erstmals waren auch wieder Growls und „so etwas wie“ Death Metal in die Musik der Schweden zurückgekehrt. Was also offenbart sich im Testament von OPETH?

Das Album befasst sich mit dem Tod eines alten Patriarchen, dessen testamentarischer Wille seine Familie zu spalten droht. Es geht um ein Gespinst aus Intrige, Verrat, aber auch um Liebe. Um „The Last Will And Testament“ vollumfänglich verstehen zu können, ist es empfehlenswert die Texte zu lesen, welche Åkerfeldt im Sinne exakter Dramaturgie für sein Konzept mit Unterstützung von Klara Maria Rönnqvist (The Heard, ex-Crucified Barbara) umgesetzt hat. Mit Mirjam Åkerfeldt hat sogar Mikaels jüngere Tochter einen Gastauftritt auf „The Last Will And Testament“.

OPETH spielen auf ihrem neuen Album – im wörtlichsten Sinne – musikalisches Theater. Dafür ziehen sie mit Gästen wie Ian Anderson (Jethro Tull), Dave Stewart (Egg, Khan) und Joey Tempest (Europe) sämtliche Register der klassischen Rockmusik. Der Opener „§1“ fesselt sofort durch seine unheilvolle Atmosphäre. Die vergleichsweise harten Riffs sorgen in Kombination mit dem wilden Schlagzeugspiel von Waltteri Väyrynen für wohlige Erinnerungen an Großtaten wie „Ghost Reveries“ und „Watershed“, ohne jedoch die Entwicklung der letzten Jahre zu unterdrücken. Das fantastische Streicher-Arrangement am Ende des Songs, geschrieben von Åkerfeldt und Dave Stewart, hat indes fast schon cineastischen Charakter und dürfte für einiges an Gänsehaut sorgen. „§2“ öffnet sich mit seiner gespenstischen Hammond-Orgel noch weiter dem finsteren Grundtenor des Albums und stellt ein verlorenes Kind ins Zentrum des Geschehens um die Erbfolge. Entsprechend erschütternd gibt sich der Song bei seinen Arrangements, die zwischen Death-Metal-Temperament und zerbrechlicher Harmonie schwanken.

Allgemein ist es der wechselhafte Charakter von „The Last Will And Testament“, der den Spannungsbogen leichtfüßig auf gleichbleibend hohem Niveau hält. Dabei ist nicht relevant, ob man die Brachialität eines „§3“ mit all seiner Bewegung in den Fokus nimmt, oder ob man dem sinisteren Mittelteil eines „§4“ in den Abgrund folgen möchte. Dieser Song im Speziellen stellt ein absolutes Highlight dar. Satte Bass-Grooves und beinahe eingängige Songstrukturen eröffnen den Track zuerst aufwühlend, ehe er mit Harfen-Klängen auf einen ersten großen, fast schon „bösartigen“ klimaktischen Zenit zusteuert. Die Leistung von Ian Anderson an der Querflöte ist ebenso bemerkenswert und auch als „Erzähler“ passt er ausgesprochen gut ins Gesamtkonzept.

Es gibt auf „The Last Will And Testament“ nicht den einen Song – das Wirken aller theatralischer Einzelstücke ist es, welches dieses Album so eindrucksvoll macht. Wenn der schmissige Groove und das orientalische Flair eines „§5“ die Antwort ist auf vorangegangene Death-Metal-Reinterpretation, dann haben wir den Beleg von Gefühl vor songdienlicher Sinnhaftigkeit. Perfekt pointiert wird die Dramaturgie von „The Last Will And Testament“ noch einmal auf „§7“ – nicht nur agiert die Band hier erneut wunderbar remineszent zwischen den Jahren 2006 und 2008, auch in Sachen Stimmung kulminiert das Album noch einmal all sein unangenehmes Gefühl. Das muss auch so sein, denn den fulminanten wie hochemotionalen Abschluss findet „The Last Will And Testament“ in der gefühlvoll inszenierten Ballade „A Story Never Told“, welche beim Rezensenten durch ihren wehmütigen und doch befriedenden Tonus, die ein oder andere Träne unvermeidlich machte.

Wie kommt man als Schreiber bei solch einer Menge an Eindrücken und gefühlten Emotionen zu einem Ende? Hier ein Versuch: Die neue Platte der Progressive-Großmeister ist (um der Orientierung willen) das, was ein Nachfolger von „Watershed“ hätte werden können. OPETH rezitieren vergangene Werke und bereichern sie um neue Atmosphären und Einflüsse. Es wird alles geboten, was schon immer gut war und doch wirkt „The Last Will And Testament“ erfrischend neu und unverbraucht.

OPETH liefern 2024, nach 34 Jahren der Bandgeschichte, ihr bisher ambitioniertestes und, ja – ihr bestes Album ab. Hier nur von Musik zu sprechen, wäre nicht weniger als pure Untertreibung. OPETH haben mit ihrem neuen Album ein durchweg ergreifendes Theaterstück für die Ohren erschaffen. Ist das leicht zu verdauende Kost? Keinesfalls. Ist es Death Metal? Vielleicht. Ist es ein erhofftes Back-To-The-Roots-Album? Nein. Wenn OPETH mit „The Last Will And Testament“ aber eines attestiert werden muss, dann ist es, mit ihrem derweil 14. Album im wahrsten Sinne des Wortes große Kunst kreiert zu haben.

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Wertung: 10 / 10

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